Illustrierte Geschichte des Welttrieges 1914.
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Die OfsizierfernpaLrouille der Kavallerie.
Von Generalleutnant 2. D. Baron von Ardenne.
(Hierzu die Kunstbeilage.)
Wer in diesen Zeitläuften ernst die langen Verlustlisten
durchmustert, wird bei den Kavallerieregimentern häufig
die Angabe finden: ein Leutnant, soundsoviel Mann
schaften tot, verwundet, gefangen. Diese Mitteilung be
deutet fast immer den tragischen Ausgang einer Offizier
patrouille. Die Gefahren, die sie laufen, reichen an die der
Flieger und der Unterseeboote heran. Die Führung er
fordert wie bei diesen Mut, Entschlossenheit, Verwegenheit,
Kaltblütigkeit, Geschicklichkeit und Erfahrung. Eine einzelne
dieser Eigenschaften genügt nicht, sie müssen sich vereint in
einer Persönlichkeit verkörpern. Die Patrouillen werden in
den modernen Kriegen sehr weit vorgetrieben, bis zu
100 Kilometer; ihre Haupttätigkeit entwickeln sie in einer
Gefahrzone, wo meilenweit kein Angehöriger des eigenen
Sicherheitsbereich der eigenen Truppen ist. So lange dies
der Fall ist, benutzt sie die großen Straßen. Bei der ersten
Sichtung des Feindes wird sie diese aber meist verlassen.
Zwischen dem Führer und seinen Leuten herrscht ein ver
trautes Verhältnis. Diese dürfen und sollen leise sprechen,
ihre Wahrnehmungen mitteilen. Letztere sind oft ver
blüffend und bei längerer Dauer des Feldzuges meist Zeug
nis außerordentlicher Sinnesschärfe und verständnisvollster
Schlußfolgerung.
Die Patrouille geht sprungweise vor — das heißt sie
durchmißt einen Raum, wo sie sichtbar werden könnte, in
schneller Gangart, hält dann, lauscht und äugt, wie das
Wild, wenn ihm Gefahr droht. Und diese droht wirklich
von allen Seiten. Zunächst ist es meist feindliche Kavallerie,
die vermieden werden muß —- denn wird man mit ihr
handgemein, so hört das Beobachten auf. Man kann
nicht zu gleicher Zeit sehen und fechten. Bei den „Sprüngen"
reitet die Patrouille nie aus einem Haufen, sondern aus-
Gefecht bei Musson—Baranzy. Nach der Skizze eines mitkämpfenden Offiziers gezeichnet von E. Klein.
Heeres zu finden ist. Ihre Aufgaben sind so vielgestaltig,
daß eine selbst allgemeine Aufzählung sich verbietet. Die
hauptsächlichsten sind die Erkundung marschierender oder
ruhender feindlicher Heeresteile, von Festungen und befestig
ten Feldstellungen, von rückwärtigen Verbindungen, Eisen
bahnen, Tunneln, Flußläufen, Straßen, Brücken — auch
Zerstörung dieser mit den Kavalleriesprengpatronen —-
von Telegraphen- und Telefunkenstationen, von Stim
mung und Haltung der Bevölkerung; ferner das Ergreifen
von Gefangenen und tausenderlei anderes.
Oft müssen mehrere Aufträge von einer Patrouille
ausgeführt werden. Der Führer sieht sich, nachdem er
seinen Auftrag erhalten, zunächst die Karte an, erwägt
den ungefähren Weg, den er nehmen will, und weiht
seine Begleitmannschaften, soweit ihm das wünschenswert
erscheint, ein. Diese bestehen meist in einem hierzu beson
ders geeigneten Unteroffizier, der die Patrouille weiter zu
führen hat, wenn der Leutnant fällt, und etwa sechs bis
zwölf Reitern. Bei längerer Dauer des Krieges melden
sich dazu fast immer Freiwillige, besonders wenn der
Offizier beliebt und als Führer geachtet ist. Rasch geht die
Patrouille vorwärts, besonders anfänglich, wo sie noch im
einandekgezogen, damit sie nicht durch die Salve eines ver
steckten Feindes auf einmal aufgerieben werden kann. Der
Offizier und zwei Leute reiten an der Spitze, die anderen
folgen an den Rändern des Weges, in den Straßengräben,
nie auf der Straße selbst, meist auf der rechten Seite, denn
die feindlichen Gewehre haben den Drall (Laufwindung)
nach rechts und die Geschosse gehen auf weitere Entfernun
gen meist links vorbei. Jede Minute bringt neue Eindrücke,
neue Überlegungen. Während des Haltens der Patrouille
werden gern hochragende Bäume erklettert, Kirchtürme in
Feindesland wegen der zweifelhaften Haltung der Bevölke
rung aber vermieden. Das Gebaren der letzteren ist zu
beobachten. Zeigen die Leute eine freche Zuversicht, so ist
der Feind in der Nähe — sind sie demütig und unterwürfig,
so ist er es nicht. Stehen Windmühlen falsch gegen den
Wind, flammen Feuer auf, so sind es fast immer Zeichen
für den Feind. Die Patrouille hat diese Zeichen wohl
zu beachten. Wird sie von feindlichen Patrouillen oder
Eskadronen gejagt, so muß sie, wenn sie noch frische und
gut eingesprungene Pferde hat, schwieriges Gelände auf
suchen — der Feind wird dann meist die Verfolgung auf
geben. Ist ein Zusammenstoß mit feindlichen Patrouillen