Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/1!». 
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Saarbecken an, weil dieses Gebiet im Jahre 1815 widerrecht 
lich von Frankreich losgerissen worden sei. Das gab dein neue»» 
deutschen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Grafen 
Brockdorff-Rantzau (siehe Bild Seite 404), Anlatz, sich in einer 
Note gegen die französischen Übergriffe zu wenden und 
daraus hinzuweisen, datz ihn das Unglück Deutschlands nicht 
darin wankend machen könne, auf der Anwendung des 
Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu bestehen. 
Dieses zu retten, schien nur dann möglich, wenn die 
feindlichen Völker aus ihrem Siegesrausch erwachten und 
den Staatsmännern ihren Willen zum Frieden in eindrucks 
voller Weise kundgaben. Vorbereitungen dazu leiteten die 
Sozialisten der feindlichen'Länder unter Führung der Eng 
länder ein. Sie planten für den Anfang des neuen Jahres 
eine Sozialistenkonferenz in der Schweiz, ander auch die So- 
zialdemokrateu der Mittelmächte teilnehmen sollten. Der Plan 
fand wenig Unterstützung. Clemenceau und Lloyd George 
waren vor einem Volkssturm sicher, nur die italienische Regie 
rung mutzte einige Rücksicht auf die Stimmung der Massen 
nehmen, unter denen es infolge der wirkungsvollen Arbeit 
russischer Bolschewiki schon zu brodeln begaim. Das be 
wirkte auch, datz Bissolati aus der Regierung austrat 
und mit Unterstützung eines großen Teiles der italieni 
schen Presse die italienischen Ansprüche auf Gebietszuwachs 
jenseits der Adria bekämpfte. In England und Frank 
reich fehlte es noch 
an Sturmzeichen, 
wenn auch in Eng 
land Soldaten 
kundgebungen Zur 
Herbeiführung ei 
ner rascheren Ent 
lassung aus dein 
Heeresdienst statt 
gefunden hatten. 
Trotzdem wa 
ren die Verbands 
mächte nicht ge 
willt,ihre Truppen 
ohne ganz beson 
deren Zwang in 
neue Kämpfe zu 
verwickeln. Ihre 
Abneigung gegen 
umfangreiche neue 
militärische Unter 
nehmungen wurde 
erkennbar in der 
Einstellung des 
Krieges gegen die 
russischen Bolsche 
wiki. Die Sow 
jetherrschaft, die 
gegen Ende November nur noch auf schwachen Füßen 
stand, gewann wegen der Erleichterung der außenpoliti 
schen Lage wenigstens in militärischer Hinsicht neue 
Lebenskraft. Die Westmächte hatten zunächst beabsich 
tigt, je 200 000 Mann der Streitkrüfte der Vereinigten 
Staaten, Englands und Frankreichs in Rutzland ein 
marschieren zu lassen und dort die bürgerliche Ordnung 
wiederherzustellen. Odessa und Sebastopol waren bereits 
besetzt worden. Trotz der Furcht vor dem Bolschewismus 
führte man aber den schon eingeleiteten Feldzug nicht durch. 
Man berief sich auf die ungünstige Jahreszeit, die gerade die 
Bolschewiki benutzten, um sich zum Entscheidungskampfe 
zu rüsten. Der Vielverband beschränkte sich plötzlich auf 
kleine Unternehmen, die einige Kriegschiffe und Landungs 
abteilungen in der Ostsee und im Schwarzen Meere aus 
führten (stehe die Bilder Seite 423 und den Sonderbericht 
aus Seite 424). 
Die Verbündeten hofften auf Abwendung der Gefahr 
durch die noch im Osten stehenden deutschen Truppen. 
Diesen waren aber autzer der Besetzung feindlichen Gebietes 
keine militärischen Aufgaben mehr gestellt» und außerdem 
hatten sie den nicht mehr zurückzudrängenden Wunsch, so 
rasch wie irgend möglich heimzukehren. Ihr Abmarsch 
war bereits im November eingeleitet worden, doch vollzog 
er sich, je länger er dauerte, desto planloser. Die wachsende 
Bolschewikigefahr verschlimmerte die Zustände, so datz schlietz- 
lich nicht einmal mehr Truppen zur Deckung des Rückzuges 
verfügbar blieben. Ain 31. Dezember erhielt die Regierung 
in Berlin einen Funkspruch aus Nikolajew in der Ukraine, 
datz die Heiinkehr der deutschen Truppen der Schwarzmeer 
streitkräfte, die ihren Abmarsch aus Odessa bereits bewerk 
stelligt hatten (siehe Bild Seite 420/421), zu Laird nicht mehr 
möglich sei, da der Bahnschutz in der Ukraine völlig zusam 
mengebrochen und die Rettung der 25 000 abgeschnittenen 
Deutschen nur noch zu See möglich sei. Ähnliche Nachrichten 
trafen von allen anderen deutschen Streitkräften im Osten 
ein. Als kein Zweifel mehr bestehen konnte, datz die Deut 
schen unter allen Umständen rasch abziehen wollten, bildeten 
die Deutschbalten eine Schutztruppe gegen die Bolschewiki. 
