Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
auch Londoner Blätter. Wenngleich diese Nachrichten dem 
Wiener Vertreter des Wolffschen Telegraphenbüros gegen 
über von seiten Rußlands amtlich in Abrede gestellt wurden, 
so hat die spätere Erfahrung doch gezeigt, daß dieses 
Dementi nichts war, als ein Glied in der Kette von Lügen, 
durch welche die deutsche Kriegsbereitschaft verzögert werden 
sollte. Denn die Mobilisierung der russischen Armee war 
bereits im Gange und die Absicht des gemeinsamen 
Marschierens von Rußland und Frankreich schon so gut 
wie enthüllt. 
Am 28. Juli, dem ersten Mobilmachungstage Österreichs, 
wurde bekannt, daß in Serbien alle Wehrfähigen vom 
18. bis zum 60. Lebensjahre einberufen worden seien. 
Das war gleichbedeutend mit der allgemeinen Mobilisierung. 
Das Hauptquartier befand sich in Risch, wo die Skupschtina 
zusammentreten sollte. König Peter traf am Montag, 
den 27. Juli, in Belgrad ein und begab sich nach dem 
Konak, wo die Königsstandarte gehißt wurde, aber keine 
Wache aufzog. Rach anderthalbstündigem Aufenthalte 
reiste der König im Automobil nach dem Hauptquartier 
ab. Die Mobilmachung schritt angeblich rasch vorwärts; 
doch herrschte bei den Bauern Unzufriedenheit, weil sie 
ihre Ernte im Stich lassen mußten. 
Auch die Nachrichten über die heimliche russische Mobili 
sierung mehrten sich. Österreich, das gegen Serbien nur 
8 Armeekorps aufgestellt hatte, sah sich veranlaßt, am 
31. Juli die gesamte Armee zu mobilisieren; denn die 
Wahrscheinlichkeit wuchs, daß der Krieg auch gegen Ruß 
land geführt werden müsse. 
Auf österreichischer Seite lag die Leitung sowohl der 
Kriegsvorbereitungen als auch der Operationen im Felde 
in den Händen des Generalstabschefs General der Infanterie 
Frei Herrn Konrad v. Hötzendorf(s. Bild S. 3). 
Er ist eine der hervorragendsten Persönlichkeiten des öster 
reichischen Heeres und genießt das größte Ansehen. Er gilt 
als das Haupt der zu energischen Maßnahmen treibenden 
Partei. Generalstabschef ist er jetzt zum zweiten Male. 
Neben dem Eeneralstabschef war der aus der Artillerie 
hervorgegangene Kriegsminister, Feldzeugmeister Ritter 
v. Krobatin (s. Bild S. 3), an den Kriegsvorbereitungen 
am meisten beteiligt. Nach längerer Tätigkeit im Ministerium 
wurde er im Dezember 1912 zum Kriegsminister ernannt, 
gerade in der schwierigen Zeit der Balkankrisis, als ein Teil 
des österreichischen Heeres lange Zeit beinah auf Kriegsfuß an 
der bosnischen und serbischen Grenze versammelt war. Die 
letzten Heeresvermehrungen sind seiner Tätigkeit zuzu 
schreiben. Bei ihrer Durchbringung im Parlament ent- 
wlckelte er großes diplomatisches Geschick. 
Erzherzog Friedrich (s. Bild S. 2) wurde als Nach 
folger des Erzherzog-Thronfolgers Eeneralinspekteur der 
österreichisch-ungarischen Armee und steht damit unter den 
eigentlichen Armee- und Korpsführern an erster Stelle. 
Von den serbischen Heerführern verdient die meiste 
Beachtung der von den Österreichern verhaftete und wieder 
freigelassene Eeneralstabschef Putnik (s. Bild S. 3), der 
sich im Balkankrieg hervorgetan hat. Er ist übrigens, was 
nicht ohne Reiz ist, ein ungarländischer Serbe und Deserteur 
der k. k. Armee. Während Kronprinz Alexander (f. Bild 
S. 2) den gesamten Oberbefehl über das serbische Heer 
übernahm, sind zu Unterheerführern bestimmt worden die 
Generale Bojowitsch, Bozidar, Jankovic, der vielgenannte 
Führer der großserbischen Bewegung, und Stefano witsch 
(s. Bild S. 3). Alle diese Generale haben im Balkankrieg 
als Heerführer Bedeutendes geleistet. 
Am 28. Juli hat Kaiser Franz Joseph nachfolgendes 
Handschreiben erlassen: 
Lieber Graf Stürgkh! Ich habe mich bestimmt ge 
funden, meinen Minister zu beauftragen, der Königlich 
Serbischen Regierung den Eintritt des Kriegszustandes 
zwischen Österreich-Ungarn und Serbien zu notifizieren. 
In dieser schicksalsschweren Stunde ist es mir Bedürfnis, 
mich an meine geliebten Völker zu wenden. Ich beauf 
trage Sie, das anverwahrte Manifest zur allgemeinen Ver 
lautbarung zu bringen. 
Bad Ischl, 28. Juli 1914. 
Franz Joseph m. p. 
An meine Völker! 
