Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/16. 
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schon überall die wüßen Schrapnellwölkchen in der Luft 
stehen. Unsere Kompanien, meine auf dem linken Flügel, 
gehen zum Angriff über. An einem weithingestreckten Wald 
entlang erhalten wir, es war gegen vier Uhr nachmittags, 
den ersten russischen Gruß: neun schwere Granaten, die 
etwa fünfzig Meter links seitwärts zwischen den Bäumen 
krepieren. Wir dringen tiefer in den Wald ein, die Kom 
panien entfalten sich breiter und breiter, es wird fast dunkel. 
Nach Möglichkeit halte ich meine Kompanie zusammen. 
Plötzlich pfeift^s. Tief geduckt folgen wir im Laufschritt 
unserer vordersten Schützenlinie. Mit Hurra nehmen wir 
den ersten feindlichen Schützengraben. Zwei Verwundete 
hat es gekostet. Völlige Dunkelheit ist hereingebrochen. 
Wir stoßen auf den zweiten, stark besetzten Schützengraben 
am jenseitigen Waldesrand. Auch er wird genommen im 
ersten Ansturm. Er war schon teurer. — Weiter. Meine 
Kompanie lasse ich nach links verlängern auf die dunklen 
Schatten des Dorfes R. los. Wir stoßen durch. Es ist 
noch voll fliehender Russen. Wir machen Gefangene. Aber 
immer weiter, immer vorwärts! 
Jetzt geht^s einem feuerspeienden Berg entgegen, dem 
langen Schuppen der Ziegelei von R. Ohne zu schießen, 
stürmen wir mit aufgepflanztem Seitengewehr stolpernd 
auf den hartgefrorenen Ackerschollen vorwärts. Unheimlich 
knattert^, pfeift^s und surrt^s. Eben rufe ich meinen Leuten 
zu: „Mehr nach halbrechts vorwärts!", da schwirrt mir 
etwas am Mund entlang und ich verspüre einen scharfen 
Stich an der Zunge. Ich fasse an die Backen — nichts; aber 
aus dem Mund tropft das Blut. Doch zum Nachsehen ist 
keine Zeit, meinen Mund halte ich jetzt fein still. 
Von zwei Seiten dringen wir in die Ziegelei ein. Von 
den Russen macht sich davon, was kann. Doch machen wir 
viele Gefangene. Aus einer Scheune ziehen meine Leute 
gegen vierzig heraus. Dabei kommt^s zu folgendem heiteren 
Stückchen. Ein Offizier, ein noch junger Mensch, tritt aus 
der Reihe auf mich zu und sagt in tadellosem Deutsch: 
„Bitte — Baron L. — möchte nicht mit diesen lausigen 
Kerlen weiter laufen müssen." 
Ich: „Wir legen hier keinen russischen Maßstab an. Bei uns 
gehört der Offizier zu seinen Leuten. — Eingetreten! Marsch!" 
Ich hätte gerne noch mehr gesagt, allein die stark ge 
schwollene Zunge brennt wie Feuer, und ich bin froh, 
wie ich sie mit einem Schluck Wasser am Brunnen etwas 
kühlen kann. 
Hinter der Ziegelei sammeln wir uns wieder. Vom 
Regiment kommt der Befehl: 9. Kompanie rechts vorgehen, 
Verbindung mit Regiment . °. suchen. In breiter Schützen 
linie ziehe ich. mit meinen Leuten ab, in die schwarze Nacht 
hinein. Auf einmal rasendes Infanterie- und Maschinen 
gewehrfeuer. Wir werfen uns zu Boden. Das kann doch 
kein Feind sein, der muß schon längst drüben in R. stecken. 
Wir rufen und schreien, was wir können. Das Feuer schweigt. 
Deutsche Rufe von der anderen Seite: „Wer ist dort?" Ich 
rufe zurück und will eben weitermarschieren, als ich drüben 
ganz deutlich russische Kommandos höre. Sofort wieder 
zu Boden, und da beginnt auch das Schnellfeuer wieder. 
Kriechend und springend zurück. Aber Glück im Unglück. Wir 
kommen an einen verlassenen Schützengraben. So konnten 
wir uns ducken und decken. Doch die Russen folgen uns: 
es waren wohl zwei Regimenter mit sechs Maschinen 
gewehren. Da heißes Deckung suchen in der Ziegelei. 
Wieder kriechend und springend weiter. Ich blieb mit 
dem Feldwebel, meinem Burschen und zwei Mann weit 
zurück, denn ich kann mit meinem vom Johannistaler Ab 
sturz noch schwachen Knie nicht so schnell vorwärts. Endlich, 
nach etwa vierhundert Meter, purzeln wir den Steilhang 
in die Lehmgrube der Ziegelei hinunter. Aufatmen. Ein 
bissel verschnauft, dann durchs Wasser den jenseitigen Hang 
wieder hinauf und hinter dem Brennofen in Deckung. 
Dem Regimentskommandeur Meldung gemacht. Mit drei 
weiteren Kompanien gehen wir wieder vor, nehmen auch 
den ersten Schützengraben wieder und halten den besetzt. 
Die ganze Nacht dauert die Schießerei fort. Erst am 
folgenden Morgen können wir unsere Verluste übersehen — 
das ganze Feld vor der Ziegelei liegt voller Russen, und 
gegen 300 Gefangene haben wir auch. 
Am 19. schanzen wir uns auf der Höhe westlich von R. 
ein. Ich bin eben zur Meldung in einem Gehöft beim 
Brigadestab. Da prasselt ein Schuß durch die Scheiben, 
ein Aufschrei: unser Divisionspfarrer liegt mit Kopfschuß 
tot auf dem Ziegelboden. 
Am 20. nachmittags erhalte ich und drei andere Kom 
panien „Sonderauftrag": Gegen M. vor. Es dämmert 
eben, da kommen schon die Russen — ein dichter schwarzer 
Knäuel mit wildem „Ua"-Gebrüll. Seitengewehr auf und 
raus. Schnellfeuer bis auf dreißig Meter. Da schwirrten 
sie ab. Es war das 18. und 19. sibirische Regiment. Bis 
tief in die Nacht dauerte die Schießerei. Sie verloren an 
dem Tag 250 Tote und 60 Gefangene. 
Am 21. mittags bekam ich einen Schrapnellschuß, leichter 
Ritz am Oberarm, Mantel und Rock haben mehr gelitten. 
Meine Zunge war vier Tage lang geschwollen, jetzt kann 
ich aber wieder fein essen. Also braucht Ihr Euch im 
Pückchenschicken nicht zu genieren. 
Weiterer Bericht folgt, sobald ich wieder einmal Zeit 
habe. Herzlichen Gruß. E. F. 
Die Erstürmung von Valjevo. 
(Hierzu die Kunstbeilage.) 
Schon verhältnismäßig bald nach Beginn des Krieges 
waren die österreichisch-ungarischen Truppen von West und 
Phot. A. Grohs, Berlin. 
In den Kämpfen um Lodz gefangene Russen, darunter auch Leibkosaken des Zaren (an ihren hohen Müßen kenntlich).
	        
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