Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
bis Priboi vor, um mit den -montenegrinischen Truppen 
bei Plewlje Fühlung zu nehmen. König Nikita siedelte mit 
der montenegrinischen Regierung von Cetinje nach Pod- 
goriha über. Gleichfalls am 28. Juli gelang es einer kleinen 
Abteilung Pioniere im Verein mit Mannschaften der 
Finanzwachen, zwei serbische Dampfer, mit Munition und 
Minen beladen, wegzunehmen. Die Pioniere und Finanz 
wachen überwältigten nach kurzem, aber heftigem Kampfe 
die an Zahl überlegene serbische Schiffsbesatzung, setzten 
sich in den Besitz der Dampfer samt ihrer gefährlichen 
Ladung und liehen sie von zwei österreichischen Donau 
dampfern fortschleppen. Mer die Vorwärtsbewegung 
der Serben wurde bekannt, daß im Morawatal eine Zu 
sammenziehung der Truppen bei Uzice und Vojavewta 
stattfinde. Die „Narodna Odbrana" bilde ein Freiwilligen 
korps. Die Verpflegung und Munition der Serben seien 
sehr mangelhaft. Die Serben wollten ihren Hauptstoß nach 
Bosnien richten, weil sie hofften, bei der daselbst zahlreich 
ansässigen serbischen Bevölkerung Unterstützung zu finden, 
eine Hoffnung, die durch das österreichtreue Verhalten der 
bosnischen Bevölkerung gründlich getäuscht wurde. 
Gleich nach Beginn der Kriegsoperationen kam die 
Nachricht, daß Belgrad von den Österreichern besetzt worden 
sei. Es hieß sogar, die Österreicher hätten die keineswegs 
befestigte Stadt bombardiert. Alle diese Nachrichten ent 
sprachen nicht den Tatsachen. Am 30. Juli brachten aber 
verschiedene deutsche Blätter eine Depesche folgenden In 
halts: 
„Wien, 30. Juli. Nach einer in den Straßen an 
geschlagenen Kundgebung sind bei der Einnahme von 
Belgrad durch die Österreicher zwei Oberleutnants leicht 
verletzt worden. Als erste betraten die Jnfanterieregimenter 
Nr. 68 und 44 serbischen Boden. Bis Mittag waren alle 
wichtigen Punkte der Stadt von den Österreichern besetzt, 
worauf die Wirksamkeit der österreichisch-ungarischen Kriegs 
gesetze für Belgrad in Geltung trat." 
Trotz dieser Einzelheiten schien die Einnahme Belgrads 
doch noch auf sich warten zu lassen, denn die weiterhin 
gemeldeten Kämpfe an der Grenze dieser Stadt ließen 
darauf schließen, daß man zunächst keinen Wert auf die 
Eroberung dieses nur unbedeutend befestigten Platzes legte. 
Vielmehr spielten sich alle wichtigeren militärischen Opera 
tionen an der bosnischen Grenze ab, an der Drina und der 
Save. 
Die Sicherungslinie der österreichischen Truppen an der 
Drina wurde unter kleineren Kämpfen bis an den Haupt 
arm dieses Flusses vorgeschoben. Auf österreichischer Seite 
wurde ein Mann getötet, auf serbischer Seite zehn Mann. 
Serbische Banden versuchten vergebens, Bjelina zu be 
unruhigen. 
Am 30. Juli wurde der große ungarische Schlepp 
dampfer „Mlotmany" mit einem großen Boot im Schlepp 
tau von serbischer Seite mit Feuer überschüttet. Das 
Schiff geriet in Brand, der aber bald gelöscht wurde, worauf 
der Schleppdampfer nach dem österreichischen Ufer zurück 
kehrte. Von den fünf Mann der Besatzung wurden zwei 
getötet und einer verwundet. Das Manöver des Dampfers 
hatte seinen Zweck erreicht, nämlich festgestellt, daß die Bel 
grader Festung nicht geräumt, sondern von zahlreichen 
Verteidigern noch besetzt war. 
Am 30. Juli wies ein Zrkg Grenzjäger einen überlegenen 
serbischen Angriff bei Klotjevac zurück, ohne selbst Ver 
luste zu erleiden. Die Serben büßten dabei einen Offizier 
und zweiundzwanzig Mann ein. Am nächsten Tage kam 
es zu einem heftigen Vorpostengefecht an der Save, bei 
dem von österreichischer Seite auch Artillerie und Flug 
zeuge eingriffen. Am 30. Juli bezogen serbische Vor- 
truppen südlich von Belgrad bei Adla die erste Verteidigungs 
stellung. Die Hauptkräfte wurden jedoch zwischen Arangelo- 
watsch und Usice konzentriert. Ein tollkühnes Wagestück 
unternahmen zwei Grenzjäger aus Mährisch-Schönberg. 
Sie durchschwammen die mittlere, stark angeschwollene 
Drina unter feindlichem F^uer und zerstörten die am feind 
lichen Ufer befindliche serbische Telephonleitung. 
Große Massen serbischer Deserteure überschritten bei 
Peterwardein die österreichische Grenze. Am 3. August 
hatten sich bereits achttausend Deserteure gemeldet, darunter 
ein Oberst, der zwei Tage vor Kriegsausbruch seinen Urlaub 
angetreten hatte. Die Deserteure wurden nach Komorn 
und Arad befördert. 
