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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914.
als Admiral der russischen Flotte auch weiterhin bekleiden.
Daß „King George V." ein leiblicher Vetter des Deutschen
Kaisers ist, dürfte bekannt sein. Sein Vater, Eduard VII.,
war der Bruder der Kaiserin Friedrich, der Mutter Wil
helms II. Doch hat ihn, so wenig wie seinen Vater, diese
nahe Verwandtschaft mit dem gegenwärtigen Träger der
deutschen Kaiserkrone daran verhindert, uns feindselig ent
gegenzutreten. Jedenfalls ist nichts davon bekannt ge
worden, daß er sich bei seinem Premierminister und
Ersten Lord des Schatzes Asquith oder bei seinem Staats
sekretär des Auswärtigen Sir Grey irgendwie nach der
Richtung hin hätte durchsetzen können, datz sie ihre deutsch
feindliche Politik nochmals gründlich nachgeprüft und Ver
nunft angenommen hätten. Er befand und befindet sich
in dieser Beziehung vielmehr in ganz der gleichen Lage wie
sein anderer leiblicher Vetter, dem er auch äußerlich so
ähnlich sieht, Zar Nikolaus II. von Rußland. Beide sind
Vettern, denn ihre Mütter sind Schwestern. Die Mutter
des Königs von England, die noch lebende Königinmutter
Alexandra von Großbritannien und Irland, ist die Schwester
der Kaiserinmutter Maria Feodorowna von Rußland, ge
borenen Prinzessin Dagmar von Dänemark.
Nikolaus II. Alexandrowitsch
(Bild auf Seite 58),
Kaiser und Selb st herrsch er aller Reußen,
Zar zu Moskau, Kiew, Nowgorod usw., Herr von Turkistan,
Erbe zu Norwegen, Herzog zu Schleswig-Holstein, Dith
marschen und Oldenburg usw., ist geboren am 6. (19.) Mai
1868 zu St. Petersburg (Petrograd) als ältester Sohn des
Kaisers Alexander III. von Rußland und seiner Gemahlin,
geborenen Prinzessin Dagmar von Dänemark, und folgte
seinem Vater auf dem Thron am 20. Oktober (2. November)
1894. Er steht somit im siebenundvierzigsten Lebensjahr
und im zwanzigsten seiner Regierung. Seine Gemahlin
ist eine geborene Prinzessin Mir von Hessen und bei Rhein,
eine leibliche Base des Deutschen Kaisers; denn ihre Mutter
war eine Schwester der Kaiserin Friedrich. Als Kaiserin
führt sie den Namen Alexandra Feodorowna. Der Zar ist
Chef einer langen Reihe von russischen Regimentern und war
beim Ausbruch des Kriegs auch Inhaber von preußischen,
österreichischen, sächsischen, bayrischen und hessischen Regimen
tern, Ehrenstellungen mit Kündigung auf Gegenseitigkeit.
Seine zweideutige Haltung und Sprache dem ihm bisher
scheinbar aufs engste befreundeten Kaiser Wilhelm II.
gegenüber hat ihm auch in Deutschland vollends alle
Sympathien geraubt, deren letzte das Gefühl des Mitleids
mit einem Herrscher gewesen war, der selbst im eigenen
Lande sein Leben stets bedroht sah.
Von den vier Staatsoberhäuptern, die wir im Bilde
vor uns haben, und mit deren Ländern wir im Kriege
liegen, um unsere Ehre und unsere Existenz gegen ihren
meuchlerischen Werfall zu verteidigen, spielt er mit
Poincare zusammen die widerlichste Rolle.
Man kann nicht sagen, Georg V. von England oder
Albert von Belgien hätten selber ihr Volk beschwindelt, aber
von Nikolaus II. und Poincare wird die Weltgeschichte dies
einst bezeugen müssen, und von Nikolaus II. wird sie außer
dem noch feststellen können, daß er sich nicht scheute, sogar
den ihm befreundeten Herrscher der' deutschen Nation per
sönlich anzulügen, ein Maß von Niedertracht, das kaum noch
überboten werden kann, das aber ein neuer Beleg ist für
den alten Spruch: Wie der Herr, so der Knecht.
Im Kampf der Wahrheit gegen die Lüge wird und muß
aber der endliche Sieg auf seiten der Wahrheit sein, nach
dem alten Wort: Die Wahrheit siegt. Deutsche Ehrlichkeit
und Wahrhaftigkeit wird alle diese Väter der Lüge und
ihre Heerscharen niederringen.
Die gegnerischen führenden Generale.
(Hierzu die Bilder auf Seile 69.)
