Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/19. 
Heuren Schwierigkeiten bewußt, die auf den örtlich wettge- 
trennten Kriegschauplätzen der Türkei zu überwinden waren. 
Me sah es dort bei Eintritt in den Weltkrieg aus? Das Volk, 
namentlich sein tüchtiger anatolischer Kern, in den jahrelan 
gen vorhergegangenen Kämpfen stark ausgeblutet, das Heer 
insolge gewaltiger Verluste im eben beendeten Balkankriege 
und durch Seuchen physisch und moralisch fast aufgelöst, das 
Offizierkorps wenig zuverlässig, die Staatsgewalt noch auf 
schwachen Füßen stehend. Neue, uneingearbeitete Männer 
an allen Staatsstellen, vielfach ohne genügende Erfahrung 
und selbstsüchtigen Beweggründen folgend. Keine Mobil- 
machungsvorarbeiten, keine Erundlisten für Neuausstellung 
und Ergänzung der Truppen, dazu noch die althergebrachte 
Mißwirtschaft zahlreicher Ausnahmen von der Dienst 
pflicht, der Loskaufsmöglichkeit für Wohlhabende, der 
Bestechungen bei der Aushebung und demzufolge tief- 
eingewurzelte Vorurteile gegen den Heeresdienst und zahl 
reiche Fälle von Fahnenflucht. Der Ausbildung stand die 
Unkultur mit achtzig vom Huirdert Analphabeten hemmend 
im Wege» der Heeresverpflegung die ungünstigen Ernäh 
rungsverhältnisse und der Mangel an Verkchrsmöglichkeiten 
des Landes. Gegen die Ausbreitung dauernd herrschender 
ansteckender Krankheiten hatte ein noch wenig geschultes 
Arzte- und Pflegerpersonal anzukämpfen, wobei die gesund 
heitswidrige Lebensweise, Unwissenheit und Unsauberkeit 
der Bevölkerung unendlich erschwerend wirkten. Für aus 
reichende Unter 
kunft war keine ge 
nügende Vorberei 
tungszeit geblie 
ben, Märsche über 
Hunderte von Kilo 
metern durch Ge 
birge» Steppen, 
Wüsten urrd ver 
seuchte Ortschaften 
zehrten am Be 
stand des Heeres, 
Armenierunruhen 
schädigten Truppe 
und Bevölierung 
im Operationsge 
biet und in den 
Etappenorten. 
Nichts von alle 
dem entging dem 
offenen Blicke En- 
vers. Fleißig arbei 
tend von morgens 
bis abends, tat 
kräftig und ziel 
bewußt, für Organisation begabt, suchte er der Schwierig 
keiten, die sich türmten, Herr zu werden. Ohne die eigenen 
Absichten preiszugeben, lieh er seinen Beratern ein williges 
Ohr und stützte die Tätigtest seines deutschen Generalstabes 
mit aller Kraft und unter dankbarer Anerkennung seiner 
Leistungen gegen oft scharfe innerpolitische Widerstände. 
Der in den besten Mannesjahren Stehende mit dem beweg 
lichen Geist und der raschen Auffassungsgabe war der erste 
unter den türkischen Ministern, der die Verhältnisse seines 
Landes auf weiten Fahrten persönlich kennen zu lernen 
suchte. Ein furchtloser und flotter Draufgänger, war er wohl 
auch in kritischen Lagen in vorderster Kampffront zu finden, 
persönlich die Truppe anfeuernd, ja, zur Waffe greifend. 
Aus den Reisen lenkte er mit Vorliebe sein Automobil 
in tolltühner Fahrt über Pässe und gefahrvolle Engen, 
stieg gelegentlich trotz Warnung des Führers bei schwer- 
böigem Weiter im Flugzeug auf und konnte bei Unglücks 
fällen, beidenener nur mit tnapperNot lebend davonkam, als 
echter Fatalist lächelnd äußern: „Sehen Sie, wenn Allah es 
gewollt hätte, so wäre ich jetzt tot, — aber er wollte es nicht l" 
Der meist ernste und verschlossene Mann gewann im 
persönlichen Verkehr ganz ungemein. Wurde mit ihm eine 
Angelegenheit verhandelt, die sein Inneres besonders be 
schäftigte» so trat die Wärme seines Enipfindens wie ein 
freundlicher Sonnenschein in seinen Gesichtszügen hervor, 
und das dunkle, sinnende Auge begann lebendig zu leuchten. 
