Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

376 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
geschanzt. Im steinigen Boden war es mit dem kleinen 
Jnfanterieschanzzeug eine mühevolle Aufgabe gewesen, 
die man sich gewandt dadurch erleichtert hatte, daß man 
einige Holzstöße zur Brustwehr des Schützengrabens ver 
wendete. Sonst war nichts Besonderes vorgefallen. „Meine 
Patrouillen haben gemeldet, daß jenseits der Maas kilo 
meterlange Schützengräben ausgehoben worden sind. Das 
kann einen bösen Maasübergang geben," prophezeite der 
Major, „aber die Wälder vor uns sind anscheinend gefahrlos." 
„Rrrrrr!" Fernes Gewehrfeuer schlug an unser Ohr und 
hallte in den Wäldern wider. Es kam aus nördlicher 
Richtung. Wir waren sehr ernst geworden. „Wieviel 
schätzen Herr Major?" unterbrach ich das Schweigen. Er 
zuckte mit den Achseln. „Man kann es von hier aus nicht 
beurteilen. Nach der taktischen Lage ist mir das Feuern 
ganz unverständlich. Ob das Regiment im Gefecht steht? 
Das Bataillon muß vorerst leider Hierbleiben, bis die 
. .. Division eintrifft." Er sah nach der Uhr. „In andert 
halb Stunden kann sie da sein." 
Die Kompanien hatten inzwischen die •. Schützengräben 
besetzt und horchten gespannt auf das gleichmäßige, wenige 
Kilometer entfernte Knattern. Plötzlich packt mich der 
Major am Arm. „Es muß ein Feuerüberfall gewesen sein! 
Haben Sie etwa einzelne Schüsse gehört? Auf einmal ging 
das tolle Schießen los wie eine Salve und hörte nicht mehr 
auf." Ich nickte zustimmend. Er hatte recht. „Soll ich 
nicht hinüberreiten und mich unterrichten?" Er sah nach 
der Karte. „Sie sind heute schon der dritte Offizier, den 
ich in diese heimtückischen Wälder schicken muß, und dabei 
kann ich Ihnen nur einen Radfahrer als Begleiter mit 
geben. Erkunden Sie gleichzeitig einen Anmarschweg zum 
Regiment für mein Bataillon und die Eefechtsbagage. Auf 
Wiedersehen und viel Glück!" 
Ein kurzes Händeschütteln, dann trabte ich die Straße 
entlang, bog in einen Feldweg ein, -ritt an vorgeschobenen 
Posten vorbei und war allein mit meinem Radfahrer, der 
mir folgte, so rasch es eben auf den überwucherten Schneisen 
ging. Bald waren wir jedoch so in das Dickicht geraten, daß 
wir abstiegen und mit Degen, Seitengewehr und Taschen 
messer uriseren Weg bahnen mußten, bis wir zufällig auf 
einen Kolonnenweg stießen. Die am Fuße abgesägten 
Bäume waren rechts und links wie zwei schützende Wälle 
aufgehäuft. Ihr Laub war schon vertrocknet. Da bäumte 
sich mein Pferd hoch auf, schnaubte und tänzelte angstvoll 
rückwärts. In einem mit Zweigen überdeckten Graben 
lag ein totes Pferd mit französischem Zaumzeug. Nur 
widerwillig ging mein Rappe weiter, bis er seinen toten 
Kameraden nicht mehr sah. Zehn Minuten später — ich 
wollte eben um eine Wegbiegung galoppieren — konnte 
ich mein Pferd gerade noch in die Büsche zurückreißen. 
Mehrere hundert Meter vor uns standen einige Leute auf 
dem Weg. Dunkel hoben sie sich wie Silhouetten gegen den 
hellen Hintergrund ab. Ich band mein Pferd an und kroch 
auf a'len vieren näher durch die Büsche, bis ich die Uni 
formen deutlich unterscheiden konnte. Es waren Deutsche. 
Durch Rufe machte ich mich bemerkbar, band mein Pferd 
los und ritt zu ihnen hin. Es waren 24er Dragoner, die 
zum Fußgefecht abgesessen waren. Ringsum knallte es 
fortwährend in den Wäldern. Geschosse bestreichen jetzt den 
Weg. „St, st, st," sausen sie am Ohr vorbei, daß man 
immer ein wenig zusammenzuckt. Ein Dragoner schreit 
auf und fällt vornüber, durch einen Querschläger getroffen. 
Ich ergreife seinen Karabiner und nehme seine Patronen. 
Wir eilen der Lichtung zu. Noch eine steile Böschung 
klettern wir hinunter, während der Radfahrer mein Pferd 
hält. Hier bietet sich uns ein spannender Anblick., 
Vor uns im Sonnenschein ein Wiesental, umsäumt von 
dunkeln Bergwäldern. Rechts vor uns eine eigene Schützen 
linie im Gefecht gegen die jenseitigen Waldränder und gegen 
die Franzosen, die einzeln und in Rudeln über die Straße 
Brandeville—Murvaur zurückspringen. Dabei werden sie 
jedoch von unsern Kugeln erreicht und fallen vornüber in die 
Straßengräben. Sie sind völlig kopflos geworden, weil sie 
überall auseinandergesprengt sind. 
„Tut, tut," klingen ihre Signale bald hier, bald dort. 
Dazwischen hört man Rufe: „Nicht schießen, eigene Truppen!" 
Sie stammen von einigen Kompanien, die die Verfolgung 
in den Wäldern aufgenommen haben. 