Im großen und ganzen waren es innerhalb dieses Zeit 
raumes nur unbedeutende Gefechte und Plänkeleien, die 
sich zwischen den Österreichern und Serben abspielten. Für 
viele Ungeduldige waren die Fortschritte, welche die Öster 
reicher in Serbien machten, viel zu langsam. Man übersah 
dabei, daß erst die Armee mobilisiert und der Aufmarsch 
vollendet sein mußte, ehe es zu größeren Schlägen kommen 
konnte. Wären die Österreicher mit den wenigen Soldaten, 
die sie in aller Eile an die Grenze geworfen hatten, in 
Serbien einmarschiert, so wären sie trotz des trostlosen Zu 
standes der serbischen Armee aufgerieben worden. Die 
kleinen Plänkeleien hatten nur den Zweck, Standort und 
Stärke des Feindes zu ermitteln, um hiernach den Kriegs 
plan zu entwickeln und zu größeren Schlägen auszuholen. 
Daß die Österreicher gute Strategen sind und nicht eher los 
schlagen, als bis sie auf Erfolg rechnen können, hat die 
Folge gezeigt. 
Der österreichische Thronfolger, Erzherzog Karl Franz 
Joseph, war am 2. August in Budapest eingetroffen und 
wurde von der Bevölkerung begeistert begrüßt. 
Anfang August begann es sich an der österreichisch 
russischen Grenze zu regen. Rußland betrachtete sich be 
reits als im Kriegszustände mit Österreich und hatte deshalb 
die Depesche des deutschen Botschafters nicht durchgelassen. 
Die österreichische Grenzwache wurde von den Russen lebhaft 
beschossen, womit die Feindseligkeiten von seiten Rußlands 
eröffnet waren. Am 2. August wurde an der österreichisch 
russischen Grenze, nördlich von Lemberg, ein Flugzeug, 
System Sikorsky, mit einem russischen Piloten, einem Be 
gleitoffizier und einer Nutzlast von österreichischen Truppen 
heruntergeschossen. Die beiden russischen Offiziere, die 
verletzt waren, wurden gefangen genommen. 
Die russischen Feindseligkeiten begannen unter einem 
günstigen Vorzeichen für Österreich. Die Polen waren jetzt 
in der Stunde der Gefahr die treuesten Anhänger der öster 
reichischen Regierung. Es hatte sich in Österreich bei allen 
Parteien dieselbe Wandlung vollzogen wie in Deutschland. 
Überall waren die Widersprüche und Gegensätze verstummt, 
alles hatte nur den einen Gedanken, dem Vaterlande in 
der Not mit Gut und Blut beizustehen. Das Präsidium 
des Polenklubs veröffentlicht eine Kundgebung, worin die 
polnische Bevölkerung aufgefordert wird, sie möge in dem 
schweren Augenblick treu zu dem stehen, mit dem sie die 
Wohltaten des Friedens geteilt habe. Die Vertretung der 
polnischen Bevölkerung dieses Landes bringe dem Mon 
archen ihre Huldigung dar und bekunde vor der Welt, daß 
die Polen das Vertrauen des Monarchen nicht enttäuschen 
würden. Die Polen dieses Landes verständen und fühlten 
es, daß in diesem Augenblick das Schicksal Europas ent 
schieden werden solle und daß die Treue gegenüber dem 
Monarchen und die Fürsorge für die Monarchie rnit den 
Interessen ihres Volkes übereinstimmten. 
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* 
Das Schlagwort von der Hinterhältigkeit unserer lieben 
Vettern jenseits des Kanals („perfides Albion") ist fran 
zösischen Ursprunges. Marianne, die Schutzpatronin Gal 
liens, hatte oft genug Gelegenheit, sich über die Treulosigkeit 
ihres Galans zu beschweren. 1789, während der fran 
zösischen Revolution, kam bereits die Redensart vom per 
fiden Albion auf, und unterm 27. Juli 1840 schrieb Heinrich 
Heine: „Der Krieg mit dem ,perfiden Albion' sei die Parole 
aller Franzosen mit Ausnahme der Legitimisten, die ihr 
Heil nur vom Ausland erwarteten." Wie ist es nun heute? 
Sicherlich nicht anders; denn die Geschichte lehrt deutlich, 
daß die Erwartung des Heils vom Auslande, besonders aber 
von England, die Gefahr bitterer Enttäuschung in sich 
birgt. Englands Politik bestand ja von jeher darin, aus 
fremdem Rohre die eigenen Pfeifen zu schneiden. Die 
Franzosen aber machten Chauvinismus und Revanche- 
gelüste blind für eine solche Erkenntnis. Schon Heinrich 
Heine sagt im dritten Teil der „Französischen Zustände": 
„Die Engländer haben sehr viel von jener brutalen 
Energie, womit die Römer die Welt unterdrückt, aber sie 
vereinigen mit der römischen Wolfsgier auch die Schlangen 
list Karthagos. Gegen erstere haben wir- gute und sogar 
erprobte Waffen, aber gegen die meuchlerischen Ränke 
jener Punier der Nordsee sind wir wehrlos. Und jetzt ist 
England gefährlicher als je, jetzt, wo seine merkantilischen 
Interessen unterliegen — es gibt in der ganzen Schöpfung
	        
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