Der Chef des Allgemeinen französischen Generalstabes,
General Joffre, ist zweiundsechzig Jahre alt. Er begann
seine militärische Laufbahn mit dem freiwilligen Eintritt
in die französische Armee während des Krieges 1870/71, er
rang sich binnen kurzer Zeit das Patent eines Leutnants
und kommandierte während. der Belagerung von Paris
bereits eine Batterie. Er wurde später der afrikanischen
Kolonialarmee zugeteilt, wo er, als die Streitmacht des
Obersten Pannier durch die Tuaregs vernichtet worden war,
mit Auszeichnung die Kolonne führte, die Timbuktu am
Südrand der Sahara besetzte. Er war dann später drei
Jahre Kommandant von Antananarivo, der Hauptstadt von
Madagaskar, um die Organisation der französischen Herr
schaft auf dieser Insel auszubauen. Ins Mutterland zurück
gekehrt, wurde er zum Divisionsgeneral befördert. Er fand
als solcher zunächst im Festungsstabe zu Lille, dann als Kom
mandeur der 6. Infanteriedivision, später des 2. Armeekorps
in Amiens Verwendung. Im Jahre 1910 wurde er Mit
glied des „Oberkriegsrates" und als solches zum Chef des
Generalstabes ernannt, wofür ihn wohl seine hervorragen
den Kenntnisse in den mathematischen Fächern als beson
ders befähigt erscheinen liehen. Gleichwohl enthielt der
ohne Zweifel unter seinem Einfluß und seiner Leitung
ausgearbeitete Plan für den französischen Offensivstoß einige
verhängnisvolle Rechenfehler, denn er scheiterte, wie wir
in den Tagen um den 20. August zu unserer Genugtuung
erfahren durften, gar kläglich.
Über die militärischen Eigenschaften und die bisherigen
Leistungen des Generalissimus der russischen Armee, Groß
fürst Nikolai Nikolajewitsch, ist Näheres nicht bekannt. Er
wurde am 6. November 1856 geboren, ist also achtund
fünfzig Jahre alt; seine Gemahlin ist die Prinzessin
Petrowitsch Njegosch von Montenegro. Die Großväter des
Großfürsten und des jetzt regierenden Zaren waren Brüder.
Man sagt von dem russischen Heerführer, er sei ein ge
waltiger Eisenfresser und stehe an der Spitze der pan-
slawistischen Bestrebungen. Allgemein erblickt man in ihm
neben den englischen Staatsmännern mit ihren heuch
lerischen und verwerflichen Machenschaften den Haupt-
anstifter des Krieges.
Lord Horatio Herbert Kitchener wurde vor kurzem erst,
mit Beginn des Krieges, zum Kriegsminister ernannt
und zugleich mit der Neubildung des englischen Land
heeres betraut. Er ist fünfundsechzig Jahre alt und einer
der berühmtesten englischen Generale, der in der Tat sowohl
in Ägypten wie in Indien und Südafrika kriegerisch und
organisatorisch sehr energisch eingegriffen und sich damit
große Verdienste um sein Vaterland erworben hat. Weniger
bekannt dürfte sein, daß er im Jahre 1870 als Kriegs
freiwilliger in den Reihen des französischen Heeres gegen
Deutschland im Feld stand. Nach dem Friedensschluß zu
Frankfurt a. M. trat er als Leutnant in das englische
Jngenieurkorps ein und im Jahre 1882 als Major in
ägyptische Dienste. Dort brachte er es binnen zehn Jahren
bis zum Oberbefehlshaber; er führte in den Jahren 1897
und 1898 die ägyptischen Truppen in dem Feldzug gegen
den Mahdi, den er in der Schlacht von Omdurman aufs
Haupt schlug. Die englische Regierung hat ihm damals
in Anerkennung seiner Verdienste die Würde eines Peers als
Lord of Khartum and of Aspall verliehen. Ein Jahr später
leitete er als englischer Eeneralstabschef den zweiten Ab
schnitt des Burenkrieges, durch den die tapferen Mannen
Ohm Pauls nach schweren Kämpfen endgültig nieder
gerungen wurden. Er dankt es besonders diesem Kriege, daß
sein Name in aller Welt Mund kam, und trägt heute die
Würde eines Feldmarschalls. Die Erfolge der vor wenigen
Wochen über den Kanal nach Frankreich entsandten eng
lischen Armee werden ihm wohl kaum in gleicher Weise den
Dank der Söhne Albions eintragen.
Der englische General I. D. E. French begann seine
militärische Laufbahn bei der englischen Marine und ist
dann erst zur Kavallerie übergetreten. Er nahm mit seinem
Regiment, den 19. Husaren, an der ägyptischen Expedition
von 1884/85 teil und war dann einige Zeit Kommandeur
der Kavalleriebrigade zu Aldershot. Bekannt wurde sein
Name durch seine Teilnahme am Burenkrieg, in dem er
ebenfalls die Kavallerie führte. Man behauptet von French,
daß er bedeutende strategische und taktische Kenntnisse be
sitze; doch stellt der Ausfall der letzten englischen Manöver,
die von ihm geleitet wurden, aber, wie erinnerlich, ab
gebrochen werden mußten, weil in ihrem Verlauf ein recht
peinlicher Wirrwarr entstand, diese militärischen Eigenschaften
i.i ein etwas eigentümliches Licht. Jedenfalls wird er
seine Fähigkeiten, zumal deutschen Heerführern gegenüber,
erst zu beweisen haben. Man betraute ihn mit dem
Kommando der nach Frankreich entsendeten Erpeditions-
armee aber nur, weil man in England einen besseren
General nicht hatte.