Die Geschichte des Weltkrieges 1914/13
(Fortsetzung.)
Die letzte Meldung, die wir um die Mitte September
aus Russisch-Polen erhielten und die die deutsche Armee
allein betraf, bezog sich auf das Vorrücken gegen die Festung
Osowiec. Dann schien es etwa zwei Wochen hindurch,
als herrsche Ruhe im Osten. In dieser Zeit waren die
Unsrigen fleißig mit den Vorbereitungen zu weiteren Taten
beschäftigt. Schon am 28. September trat denn auch unsere
schwere Artillerie gegen die Festung Osowiec in den Kampf,
und am folgenden Tage erfuhren wir, daß russische Vor
stöße über den Rjemen gegen das Gouvernement Suwalki
gescheitert seien. Während der nächsten Tage hatte es den
Anschein, als ob die Russen doch mit größeren Kräften in
Suwalki einzudringen beabsichtigten. Zu einer größeren
Schlacht kam es am 3. Oktober, von welchem Tage das
Wolffsche Büro meldete, daß das 3. sibirische und Teile des
22. Armeekorps, die sich auf dem linken Flügel der über den
Rjemen vordringenden russischen Armeen befanden, nach
zweitägigen erbitterten Kämpfen bei Augustow geschlagen
worden seien. Dabei erbeuteten wir etwa 2000 unver
wundete Gefangene und eine. Anzahl Geschütze und
Maschinengewehre.
Wir haben bereits im vorigen Abschnitt bei Darstellung
des österreichisch-russischen Krieges der bedeutungsvollen
Meldung vom 29. September gedacht, wo zum erstenmal
die deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen Schulter
an Schlüter als treue Verbündete siegreich gegen die Russen
an der Weichsel kämpften. Die Heere Deutschlands und
Österreich-Ungarns marschierten getrennt in Russisch-Polen
ein, um sich dort die Hände zu reichen und vereint den Feind
zu schlagen. Am 4. und 5. Oktober wurden die Russen bei
Opatow, Klimontow und Ostrowiec von den Verbündeten
gegen die Weichsel zurückgeworfen, wobei sie etwa 3000 Ge
fangene sowie mehrere Geschütze und Maschinengewehre
verloren. Am 5. Oktober wurden zweieinhalb russische
Kavalleriedivisionen und Teile der Hauptreserve von Jwan-
gorod bei Radom angegriffen und auf den Ort zurückgedrängt.
Am nächsten Tage versuchten die Russen, die Weichsel in
der Richtung auf Opatow zu überschreiten, die Verbündeten
schlugen sie aber über den Fluß zurück. Bei Sandomierz
eroberten die österreichisch-ungarischen Truppen den russi
schen Brückenkopf, und bei Tarnobrzeg warfen sie eine
russische Infanteriedivision. Der Vormarsch der Russen auf
das Gouvernement Suwalki wurde an diesem Tage von den
Deutschen zum Stehen gebracht und zurückgewiesen; dabei
fielen den Unsrigen 2700 Gefangene und neun Maschinen
gewehre in die Hände. Gleichzeitig erfuhren wir, daß wir
in kleineren Gefechten westlich Jwangorod 4800 Gefangene
gemacht hatten. Am 9. und 10. Oktober versuchten die
Russen im nördlichen Ostpreußen einzufallen. Aber alle
Angriffe, die die 1. und 10. russische Armee gegen die dort
stehenden deutschen Truppen unternahmen, wurden von
diesen zurückgeschlagen. Auch bei einem Umfassungsversuch
bei Schirwindt wurden die Russen unter Verlust von etwa
1000 Gefangenen geschlagen. In Südpolen erreichten die
Spitzen unserer Truppen am 11. Oktober die Weichsel. Bei
diesem Vormarsch wurden bei Erojez südlich Warschau
2000 Gefangene aus dem 2. sibirischen Armeekorps gemacht.
Schon am 12. Oktober unternahmen die Russen bei Schir
windt einen zweiten Umfassungsversuch, der jedoch gleich
falls mißglückte und uns etwa 1500 Gefangene und 20 Ge
schütze einbrachte. Bei unserem Vormarsch gegen die
Weichsel wurden die russischen Vortruppen südlich von
Warschau von den Unsrigen überall siegreich zurück
geworfen, ein llbergangsversuch der Russen über die Weichsel
südlich Jwangorod unter schweren russischen Verlusten ver
hindert.
Die Kämpfe bei Schirwindt entwickelten sich immer
weiter, und am 14. Oktober konnte unsere Heeresleitung
mitteilen, daß diese Kämpfe zu unseren Gunsten entschieden
waren und wir dabei 4000 Gefangene gemacht sowie 26 Ge
schütze und 12 Maschinengewehre erbeutet hatten. Gleich
zeitig wurden die Russen, die an einigen Stellen von neuem
in Ostpreußen eingedrungen waren, aus Lyck und Bialla
wieder vertrieben. Beim Zurückwerfen russischer Vortruppen
auf Warschau wurden auch in Polen wieder 8000 Gefangene
gemacht und 25 Geschütze erbeutet. Großen Jubel verbreitete
die am 15. Oktober eintreffende Nachricht, daß unsere
Truppen vor Warschau standen. (Aber Geschichte und Be
deutung des Platzes vergleiche man unseren Sonderaufsatz
„Die russischen Festungen" auf Seite 354.) Ein mit etwa
acht Armeekorps aus der Richtung Jwangorod—Warschau
über die Weichsel unternommener russischer Vorstoß wurde
an diesem Tage von unseren Truppen auf der ganzen
Linie unter schweren Verlusten für die Russen zurück
geschlagen. Auch die Angriffe unserer in Polen gemeinsam
mit dem österreichisch-ungarischen Heere kämpfenden Trup
pen machten Fortschritte.
Das Leben in Warschau vor der Annäherung der Deutschen
Phot. A. Grohs, Berlin-
Deutsche und österreichisch-ungarische Truppen in treuer Waffenbrüderschaft auf dem Marsch in Russisch-Polen.
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