Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
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zu unternehmen, einen 
Ansturm, der für die 
Bolschewik! umso ernster 
ist, als aus Sibirien, bei 
dem Versagen der ukra 
inischen Versorgungsge 
biete, die ganze Ge 
treidelieferung für West- 
rußland zu erfolgen hat. 
England und Frankreich 
schüren den Streit. Sie 
erhoffen eine Kriegser 
klärung der Republik Si 
birien gegen Deutschland, 
sie erhoffen das Eingrei 
fen eines amerikanischen 
Hilfskorps, das, wenn 
die Japaner sich weiter 
weigern werden, den 
Kernpunkt einer neuen 
östlichen Armee bilden 
könnte. Man sieht, die 
Herrschaftenrechnennicht 
mit einem raschen Kriegs 
ende, sondern spekulieren 
auf eine recht ferne Zu 
kunft. Als neuester Ver 
breiter dieses Gedankens 
bereist Kerenski die Verbandsländer, aber er ist erfahren 
und klug genug, um überall zu verkünden, mit Flickwerk 
sei es da nicht getan, die auftretende Armee müsse recht be 
trächtlich stark sein. 
Die tschechoslowakischen Truppen haben eine lange Kette 
von Erfolgen erzielt. Sie sind, nachdem sie ihren Zug 
nach Osten unterbrochen hatten, wieder westwärts gezogen 
und haben ziemlich mühelos eine Reihe von Städten an 
der sibirischen Bahn besetzt. „In Westsibirien gibt es 
keine bolschewistische Regierung mehr," verkünden stolz 
französische und englische Blätter, die die Hoffnung auf 
gegeben haben, daß man sogar die Bolschewiki noch zum 
Umschwenken ihrer Politik gewinnen könnte. Man muß 
hinzufügen, daß sich das vorläufig höchstens auf die Bahn 
linie beziehen kann, denn nur an dieser entlang haben 
die Tschechoslowaken wohl ihre Truppen. Aber diese Bahn 
linie ist gerade das wichtige für die bolschewistische Rah- 
rnngsmittelverpflegung. 
Alle diese Erfolge der Verbands-Vortruppen aber sind vor 
läufig noch nicht endgültig. Lenin 
Und Trotzki rüsten erst zum Gegen 
stoß. Sie benutzen die Gelegen 
heit, eine neue bolschewistische Ar 
mee zu gründen, wohl gar nicht 
ungern. Denn sie brauchen diese 
Armee nicht nur, um die Tschecho 
slowaken Fu bekämpfen, sondern 
um in ihnen die monarchistischen 
und kadettistischen antibolschewi 
stischen Elemente zu treffen, die 
gegen ihre Regierung auftreten. 
Die Bolschewik! scheinen recht 
großzügig vorzugehen, und Trotzki 
versichert, daß sich die Lage bald 
„radikal ändern" werde. Erscheint 
auch noch tschechoslowakische Ver 
bände zu geben, die den Sowjets 
treu geblieben sind, weil bei ihnen 
die bolschewistische Grundüberzeu 
gung über die hohe Politik geht. 
Vertreter dieser treu gebliebenen 
Truppen sind nach Osten entsandt 
worden, um mit den Brudertrup 
pen zu verhandeln. Es wäre also 
im gegenwärtigen Zeitpunkt ver 
früht, ein Urteil über den tschecho 
slowakischen Aufstand und seine 
Aussichten abgeben zu wollen. 
Für uns Deutsche besteht aller 
Grund, ihn aufmerksain zu ver 
folgen. Siegt der Aufstand, so 
siegt damit der Verband, und 
es wächst eine neue Ost 
gefahr heran. Siegt da 
gegen der Bolschewis 
mus, so hat er immer 
hin zwar mit längerer 
Lebensdauer zu rechnen, 
aber er hat auch ein 
neues Heer, von dem 
man unter Umständen 
allerhand Überraschungen 
erleben kann. Die poli 
tische Lage im Osten ist 
nach dem Friedenschlutz 
verworrener denn je. 
Aber Hindenburg und 
Ludendorff werden schon 
dafür sorgen, daß sie im 
Westen größere Klarheit 
gewinnt, und dieses Licht 
wird dann wohl auch nach 
dem Osten ausstrahlen. 
Jetzt wird der Krieg im 
Westen entschieden, und 
dort fällt auch die Ent 
scheidung über alle noch 
schwebenden Fragen des 
Ostens. 
Die Schlacht zwischen Soissons und Reims. 
Von Kriegsberichterstatter Eugen Kalkschmidt. 
II. 
«Hierzu das Bild,Seite 17.) 
Jenseits der Aisne betraten unsere Divisionen ein vom 
Kriege noch völlig unzerstörtes Gebiet. Im Jahre 1914 
waren unsere Truppen auf dem Vormarsch hier siegreich 
durchgezogen, man durfte neugierig sein, wie sich der Feind 
jetzt zu unserem Angriff stellen würde. Ob ein weiteres 
Vordringen in breiter Front bis an die Marne von vorn 
herein im Plane der deutschen Heeresleitung lag, möchte ich 
dahingestellt sein lassen. Auf Grund der reichen Erfolge 
in den ersten zwölf Stunden war jedenfalls die energische 
Verfolgung des geschlagenen Gegners das zwingende Ge 
bot des Tages (siehe Bild Seite 17). Die Mitte der deut 
schen Kräfte, die Korps der Generale v. Winckler, v. Conto 
und v. Schmettow stießen noch am Nachmittag des 27. Mai 
dem Feinde nach und erklommen die Hochfläche zwischen 
Aisne- und Vesletal. Die Vesle, 
die bei Conds in die Aisne mün 
det, fließt von Reims her westlich 
und ungefähr gleich zum Unter 
lauf der Aisne. Das Zwischen 
gelände ist 8 bis 10 Kilometer tief 
und in seinem Aufbau ähnlich 
dem langgestreckten Hügelrücken 
des Damenweges, nur nicht so 
ausgedehnt und weniger befestigt. 
Immerhin beträgt der Höhen 
unterschied zu den Flußtälern etwa 
100 Meter, genug, um eine zähe 
Verteidigung mit Hilfe dieses na 
türlichen Hindernisses ins Werk 
zu setzen. 
Jedoch die Franzosen waren 
so völlig in Verwirrung geraten, 
daß sie keinen ernsthaften Wider 
stand mehr leisten konnten. Rasch 
vorgeworfene Verstärkungen ver 
suchten, sich auf den Höhen bei 
Rövillon festzusetzen, mußten aber 
rasch abbauen. In Fismes wur 
den Hals über Kopf die erreich 
baren Abschnittreserven ausge 
laden: 3 französische und 1 eng 
lische Division wurden tropfen 
weise eingesetzt, aber von den 
zurückflutenden Kolonnen mitge 
rissen. Rach den außerordentlichen 
Verlusten an Artillerie im Aisne- 
tal fehlte es dem Gegner an ver- 
Phot. Kriegsberichterstatter Herold. 
Russische Revolutionsfahne, deren Vorderseite Kerenski zeigt, wie er die Zaren- 
krone zertrümmert. 
Phot. Berl. Jllustrat.-Ges. m. b. H. 
Der frühere russische Zar Nikolaus II. als Gefangener in 
Zarskoje-Selo vor seiner Überführung nach Tobolsk. 
Hinter ihm feine Wache. — Er wurde am 16. Juli 1918 in 
Jekaterinenvurg auf Befehl des Nralsowjets erschossen.
	        
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