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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914.
war natürlich gesprengt — und den Feind zurückgeworfen
hatten, wobei viele Gefangene gemacht wurden, setzten wir,
meine Kompanie in zweiter Linie, die Verfolgung des
Gegners fort bis spät in die Nacht hinein. Ich erhielt
dann den Auftrag, mit meinem Zug zur Bedeckung unserer
Maschinengewehre zurückzubleiben. Das Dorf, das wir
verlassen hatten, brannte an allen Ecken und Enden — ein
schaurig-schöner Anblick in finsterer Nacht. Den Rest der
Nacht verbrachte ich auf der Landstraße, von zwei Uhr an
im Getreidefeld.
Am 29. morgens führte ich meinen Zug zur Kompanie
zurück, jeder erhielt einen Schluck warmen Kaffee, Brot
gab es nicht. In allernächster Nähe wurde ein Schützen
graben ausgehoben. Es kam die Meldung, daß der Feind
links von uns auf Höhen und im Dorf sich befinde und ein
Bahnwärterhaus besetzt habe.
Befehl: .Regiment greift an!"
Ich ging mit einem halben Zug, Anschluß nach links
an die neunte Kompanie haltend, vor. Immer mehr links
schwenkend, gingen wir vor und hörten bald ein heftiges
Eewehrfeuer. Hinter der Höhe lasse ich meine Leute in
Deckung gehen und krieche mit meinen Entfernungschätzern
vor, um den Feind festzustellen. Kaum hatten wir die
Höhe erreicht, als auch schon rechts und links und über uns
die feindlichen Geschosse pfiffen. Vom Gegner war nichts
zu erkennen. Ich glaubte ihn zuerst auf der gegenüber
liegenden Höhe auf 1000 Meter Entfernung zu sehen,
doch hatte er sich, wie ich bald erkannte, im Getreide- und
Rübenfeld auf dem Abhang der Höhe großartig versteckt.
Sofort lasse ich in Stellung kriechen und das Feuer er
öffnen. Jetzt beginnt auch schon das Artilleriefeuer, das
lebhafter und stärker zu werden drohte. Ich gehe weiter vor
und mache den ersten Sprung, die ersten Verluste durch
Artilleriefeuer treten ein. Es folgt bald der zweite Sprung
in eine Mulde hinein, immer drohender wird das Granaten-
und Schrapnellfeuer! Im Marsch-Marsch erreicht die
ganze Linie die zweite Höhe. Während wir laufen, macht
der Gegner kehrt und verläßt unter schweren Verlusten
seine Stellung. Beim dritten Sprung fühle ich plötzlich
einen hammerartigen elektrischen Schlag an meiner linken
Hand, gerade in dem Augenblick, als ich meinen Leuten
die vor uns liegende Stellung zeigte. Ich wußte, was ge
schehen war — das Blut spritzte meterweit — ich fiel. Mein
Entfernungschätzer, Gefreiter Reservist Schlegel, unter
band sofort die Wunde. Ein feindliches Geschoß hatte meine
linke Pulsader gestreift und durchschnitten. Durch den
festen Verband wurde ein weiterer Blutverlust vermieden,
die Schmerzen gelindert. Im ersten Augenblick fühlte ich
mich natürlich etwas ermattet, zumal es rechts und links,
vor uns, hinter uns donnernd krachte. Von unseren Leuten
war nichts mehr zu sehen, sie waren dem Feind auf den Fersen
gefolgt. Mein Gefreiter, der
sich so rührend kameradschaft
lich um mich bemüht hatte,
wollte mich nicht allein lassen.
So krochen wir hinter eine
Kornmiete, um gegen Granat
splitter gesichert zu sein.
Lange lag ich hier, ab und
zu versuchte ich einzuschlafen,
um unter Umständen nicht
wieder aufzuwachen, da
Schrapnelle und Granaten
in meiner allernächsten Nähe
niedersausten. Da das Feuer
immer furchtbarer wurde, lief
ich ungefähr 80 Meter vor
wärts zu zwei anderen Ver
wundeten des Regiments!
Diesen und einem Franzosen,
der schwer verwundet war,
gab ich Kaffee aus meiner
Feldflasche. Vor Dankbarkeit
wollte mich der Franzose um
armen, zeigte mir das Bild
seiner Frau und bat mich um
meine Adresse, um mir zu
schreiben.
Gegen drei Uhr nachmit
tags begab ich mich mit vielen
anderen Verwundeten nach rückwärts durch das immer
noch wütende Granatfeuer zum Truppenverbandplatz und
fuhr von hier mit Wagen zum Feldlazarett.
Der weitere Verlauf der Schlacht war für uns äußerst
günstig gewesen. Sieg auf Sieg! Franzosen immer im
Rückzug; sobald wir einen Sprung machen, kneifen sie aus
ihren Verstecken aus.
Am Sonntag, 30. August» in aller Frühe, fing das
Schlachtgetöse — das Donnern — von neuem an. Uber
Einzelheiten weiß ich nichts; erfahren wir später. Jeden
falls ist durch die Schlacht am 29. und 30. August bei
Saint Quentin die Entscheidung für den weiteren Verlauf
des Krieges gefallen.
Diesen Brief schreibe ich auf der Veranda einer Villa
zwischen Laon und Reims. Beide Festungen haben sich
ohne weiteres ergeben! In zwei bis drei Tagen hoffe ich
bestimmt, auf irgendeine Art und Weise zum Regiment
zurückzukommen und wieder fechten zu können. Ein Ver
bandwechsel wurde hier in einem französischen Hospital
von einer Schwester vorgenommen. Der Arzt war sehr
zufrieden und sagte, ich hätte Glück gehabt. Elf franzö
sische Armeekorps sollen jetzt eingekesselt sein. Sieg auf
Sieg! ..." (Fortsetzung folgt.)
Jllustrierte Kriegsberichte.
Zu den Kämpfen bei Longwy.
(Hierzu die Bilder Seite 312-315.)
Die bedeutungsvollen Schlachten in Lothringen, die
sich in den Tagen vom 18. bis 23. August abspielten, stützten
sich in ihrem rechten Flügel auf das Vorgehen des deutschen
Kronprinzen, der mit seiner Armee teilweise durch Lwcem-
burg auf die französische Festung Longwy vorgerückt war.
Der französische Angriff setzte zunächst bei Mülhausen
ein, wo er zweifellos verfrüht erfolgte. Hier wurden
die Franzosen bald wieder zurückgeschlagen und auf die
Grenze zu in die Vogesen abgedrängt. Gestützt auf den
ausgedehnten Festungsgürtel, der sich von Belfort über
Toul und Verdun erstreckt, erfolgte dann der Durchbruchs
versuch der Franzosen auf der Linie Saarburg—Lauter
fingen—Dieuze—Delme, der in den Kämpfen auf den