Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

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Illustrierte Geschichte' des Weltkrieges 1914/19. 
übrige wertvolle Material fielen in die Hände der Polen. 
— Tag für Tag rückten die Polen weiter vor. Hohensalza, 
Reutomischl, Meseritz lind Köln« wurden ihre Beute. Auch 
an der oberschlesischen Grenze machte sich der polnische Auf 
marsch bemerkbar, dem die deutsche Bevölkerung, da ihr 
fast keine Truppen zur Seite standen, säum nennens 
werten Widerstand entgegensetzen konnte. Rasche Hilfe 
wäre dringend nötig gewesen, doch diese blieb aus, weil 
die Unruhen im Innern, besonders in Berlin, die Not des 
bedrohten Volkes im Osten völlig vergessen liehen. Die 
Spartakusleute erleichterten den Polen sogar noch den 
Raub deutschen Bodens, indem sie Freiwilligenbataillone, 
die nach dem Osten abgehen svllteiy an der Abreise ver 
hinderten und entwaffneten. In Schlesien machten sich, 
während die Polen vor den Toren standen und Einigkeit 
aller Parteien mehr denn je nötig gewesen wäre, separa 
tistische Umtriebe geltend, die auf eine Loslösung Schlesiens 
vom Reiche und'auf die Errichtung einer selbständigen 
kommunistischen Republik abzielten,- im oberschlesischen 
Erubenrevier entfesselten die 
Spartakusführer fortwährend 
Streike unter den Bergarbei 
tern, die rinerfüllbare Forde 
rungen stellten rlnd in manchen 
Bezirken nnt den Polen ge 
meinsame Sache inachten. 
Am 6. Janriar hatten sich 
die Polen durch Posen und 
Westpreuhen der Grenze der 
Mark Brandeiiburg bis auf 
\2 Kilometer genähert. Die 
deutsche Regierung erkannte, 
daß nur sofortiges, kräftiges 
Eiligreifen die gefährdeten Ost- 
marken vor der polnischen Flut 
retten köniite. Sie erliesz des 
halb aui 7. Jaiiilar einen Auf- 
ruf an alle Soldaten, worin sie 
zur Bildilng einer freiwilligen 
Schutztruppe aufforderte, um 
mit deren Hilfe die Eindring- 
liiige endlich aus deni Lande 
?u vertreibeii. 
Ein letzter Eindruck 
deutscher Macht. 
Bon Dr. F A. Looss. 
I. 
Begreiflich ist es, dah der 
Stolz aller Derltschen auf ihre 
blaueir Juiigeii sehr ins Ge 
genteil unigeschlageii ist, so 
bah eine empörte deutsche Frari 
in der Öffentlichkeit verlangte, 
bah die Matrosenkleidung der 
Kinder zu verschwiildeii habe, 
weil sie an deutsche Schmach 
erinnere. Die folgenben Zeilen sollen mit einem letzten 
Bild deutscher Macht zur See die Vorgänge bei der 
Mariiie dein Verständnis etwas näher bringen. Wobei 
ich betonen möchte, daß der Ausspruch: „Alles verstehen 
heiht alles entschuldigen" nicht meiner Ansicht entspricht. 
Zunl 1. Oktober 1918 erhielt ich von meiner Front 
dienststelle die Erlaubnis, einer Einladung der Hochsee 
flotte für vier Wochen zu solchem 
Ich brachte diese Zeit auf dem Panzerkreuzer Seydlitz 
zu, jenem Schiff, das während des Krieges wohl am meisten 
gelitten uud geleistet hat. In den vier Wochen habe ich 
die Seele des Matrosen ein wenig kennen gelernt, inbem ich 
die Lebensbedingungen sah, unter denen er lebte. Ich weih 
jetzt, dnh die Besatzungen der großen Schiffe, obgleich mau 
ihnen Tatenlosigkeit vorwirft, in biefent Kriege innerlich 
mindestens ebensoviel gelitten haben wie das Landheer. 