Es war mein sehnlichster Wunsch, die Jahre, die mir 
durch Gottes Gnaden noch beschieden sind, Werken des 
Friedens zu weihen und meine Völker vor den schweren 
Opfern des Krieges zu bewahren. Im Rat der Vorsehung 
war es anders beschlossen. Die Umtriebe eines haßerfüllten 
Gegners zwingen mich, zur Wahrung der Ehre meiner 
Monarchie, zum Schutz ihres Ansehens und ihrer Macht 
stellung, zur Sicherung ihres Besitzstandes nach langen 
Jahren des Friedens zum Schwerte zu greifen. 
Mit raschvergessendem Undank hat das Königreich 
Serbien, das von den ersten Anfängen seiner Selbständig 
keit bis in die neueste Zeit von mir gestützt und gefördert 
worden war, schon vor Jahren den Weg offener Feind 
seligkeit gegen Österreich-Ungarn betreten. Als ich nach 
drei Jahrzehnten segensvoller Friedensarbeit in Bosnien 
und Herzegowina meine Herrscherrechte auf diese Länder 
erstreckte, hat diese meine Verfügung im Königreich Serbien, 
dessen Rechte in keiner Weise verletzt wurden, zügellose 
Leidenschaft und bittersten Haß hervorgerufen. 
Meine Regierung hat damals von dem schönen Rechte 
des Stärkeren Gebrauch gemacht und in äußerster Nachsicht 
und Milde von Serbien nur die Herabsetzung seines Heeres 
auf den Friedensstand und das Versprechen verlangt, in 
Hinkunft die Bahnen des Friedens und der Freundschaft 
zu gehen. Von diesem Geiste der Mäßigung geleitet, hat 
sich meine Regierung, als Serbien vor zwei Jahren im 
Kampfe mit dem Türkischen Reiche begriffen war, auf die 
Wahrung der wichtigsten Lebensbedingungen der Monarchie 
beschränkt. Dieser Haltung hatte Serbien in erster Linie 
die Erreichung seines damaligen Kriegszweckes zu verdanken. 
Die Hoffnung, daß das serbische Königreich die Lang 
mut und Friedensliebe in meiner Regierung würdigen und 
sein Wort einlösen würde, hat sich nicht erfüllt. Immer 
höher loderte der Haß gegen mich und mein Haus empor, 
immer unverhüllter trat das Ziel zutage, untrennbare Ge 
biete von Österreich-Ungarn gewaltsam loszureißen. Ein 
verbrecherisches Treiben griff über die Grenzen, um im Süd- 
westen der Monarchie die Grundlagen staatlicher Ordnung 
zu untergraben, das Volk, dem ich in landesväterlicher Liebe 
meine volle Fürsorge zuwandte, in seiner Treue zum 
Herrscherhaus und zum Vaterlande wankend zu machen, 
die Jugend irrezuleiten und zu frevelhaften Taten des 
Wahnwitzes und des Hochverrats aufzureizen. 
Eine Reihe von Mord anschlügen, eine planmäßig vor 
bereitete und durchgeführte Verschwörung, deren furcht 
bares Gelingen mich und meine treuen Völker ins Herz 
getroffen hat, bildet die weithin sichtbare blutige Spur 
jener geheimen Machenschaften, die von Serbien aus ins 
Werk gesetzt und geleitet wurden. 
Diesem unerträglichen Treiben muß Einhalt geboten, 
dem unaufhörlichen Herausfordern Serbiens ein Ende 
bereitet werden, soll die Ehre und Würde meiner Monarchie 
unverletzt erhalten und ihre staatliche, wirtschaftliche und 
militärische Entwicklung vor beständiger Erschütterung be 
wahrt bleiben. Vergebens hat meine Negierung noch einen 
letzten Versuch unternommen, dieses Ziel mit friedlichen 
Mitteln zu erreichen, Serbien durch eine ernstliche Mah 
nung zur Umkehr zu bewegen. 
Serbien hat die maßvolle und gerechte Forderung meiner 
Regierung zurückgewiesen und es abgelehnt, jenen Pflichten 
nachzukommen, deren Erfüllung im Leben der Völker eine 
natürliche und notwendige Selbstverständlichkeit bildet. 
So muß ich denn daran schreiten, mit Waffengewalt 
die unerläßliche Bürgschaft zu schaffen, die meinem Staate 
die Ruhe im Innern und den dauernden Frieden nach 
außen sichern soll. 
In dieser ernsten Stunde bin ich mir der ganzen Trag 
weite meines Entschlusses und meiner Verantwortung vor 
dem Allmächtigen voll bewußt. Ich habe alles geprüft 
und erwogen. Mit ruhigem Gewissen betrete ich den Weg, 
den die Pflicht mir weist. Ich vertraue auf meine Völker, 
die sich in allen Stürmen stets in Einigkeit und Treue um 
meinen Thron geschart haben und für Ehre, Größe und 
Macht des Vaterlandes zu den schwersten Opfern immer 
bereit waren. Ich vertraue auf die tapfere und von hin 
gebungsvoller Begeisterung erfüllte Wehrmacht und ich 
vertraue auf den Allmächtigen, der meinen Waffen den 
Sieg verleihen wird. 
F r a n z I o s e p h m. p. Stürgkh m. p.
	        
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