Während wir die Bäume als Deckung benutzen und die 
Franzosen beschießen, erzählt mir ein Dragoner die Vor 
geschichte dieses Gefechts. Arglos hätten die Pioniere 
am Schützengraben bei der Straße gearbeitet, als sie von 
Franzosen überrascht worden seien, die aus den Büschen der 
Waldränder und von den Bäumen auf sie geschossen hätten. 
Der Kampf sei anfangs so unerwartet und verlustreich ge 
wesen, daß man die 23er und 24er Dragoner, die weiter 
rückwärts biwakierten, mit ihren Karabinern zur Säuberung 
der Wälder befohlen habe. Auch ein Infanterieregiment 
fei alarmiert. 
Deutlich vernahm man jetzt das schnelle Hämmern der 
eingreifenden deutschen Maschinengewehre, und als bald 
darauf zuerst vereinzelt, dann immer vielstimmiger der 
Ruf hörbar wurde: ,,ä bas les armes", wußte ich genug 
für meine Meldung. Ich kletterte rückwärts, bestieg mein 
Pferd und jagte zum Bataillon. Der Radfahrer vermochte 
kaum zu folgen. An einer Waldecke prallten drei fran 
zösische Reiter entsetzt zurück, als ich vorbeigaloppierte. Ich 
entsicherte meinen Revolver. Doch sie folgten nicht nach. 
Eine Eskadron der 8. Dragoner begegnete mir, die singend 
zu Fuß ins Gefecht zog. Eben marschierte der Anfang 
der erwarteten ... Division am Bataillon vorbei, als ich 
melden konnte: „Feindlicher Jnfanterieüberfall aus den 
Wäldern an Straße Brandeville—Murvaur erfolgreich ab 
gewiesen. Weg durch die Wälder zum Regiment für Ba 
taillon unbenutzbar wegen versprengter Franzosen und 
Bodenverhältnissen." 
Als das Bataillon eine Stunde später die Straße 
Breheville—Brandeville—Murvaur dem Regiment nach 
marschierte, sah es auf dem Kampfplatz schlimm aus. 
Furchtbar hatten sich die Pioniere für den Werfall gerächt. 
Mit Beilen, Spaten und Kolben hatten sie die Angreifer 
niedergeschlagen. Einen alten weißhaarigen General und 
über tausend französische Soldaten hatte man in den 
Wäldern gefangen. Es war die Besatzung von — Mont- 
medy, die aus der Festung ausgerückt war und sich in 
die Wälder von Woövre zurückgezogen hatte. 
Paul Otto Ebe. 
Das Heldenmädchen von Rawaruska. 
(Hierzu das Bild Seite 378.) 
Es war während der Riesenschlacht bei Lemberg, im 
Anfang des Monats September. Während die Russen 
nach fünftägigem heißen Ringen an der Grodeker Straße 
endlich weichen mußten, warfen sie eine gewaltige Wer- 
macht gegen den Nordflügel jener österreichisch-ungarischen 
Armee, die bei Rawaruska stand, und in den Raum zwischen 
ihm und der Armee Dankl, die weiter nördlich kämpfte. 
Um jeden Preis wollten sie die gegnerische Front in der 
Mitte durchbrechen. Aber die Truppen bei Rawaruska 
hielten, wie bereits im vorigen Heft Seite 350 geschildert, 
mit zähester Ausdauer, mit heldenhaftem Opfermut im 
fürchterlichsten Schrapnell- und Granatregen stand, bis 
die Flügelarmeen in günstiges Gelände zurückgenommen 
und gesichert waren. Das Blut zahlloser Opfer hat jene öde 
Gegend getrunken, aber wieviele Söhne Österreich-Ungarns 
dort auch ihren letzten Atemzug taten, eins haben sie mit 
ihrer Preisgabe des Lebens erreicht: die Russen waren so 
geschwächt, daß sie keinen Angriff mehr wagten, sondern 
dem Feinde Zeit lassen mußten, sich zu neuem Vorstoß 
genügend vorzubereiten. 
Und dort vor Rawaruska hat auch die junge Heldin Rosa* 
Zenoch den Fuß verloren. Zwölf Jahre alt, hatte sie keine 
Ahnung, was für das große Vaterland an jenem schrecklichen 
Tage auf dem Spiele stand. Aber ihr Bruder war selbst 
Soldat, und so wußte sie, wie der Durst schon im gewöhn 
lichen Manöver peinigen kann. Als nun um ihre heimat 
liche Hütte der Kampf wogte, ging sie mit ihrem Krüglein 
unermüdlich vom Brunnen zu den Schützenlinien und 
brachte den tapferen Streckern einen Labetrunk um den 
anderen, nur erfüllt von dem einen großen Gedanken: zu 
helfen und wieder zu helfen, bis eins der tückischen Ge 
schosse in nächster Nähe platzte und ihr den linken Fuß zer 
schmetterte. Dankbare Soldatenarme trugen sie aus dem 
feindlichen Feuer fort nach Hause. Die Mutter wollte 
sie nach Wien bringen, zu erfahrenen Ärzten; aber noch 
im Eisenbahnzug mußte ihr der Fuß oberhalb des Knöchels 
abgenommen werden. In der Kaiserstadt haben dann der 
greise Monarch, auch ein Erzherzog und eine Erzherzogin die 
junge Dulderin besucht; ein kostbares Zeichen der Erinne-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.