Und zwar an dem Gegenteil dessen, was dem Landheer 
das Leben schwer machte: an Langerweile. Man spricht 
mit Recht davon, dah Langeweile tötet. Ja, sie tötet. Und 
zwar nicht, wie die Gefahren des Landkrieges, nur den 
Körper, sondern bis zu einem gewissen Grade auch die 
Seele. Dazu kommt, dah auf der verhältnismähigen Enge 
eines solchen Kriegschiffes eine riesige Anzahl Menschen auf 
das engste zusammengepfercht ist, in drückender, heißer Luft, 
bei schlechter Beleuchtung, die das Lesen für viele unmöglich 
macht. So erlagen die Matrosen, wie cMs zusammen 
gepferchte, geistig nicht genügend beschäftigte Leben, der 
verderblichen Ansteckung durch den Bolschewismus leichter 
und früher als die Fronttruppen. Weiterhin sind zu berück 
sichtigen die moralisch schädigenden Einflüsse der Hafen 
städte, in deren groher Werftarbeiterbevölkerung sich un 
kontrollierbare Elemente, feindliche und bolschewistische 
Agenten mit Leichtigkeit verbergen konnten. War es doch 
der Flottenleitung nicht möglich, dem Feinde irgendwelche 
beabsichtigten Flottenbewegungen länger als vierundzwanzig 
Stunden verborgeil zu halten. Denn eine Stadt wie Wil 
helmshaven oder Kiel weih es schon nach wenigen Stunderl, 
dah die Flotte ausgelaufen ist,' ja, mancherlei Maßnahmen 
bringeil es schon vorher zu jedermanns Kenntnis. Da 
müssen Kohleil und Proviant gefaßt werdeil. Ein gewährter 
Landurlaub wird zurückgenom- 
ineiloder gar die Mannschaften 
vonl Land zurückgeholt, und 
die weithin sichtbaren Schein 
werfer der Schiffe sowie der 
Landstationen zeigen eine er 
höhte Signaltätigkeit, voll der 
ber ganze Himmel wie bei 
einem Wetterleuchten zuckt lind 
leilchtet. Auch fehlte den an 
Land beurlaubten Matrosen 
imr allzusehr der Rückhalt an 
ihrer Familie. Jil Wilhelnu- 
haven waren überhaupt feine 
Angehörigen — es sei denn 
uilter ganz besondereil Um 
ständen— zugelassen, und auch 
Kiel bot nicht Platz geilug, um 
alle Familien der Flotten- 
angehörigen aufzunehmen. So 
lebte der an Land beurlaubte 
Matrose auf der Straße, wo er 
in dichten Haufeil müßig bum- 
iilelte, sowie in den Kneipeil 
oder — iloch schlimmer,— in 
Gemeinschaft fragwürdiger 
Frauenzimnler. 
Doch Ulan beiilerkte bis 
wenige Tage vor Ausbruch der 
Revolte in Kiel nichts von ge 
fährlichen Regungeil bei der 
Flotte. Besonders nicht auf 
der Seydlitz, auf der Kom- 
inandant, Offiziere und Ma 
troseil die vielen Wuilden ihres 
Schiffes als eine Ehre emp- 
fanden und ben alten Geist 
der Skagerrakschlacht in Hal 
tung und Benehmen zur Gel- 
tllng brachteil. 
Die englische Niederlage damals hatte aber auch einen 
Erfolg, der schließlich doch zum Obsiegen Englands führte. 
Die Engländer zersplitterten vwl da ab ihre Kräfte nicht 
inehr mit der Ausführung voll Offensivplänen, sondern 
verwaildteil alle ihre Machtmittel zur Dlirchfühning der 
Blockade. 
. Diesel,l völkerrechtswidrigen uub hinterhältigen Mittel 
sind wir letzteil Endes erlegen; freilich nicht durch bereu 
unmittelbar'e Wirkungen. Wir hätten weiter gehungert, 
llild für den Mailgel an Rohstoffen hätte die findige Jn- 
dilstrie Ersatz geschaffen. Aber den inoralischen Folgen der 
Blockade waren wir nicht gewachsen. 
So war also die strategische Situation im Oktober 1918 
folgende: Mit den Mitteln seiner gesamten Flotte, zu der 
sich eine Unzahl von amerikanischen Ik-Bootjägern gesellte, 
mit Unterseenetzen unb U-Boolfallen bekämpfte der Feind 
diejenigen ll-Boote, die aus der Deutschen Bucht heraus 
gekommen waren und sich aus Jagd befanden. Vor allem 
aber suchten die Engländer zu verhindern, dah die bl-Boote 
ihre Stützpunkte in der Deutschen Bucht verlassen konnten. 
Von Terschelling. bis zur dänischen Grenze zog sich eine 
Phot. Welt-Preß-Photo, Wien. 
Schweizerisches Militär in Wien zum Schutze eines von der 
Schweiz kommenden Lebensrnitteltransporkes für die hungernde 
Bevölkerung Wiens. 
In der Wille: der KomMandant Oberst Frey. Links: sei» Unier- 
komnrandant C0er( entrinnt Schnieder.
	        
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