Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

Phot. N. Hirrlinger, Stuttgart. 
Illustrierte Geschichte des -Weltkrieges 1914. 
fache konnte das Tempo der deutschen Mobilmachung nur 
beschleunigen. 
Daß das deutsche Volk trotz der mancherlei innerpoli 
tischen Differenzen während eines dreiundvierzigjährigen 
Friedens an vaterländischem Geiste nichts eingebüßt hatte, 
bewies der Eindruck, den der Befehl zur Mobilmachung 
in allen Teilen unseres Vaterlandes hervorrief. Aberall ein 
hellige Begeisterung und starker Andrang freiwilliger 
Kämpfer. Jeder fühlte, daß es galt, nicht nur für das 
deutsche Vaterland, sondern auch für die deutsche Kultur 
zu kämpfen. Tiefer Ernst und unerschütterliche Ruhe prägte 
sich auf allen Gesichtern aus, aber keine Traurigkeit. Jeder 
wollte Gut und Blut dem Vaterlande opfern, und wie 
zur Zeit der Freiheitskriege werden von überallher rührende 
Beweise der Vaterlandsliebe gemeldet. Hier soll besonders 
eine Szene erzählt werden, die sich am 1. August abends 
elf Uhr in Berlin Unter den Linden zugetragen hat. Ein 
kleines beherztes Persönchen klettert irgendwo empor, an 
einem Wagen oder an einem Kandelaber. Man kann es 
im Gedränge nicht sehen. Nelli Petzoldt soll sie heißen. 
Zwanzig Jahre ungefähr ist sie alt. Und spricht: „Nun, 
da das entscheidende Wort gefallen ist, nun, da es uns 
endlich zur Gewißheit wurde, daß es für unsere deutschen 
Männer nur noch eine Pflicht gibt, die Pflicht, sich um 
die Fahne zu scharen, will ich im Namen aller meiner Mit 
schwestern, die ein für ihr Vaterland schlagendes Herz in 
der Brust haben, die Worte aussprechen: Wir deutschen 
Frauen werden unserem geliebten Herrscher und aller Welt 
zeigen, daß wir würdig sind, tapfere Männer zu haben! 
Wie es auch kommen möge, wir werden alles geduldig und 
mit Würde ertragen, und das soll in dieser schweren Zeit 
das beste Zeugnis sein für die Größe der deutschen Frau. 
Stolz sind wir, daß wir deutsche Frauen sind! Das Vater 
land ruft, und jeder deutsche Mann wird kommen! Wir 
aber, die wir zurückbleiben müssen, werden unseren Männern, 
unseren Söhnen, Vätern, Brüdern und Freunden nicht 
nachstehen, wir werden unsere Herzen in Demut auf den 
Altar des Vaterlandes legen für eine gerechte Sache! Aus 
meinem und aus aller deutschen Frauen tiefstem Innern 
steigt der Wunsch empor: ,Schenke unseren deutschen 
Streitern, vereint mit unseren Verbündeten, den Sieg und 
unserem Herrscherhause die Krone des Ruhmes!'" — Und 
unwillkürlich hingerissen, donnernd und brausend, antwortet 
die tausendköpsige Menge mit dem Vers des Liedes der 
Deutschen: „Deutsche Frauen, deutsche Treue .. 
Mit kaiserlicher Verordnung vom 2. August wurde der 
Deutsche Reichstag auf den 4. August einberufen. 
Noch nie war das Parlament in so bedeutungsvoller 
Stunde zusammengetreten, und man kann nur wünschen, 
daß ihm künftig derartige schwerwiegende Beschlüsse, in 
denen es sich um Weltenschicksale, um Sein oder Nichtsein 
handelt, erspart werden. Der Deutsche Reichstag zeigte 
sich der Schicksalsstunde gewachsen. Ein ergreifendes 
Stimmungsbild von der Eröffnung dieser Sitzung, die 
einen Markstein in der Geschichte des Deutschen Reiches 
bedeutet, gab „Der Tag" in seiner Abendausgabe vom 
4. August. Es heißt da: 
Eine beispiellos große Stunde liegt hinter uns. Im Weißen 
Saal des altersgrauen Königlichen Schlosses an der Spree hat der 
Kaiser zu den Vertretern des gesamten deutschen Volkes, zu den 
Notabeln des Reiches und zu den Mitgliedern des Bundesrats 
gesprochen: ein weltgeschichtlicher Augenblick, der dem, der ihm bei 
wohnte, für alle Zeiten unvergeßlich bleiben wird. 
Der sanft-gelbliche Schein der Deckenbeleuchtung warf seine 
Strahlen nieder auf die Statuen aller preußischen Könige, die an 
den Wänden stehen. Nie wurden in diesem Saale Worte von so 
ergreifender Bedeutung gesprochen, als in der heutigen Mittags 
stunde. Zuerst herrschte tiefes Schweigen, nur zwei rotgekleidete 
Pagen hielten zu den Seiten des Thrones Wacht. Ganz allmählich 
trafen die zu der Kundgebung, auf die die Welt lauschte, Berechtigten 
ein. Als ich die Treppen emporstieg, begegnete mir der Reichskanzler 
in der großen Uniform der Gardedragoner, gefolgt von seinem 
Adjutanten, der bereits die Felduniform trug. Der Reichskanzler 
sah frisch und wohlgemut aus und erwiderte freundlich den Gruß. 
Als einer der Ersten traf Unterstaatssekretär Wahnschaffe in der 
Abschied der Königin Charlotte von Württemberg von einem Lnzarettrrrpp dos Wüettembergischsn Landesvereins vom Roten Kreuz. 
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