Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

312 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
war natürlich gesprengt — und den Feind zurückgeworfen 
hatten, wobei viele Gefangene gemacht wurden, setzten wir, 
meine Kompanie in zweiter Linie, die Verfolgung des 
Gegners fort bis spät in die Nacht hinein. Ich erhielt 
dann den Auftrag, mit meinem Zug zur Bedeckung unserer 
Maschinengewehre zurückzubleiben. Das Dorf, das wir 
verlassen hatten, brannte an allen Ecken und Enden — ein 
schaurig-schöner Anblick in finsterer Nacht. Den Rest der 
Nacht verbrachte ich auf der Landstraße, von zwei Uhr an 
im Getreidefeld. 
Am 29. morgens führte ich meinen Zug zur Kompanie 
zurück, jeder erhielt einen Schluck warmen Kaffee, Brot 
gab es nicht. In allernächster Nähe wurde ein Schützen 
graben ausgehoben. Es kam die Meldung, daß der Feind 
links von uns auf Höhen und im Dorf sich befinde und ein 
Bahnwärterhaus besetzt habe. 
Befehl: .Regiment greift an!" 
Ich ging mit einem halben Zug, Anschluß nach links 
an die neunte Kompanie haltend, vor. Immer mehr links 
schwenkend, gingen wir vor und hörten bald ein heftiges 
Eewehrfeuer. Hinter der Höhe lasse ich meine Leute in 
Deckung gehen und krieche mit meinen Entfernungschätzern 
vor, um den Feind festzustellen. Kaum hatten wir die 
Höhe erreicht, als auch schon rechts und links und über uns 
die feindlichen Geschosse pfiffen. Vom Gegner war nichts 
zu erkennen. Ich glaubte ihn zuerst auf der gegenüber 
liegenden Höhe auf 1000 Meter Entfernung zu sehen, 
doch hatte er sich, wie ich bald erkannte, im Getreide- und 
Rübenfeld auf dem Abhang der Höhe großartig versteckt. 
Sofort lasse ich in Stellung kriechen und das Feuer er 
öffnen. Jetzt beginnt auch schon das Artilleriefeuer, das 
lebhafter und stärker zu werden drohte. Ich gehe weiter vor 
und mache den ersten Sprung, die ersten Verluste durch 
Artilleriefeuer treten ein. Es folgt bald der zweite Sprung 
in eine Mulde hinein, immer drohender wird das Granaten- 
und Schrapnellfeuer! Im Marsch-Marsch erreicht die 
ganze Linie die zweite Höhe. Während wir laufen, macht 
der Gegner kehrt und verläßt unter schweren Verlusten 
seine Stellung. Beim dritten Sprung fühle ich plötzlich 
einen hammerartigen elektrischen Schlag an meiner linken 
Hand, gerade in dem Augenblick, als ich meinen Leuten 
die vor uns liegende Stellung zeigte. Ich wußte, was ge 
schehen war — das Blut spritzte meterweit — ich fiel. Mein 
Entfernungschätzer, Gefreiter Reservist Schlegel, unter 
band sofort die Wunde. Ein feindliches Geschoß hatte meine 
linke Pulsader gestreift und durchschnitten. Durch den 
festen Verband wurde ein weiterer Blutverlust vermieden, 
die Schmerzen gelindert. Im ersten Augenblick fühlte ich 
mich natürlich etwas ermattet, zumal es rechts und links, 
vor uns, hinter uns donnernd krachte. Von unseren Leuten 
war nichts mehr zu sehen, sie waren dem Feind auf den Fersen 
gefolgt. Mein Gefreiter, der 
sich so rührend kameradschaft 
lich um mich bemüht hatte, 
wollte mich nicht allein lassen. 
So krochen wir hinter eine 
Kornmiete, um gegen Granat 
splitter gesichert zu sein. 
Lange lag ich hier, ab und 
zu versuchte ich einzuschlafen, 
um unter Umständen nicht 
wieder aufzuwachen, da 
Schrapnelle und Granaten 
in meiner allernächsten Nähe 
niedersausten. Da das Feuer 
immer furchtbarer wurde, lief 
ich ungefähr 80 Meter vor 
wärts zu zwei anderen Ver 
wundeten des Regiments! 
Diesen und einem Franzosen, 
der schwer verwundet war, 
gab ich Kaffee aus meiner 
Feldflasche. Vor Dankbarkeit 
wollte mich der Franzose um 
armen, zeigte mir das Bild 
seiner Frau und bat mich um 
meine Adresse, um mir zu 
schreiben. 
Gegen drei Uhr nachmit 
tags begab ich mich mit vielen 
anderen Verwundeten nach rückwärts durch das immer 
noch wütende Granatfeuer zum Truppenverbandplatz und 
fuhr von hier mit Wagen zum Feldlazarett. 
Der weitere Verlauf der Schlacht war für uns äußerst 
günstig gewesen. Sieg auf Sieg! Franzosen immer im 
Rückzug; sobald wir einen Sprung machen, kneifen sie aus 
ihren Verstecken aus. 
Am Sonntag, 30. August» in aller Frühe, fing das 
Schlachtgetöse — das Donnern — von neuem an. Uber 
Einzelheiten weiß ich nichts; erfahren wir später. Jeden 
falls ist durch die Schlacht am 29. und 30. August bei 
Saint Quentin die Entscheidung für den weiteren Verlauf 
des Krieges gefallen. 
Diesen Brief schreibe ich auf der Veranda einer Villa 
zwischen Laon und Reims. Beide Festungen haben sich 
ohne weiteres ergeben! In zwei bis drei Tagen hoffe ich 
bestimmt, auf irgendeine Art und Weise zum Regiment 
zurückzukommen und wieder fechten zu können. Ein Ver 
bandwechsel wurde hier in einem französischen Hospital 
von einer Schwester vorgenommen. Der Arzt war sehr 
zufrieden und sagte, ich hätte Glück gehabt. Elf franzö 
sische Armeekorps sollen jetzt eingekesselt sein. Sieg auf 
Sieg! ..." (Fortsetzung folgt.) 
Jllustrierte Kriegsberichte. 
Zu den Kämpfen bei Longwy. 
(Hierzu die Bilder Seite 312-315.) 
Die bedeutungsvollen Schlachten in Lothringen, die 
sich in den Tagen vom 18. bis 23. August abspielten, stützten 
sich in ihrem rechten Flügel auf das Vorgehen des deutschen 
Kronprinzen, der mit seiner Armee teilweise durch Lwcem- 
burg auf die französische Festung Longwy vorgerückt war. 
Der französische Angriff setzte zunächst bei Mülhausen 
ein, wo er zweifellos verfrüht erfolgte. Hier wurden 
die Franzosen bald wieder zurückgeschlagen und auf die 
Grenze zu in die Vogesen abgedrängt. Gestützt auf den 
ausgedehnten Festungsgürtel, der sich von Belfort über 
Toul und Verdun erstreckt, erfolgte dann der Durchbruchs 
versuch der Franzosen auf der Linie Saarburg—Lauter 
fingen—Dieuze—Delme, der in den Kämpfen auf den
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.