Die deutschen Bataillone versuchten, eine „Eiserne Division" 
zur Deckung des Rückzuges aufzustellen, die im Verein rnit 
den Deutschbalten das Vordringen der Gegner verhindern 
sollte, aber auch sie versagte. 
Am 1. Januar 1919 hatten die Bolschewiki in der Richtung 
auf Riga so beträchtliche Fortschritte gemacht, datz die 
Deutschen die Räumung der Stadt beschlossen. An der 
Silvesternacht waren die Truppen der „Eisernen Division" 
nach Räumung ihrer bedrohten Stellungen bei Hinzenburg 
auf die Jägelstellung wenige Kilometer östlich von Riga 
zurückgegangen. Von hier aus war der Abmarsch der 
Deutschen aus Riga wohl zu verzögern, aber nicht abzu 
wenden, wenn man die Zerstörung Rigas im Kampf 
verhüten wollte. 
Die deutsche Ge 
sandtschaft siedelte 
deshalb nach Mi- 
tau über. — 
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❖ 
Auch den Polen 
drohte die Bolsche- 
wikigefahr, gegen 
die sie allein mili 
tärisch ohnmächtig 
waren. Als die 
Bolschewiki gegen 
Wilna vorrückten, 
verliest die litau 
ische Regierung die 
Stadt und verlegte 
ihren Sitz nach 
Kowno. Die Polen 
rückten am 3. Ja 
nuar in Wilna ein, 
gingen aber auf 
die von den Li 
tauern angebote 
nen Verhandlun 
gen über eine ge 
meinschaftliche 
Verteidigung der Stadt gegen die Bolschewiki, den gemein 
samen Feind, nicht ein. Die Polen dachten daran, die 
Stadt ihrer Republik einzuverleiben, wobei ihnen zustatten 
kam, datz auch die Deutschen Anstrengungen machen mutzten, 
den Ort zu halten. Der Vorsitzende des Soldatenrats der 
deutschen 10. Armee traf in Berlin ein und forderte die 
Entsendung „geschlossener" Truppenteile in die Gegend 
von Wilna, um den Rückzug der Deutschen sicherzustellen 
und die Verbindung nrit der Ukraine aufrechtzuerhalten. 
Die Polen führten inzwischen auch den Krieg gegen 
Deutschland unter Billigung der Westmächte in den Pro 
vinzen Westpreutzen, Posen und Oberschlesien weiter. Der 
Minister Pichon gab im französischen Parlainent offen zu, 
datz die Feinde, voran die Franzosen, die polnische Bewegung 
gegen Deutschland leiteten. Auf diesem Gebiete bestand 
aber Uneinigkeit zwischen den Verbündeten. Paderewski, 
der Präsident der polnischen.Republik, lietz sogar verlauten, 
datz die Westmächte die weitgehenden Ansprüche der Polen 
auf deutsches Gebiet nicht gut hießen. Gerade deswegen 
verlairgte er die Eroberung der drei deutschen Provinzen 
Posen, Schlesien und Westpreutzen, um die Friedens 
konferenz vor eine vollendete Tatsache zu stellen. Die Polen 
begnügten sich nicht mit der Eroberung der polnischen 
Teile der Provinz Posen, sondern gingen auch gegen die 
überwiegend deutschen Gebietsteile der genannten drei 
Provinzen vor. Die Berliner Regierung wurde voll 
kommen überrascht. Während sie Tag für Tag verkünden 
Phot. Leipziger Presse-Büro. 
Von den Franzosen aus dem Elsatz ausgewiesene Deutsche überschreiten auf ihrer Flucht mit 
ihrer Habe die Rheinbrücke von Stcaßburg nach Kehl.
	        
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