So war's besonders, wenn er von der Zukunft des Landes 
sprach oder sich mit der Jugend beschäftigte, die er nach dem 
Vorbild seines von ihm hochgeehrten, noch im Tode von ihm 
in warmen Worten gefeierten Lehrmeisters v. der Goltz Pa 
scha (siehe untenstehendes Bild) aufgerufen und durch Gesetz in 
einem türkischen Jugendbund zu körperlicher Erstarkung durch 
Turnen, Sport und Geländeübungen jeglicher Art vereinigt 
hatte. Es war ihm klar, daß sich in ihr die Hosfnüng des Lan 
des verkörperte und der Volksnachwuchs der verweichlichen 
den Lebensweise entrissen werden mußte. Tausende der im 
Jugendbund Vorbereiteten haben sich denn auch im Verlaufe 
des Krieges wacker in den Reihen des Heeres geschlagen, vor 
allem das treue anatolische Volk hat schwerste Opfer gebracht. 
Trotz alledem war es dem Oberkommandierenden nur 
da möglich, die Forderung der Kriegführung — Schutz der 
Grenzlande der Türkei — zu erfüllen, wo der Feind nicht 
mit Überlegenheit angriff. Auf dem naheliegenden Krieg- 
schauplatz an den Dardanellen gelang ein voller Erfolg; 
der unter Goltz Paschas Führung bei Kut-el-Amara er 
rungene Sieg ging infolge Menschenmangels und geringer 
Leistungsfähigkeit der rückwärtigen Verbindungen ebenso 
verloren wie die anfänglichen günstigen Ergebnisse der Ope 
rationen am Kaukasus und in Palästina. Die durch fortgesetzten 
Bahnbau trotz Mangels an geschulten Arbeitskräften» unzu 
reichenden Materials und häufiger, zerstörender Naturereig 
nisse emsig betriebene Abhilfe vermochte hieran nichts zu 
ändern und die auf allen Gebieten tätige Mithilfe des deut 
schen Bundesgenossen das Schicksal der osmanischen Armeen 
nicht hintanzuhalten. — Um so mehr Anerkennung urrd 
Würdigung ver 
dient Enver Pa 
schas großzügige 
Auffassung,daß die 
Türkei nach Lage 
und Stärke im 
Weltkrieg nur Ne 
benkriegschauplatz 
sei und es ihre Auf 
gabe bleibe, den 
Hauptkriegfchau- 
platz zu entlasten. 
Nicht genugdamit, 
daß er immerhin 
eineinhalb Millio 
nen Feinde an den 
Grenzen seines 
Landes fesselte, 
war Enver Pascha 
inkritischer Stunde 
trotz harter Anfein 
dung durch seine 
Widersacher ohne 
weiteres bereit, 
vier türkische Ar 
meekorps nach Europa zu schicken. Sie bewährten sich im 
Rahmen der Bundesgenossen bei Abwehr des russischen 
Durchbruchs in Galizien, hatten am entscheidenden Erfolge 
in Rumänien und in Ostgalizien ruhmreichen Anteil urrd deck 
ten gleichzeitig den Rücken der Operationen in Mazedonien. 
Auch späterhin hat Enver Pascha selbstlos die Interessen 
der Türkei hinter die Wünsche zurückgestellt, die bezüglich der 
Verwendung seiner Truppen auf dem Hauptkricgscharrplatz 
bestanden. Gewiß hat Deutschland für das türkische Heer 
und Volk reichliche Opfer gebracht» doch wäre cs undanibar, 
je tzt in der Schicksalswende nur hierüber Klage zu führen. Es ist 
Pflicht der Deutschen, dagegen die alsbaldige Bereitschaft des 
ihnen innerlich nahestehenden türkischen Oberkommandiercn- 
den Enver Pascha zum Bündnis, seine nachher oft bewiesene 
Selbstlosigkeit und entsagungsfähigeGroßzügigkest indieWag- 
schale zu werfen und seiner, wie der Opfer seines braven Land- 
volkes für die gemeinsamen Znle dankbar eingedenkzu bleiben. 
Sind Blindgänger dem Ackerbau gefährlich? 
Non Otw Rieblcke. 
Es wird oft die Frage aufgeworfen, ob ein Blindgänger 
noch durch Pflügearbeit zum Zerspringen gebracht werden 
kann. Abgesehen davon, daß die Mechanik des Zünders durch 
die lange Erdlagerung eingerostet und untätig geworden ist, 
läßt sich kaum annehmen, daß ein Geschoß, das mit derWucht 
zweier aufeinanderprallender V-Züge in vollster Geschwin- 
digkest in den Erdboden rast und nicht explodiert, nun 
durch den gerirrgen Anstoß eines Ackergerätes krepieren wird.
	        
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