Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1814/18. 
Ubecfchiffung Verwundeter über die Piave während der Montelloschlacht. 
vergrößert hat, den männlichen Ar 
beitern den Platz nicht wegnehmen. 
Muß doch stets erwogen werden, daß 
uns insgesamt von diesen zwei bis 
drei Millionen weniger zur Ver 
fügung stehen werden als vorher. 
Und schließlich kann man, wo es auf 
körperliche Arbeit mit ankommt, die 
weibliche Arbeitskraft der männlichen 
nicht gleichsetzen. 
Die chemische Industrie beschäf 
tigte 1913 unter 180 600 Arbeitern 
146 000 erwachsene männliche. Auch 
sie wird nach Friedenschluß übervoll 
beschäftigt sein, selbst wenn sie keine 
Kriegsaufträge mehr hat. Der Hunger 
nach Deutschlands Teerfarben, nach 
seinen pharmazeutischen und son 
stigen Artikeln ist in der ganzen Welt 
ungeheuer. Und die chemische In 
dustrie hat im Krieg neue Fabri 
kationsmethoden aufgenommen, die 
auch nach Friedenschluß größte Be 
deutung haben werden, so die Stick 
stoffgewinnung, die nicht nur unsere 
Landwirtschaft von Chilisalpeter un 
abhängig machen wird, sondern auch 
eine bedeutende Erportindustrie zn 
werden verspricht. 
Die Papierindustrie leidet jetzt 
schwer unter dem Mangel an Holz, 
Kohlen und Harz. Mit dem Aufhören 
des Massenverbrauchs der Heeres 
verwaltung an Holz wie an Zellu 
lose, mit dem der Rüstungsindustrie 
an Kohlen, werden ihr diese wich 
tigsten Rohstoffe wieder ausreichend 
zur Verfügung stehen. Ihr Material 
bedarf ist nicht so groß, daß dessen 
Einfuhr nicht rasch bewerkstelligt wer 
den könnte; auch sie wird daher rasch 
wieder in vollen Betrieb kommen» 
damit aber auch die Herstellung und 
Ausfuhr von Papierwaren. 1913 
waren von den nicht ganz 200 000 in 
dieser Industrie beschäftigten Arbeits 
kräften 115 000 erwachsene männ 
liche. Da der Betrieb jetzt stark ein 
geschränkt ist, ist er recht aufnahme 
fähig für die aus dem Felde Zurück 
kehrenden. 
Die Industrie der Holz- und 
Schnitzstoffe beschäftigte 1913 unter 
554 000 Arbeitskräften 383 000 er 
wachsene männliche. Sie, zu der die 
Möbelfabrikation und das ganze Tisch- 
lerhandwrrk gehören, sieht einer glän 
zenden Geschäftslage nach Frieden- 
schluß entgegen. Das Bedürfnis nach 
Möbeln ist gewaltig. Ersatz für in 
Abgang geratene konnte während 
des Krieges nicht beschafft, Neuein 
richtungen konnten nur ganz aus 
nahmsweise geliefert werden. Die 
Nachfrage wird mit dem Bedürfnis 
der Gründung eines eigenen Haus 
halts nach Friedenschluß so stürmisch 
werden, daß sie in Jahren nicht befriedigt werden kann. 
Es fehlt freilich an Holz, Leim, Schellack, Politurspiritus, 
lassen^' b0 ^ b0S 03 tb ^ verhältnismäßig rasch beschaffen 
Auch beim Baugewerbe wird es nicht an Arbeits 
gelegenheit fehlen. Zunächst gibt es hier eine Menge Re 
paraturen, die sehr viel Arbeitskräfte in Anspruch nehmen 
werden. Das gleiche werden viele Umstellungen der Jn- 
ouitne aus Friedensbetrieb fordern. Sodann aber macht 
sich vielerorts ein lebhaftes Bedürfnis nach Neubauten gel- 
tend. Das gesamte Baugewerbe wird jeden Mann ver 
wenden können, der früher darin tätig war, und noch viele 
andere dazu- 
Von den größeren Industrien sind es eigentlich nur die 
Lederindustrie, die Tertilindustrie und das Bekleidungs 
gewerbe, die nicht in der Lage sein werden, den vollen Be 
trieb sobald aufzunehmen. Der Lederindustrie fehlt es an 
Häuten, zum Teil auch an Gerbstoffen und Fetten. Hier 
wird also die Friedensbeschäftigung (1913 unter 121000 Ar 
beitskräften 91500 erwachsene männliche) noch einige Zeit 
auf sich warten lassen. Das gleiche gilt von der Tertilindu- 
strie. Wir sind entblößt von Wolle, Baumwolle und Jute. 
Die Weltvorräte an Wolle und Baumwolle sind während 
des Krieges durch geringe Schurergebnisse, verminderten 
Anbau und schlechte Ernten, aber auch durch verstärkte 
Abnutzung der Kleider stark zurückgegangen. Von den 
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Nach einer Originalzeichnung des Kriegsmalers Theo Matejko. 
956 000 im Jahre 1913 in der Tertilindustrie Beschäftigten 
waren über 400 000 erwachsene männliche Arbeiter. Ein 
Teil von ihnen wird weiter in der Verarbeitung von Er 
satzstoffen Verwendung finden, ein anderer aber sich zu 
nächst einem anderen Beruf zuwenden müssen. Da die 
Tertilindustrie in bestimmten Gegenden heimisch ist, werden 
diese zunächst erheblich darunter leiden. Mit der Leder- 
und der Tertilindustrie wird auch das Bekleidungsgewerbe 
in Mitleidenschaft gezogen. Von den 1913 in ihm beschäf 
tigten 431000 Arbeitskräften waren nur 112000 erwach 
sene männliche. Zu einem großen Teil werden sie Er- 
atzstoffe verarbeiten und Ausbesserungen vornehmen; allzu 
groß wird darin die Zahl der auch nur vorübergehend Be 
schäftigungslosen nicht werden, da 
Brklriduugstücke beschafft werden 
müssen und die Haltbarkeit der Er 
satzstoffe nicht groß ist. Noch weniger 
wird das im Rsinigungsgewerbe der 
Fall sein. 
Die Begleitbatterien der 
Infanterie. 
Von Generalleutnant z. D. Baron v. Ar- 
denne. 
IHicrzn die Kunstbeilage.) 
Der Weltkrieg hat die Kampf 
formen aller Waffengattungen und 
ihre taktische Verwendung von Grund 
aus verändert — nicht zum wenigsten 
die der Artillerie. Während vor dem 
Kriege als Nachklang der Napoleo- 
nischen und der deutscherseits nach 
1870/71 geübten Taktik lange, zu 
sammenhängende Geschützfronten auf 
oder dicht hinter den Kämmen be 
herrschender Höhenzüge als Stellun 
gen gesucht wurden, unter einheit 
licher Feuerleitung stehend, und mit 
einem Vorgelände, das außerhalb der 
Schußweite des Jnfanteriegewehres 
lag, hat der Weltkrieg diese Grund 
sätze durch seine Erfahrungen umge 
stoßen. Die kämpfenden Batterien 
müssen sich jetzt je nach den Deckun 
gen des Geländes ihre Stellungen 
selbst suchen, die Leitung des Feuers 
bleibt ihnen nach Maßgabe der räum 
lichen Trennung selbst überlassen, ein 
weites Schußfeld außerhalb des feind 
lichen Jnfanteriefeuers kann nicht 
mehr beansprucht werden, und die 
ausschlaggebende Parole lautet: „Ran 
an den Feind." Auch die Ansicht, daß 
die Feuerwirkung von oben nach 
unten besonders stark sei, hat sich 
geändert. Einen sanft geneigten 
Hang von unten nach oben zu be 
streichen ist jetzt das eifrig gesuchte 
Bestreben auch in ganz großen Ver 
hältnissen, wie die Kämpfe am 
21. September 1918 zwischen Cam- 
brai und St. Quentin genügsam be 
wiesen haben. 
Eine Anforderung der Friedens 
ausbildung ist aber geblieben, näm 
lich die des Zusammenwirkens von 
Infanterie und Artillerie in allen 
taktischen Lagen — die Befolgung 
der „Zweiwaffentaktik". Zu Anfang 
des Krieges war die Gewöhnung dar 
an noch nicht in Fleisch und Blut 
der Truppen übergegangen. Die 
Schlacht von Longwy im Jahre 1914 
ließ zum Beispiel die rechtzeitige Un 
terstützung der Infanterie durch die 
Artillerie eine — allerdings kurze — 
Spanne Zeit vermissen. Bald aber 
wurde der innere Zusammenhang 
beider Waffen gefunden, und zwar 
in dem Grade, daß eine größere Jnfanterieunternehmung 
ohne Vorbereitung und dauernde Begleitung durch Artillerie 
ganz undenkbar ist. Diese Verbrüderung geht so weit, 
daß selbst in den gefährlichsten Augenblicken die Artillerie 
zur Selbsterhaltung die Infanterie nicht verlassen darf. 
Nichts erschüttert das Zutrauen der letzteren mehr» als das 
Zurückgehen der Batterien während des Gefechtes. Im 
Loirefeldzug 1870, im Treffen von Ehateaudun, gewann die 
bayrische Batterie Ollivier besonderen Ruhm, weil sie auf 
dem Gefechtsfelde aushielt, obgleich sie ihre gesamte Muni 
tion verschossen hatte. Die Kanoniere setzten sich auf die 
Geschützrohre und sangen die Wacht am Rhein. Das 
stärkte die schwer erschütterte Infanterie zum Aushalten bis 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18.
	        
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