Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
Abendstunden des 27. Juli versuchte der Mob aus den 
Vororten, darunter viele Zigeuner, Plünderungen, die das 
Militär nötigten, mit der Waffe vorzugehen. 
Am gleichen Tage meldete die Wiener „Sonn- und 
Montagszeitung", daß die Serben die Eisenbahnbrücke 
über die Donau zwischen Belgrad und Semlin in die Luft 
gesprengt hätten. Diese Eisenbahnbrücke führt über die 
Save südwestlich von Belgrad. Auf der Brücke überschreitet 
die große Orientbahn Wien—Konstantinopel die Save, die 
dort eine Breite von vierhundert Meter hat, also schon 
ein bedeutendes Hindernis darstellt. Diese Brücke ist für 
das österreichische Heer von großer Bedeutung, weil die 
ganze österreichische, in Serbien einrückende Ärmee über 
sie geführt werden muß. Später stellte sich allerdings her 
aus, daß nur einige Teile und Pfeiler gesprengt waren, 
ein Schaden, der alsbald durch österreichische Pioniere 
einstweilen wieder beseitigt wurde. 
Am 27. Juli, an welchem Tage ein Teil der Pester 
Garnison die Stadt in der Richtung nach Süden verließ, 
ereignete sich auch der erste Erenzzwischenfall. In der 
Nähe von Temeskubin, bei Kevevara auf ungarischem 
Boden an der Donau, wurden hundertzwanzig Mann 
ungarische Soldaten, die sich auf Schiffen der Donau 
dampfschiffahrtsgesellschaft befanden, von serbischen Sol 
daten beschossen, worauf sich ein heftiges Eewehrfeuer ent 
wickelte, das zwanzig Minuten währte. Zwei serbische 
Schiffe wurden von den ungarischen Soldaten beschlag 
nahmt. — Der serbische Thronfolgerregent begab sich ins 
Hauptquartier in Valjevo, weil in militärischen Kreisen der 
erwähnte Erenzzwischenfall als Kriegsanfang angesehen 
wurde. Die serbische Regierung begann nun, in Tschuprina, 
Semendria und Pozarevac große Truppenmassen zusammen 
zuziehen, die bestimmt waren, mit dem General Stesano- 
witsch an der Spitze bei Temeskubin über die Donau zu 
gehen und in Ungarn einzufallen. Bereits am 25. Juli 
abends zehn Uhr wurde der serbische Eeneralstabschef 
Putnil, der sich auf der Heimreise von einem Kurorte nach 
Belgrad befand, auf einer kleinen Station, Kölentjöld bei 
Budapest, festgenommen. General Putnik war außer 
ordentlich überrascht, da er nicht wußte, daß der Kriegs 
zustand eingetreten war. Er versuchte Widerstand zu 
leisten und weigerte sich, ein bereitstehendes Automobil 
zu besteigen. Putnik wurde zum Platzkommando ge 
bracht. 
Am Bahnhof wurde er von General Sorsich empfangen, 
der ihn für verhaftet erklärte. Vier Personen, wahr 
scheinlich serbische Generalstabsoffiziere, die den General- 
stabschef auf seiner Reise begleiteten, und die Tochter 
Putniks wurden in einem Hotel untergebracht. Am 
nächsten Tage aber wurde der Eeneralstabschef wieder 
freigelassen infolge eines Telegramms von Kaiser Franz 
Joseph, worin wieder einmal die Ritterlichkeit des öster 
reichischen Kaisers zum Ausdruck kam. General Putnik 
fuhr nach seiner Freilassung sofort in einem Ertrazuge nach 
Belgrad. 
Am 27. Juli überschritten die österreichischen Truppen 
die ungarisch-serbische Grenze und marschierten nach Mitro- 
witz, ihrem vorgesteckten Ziel. Die Serben wurden 
überall zurückgeworfen und Mitrowitz besetzt. Mitrowitz 
ist ungarischer Grenzort an der Save mit etwa zwölftausend 
Einwohnern. Es liegt dem nördlichsten Zipfel Serbiens 
gegenüber und etwa hundert Kilometer von Valjevo, dein 
vorläufigen Hauptlager der serbischen Armee. Dieser Vor 
stoß der Österreicher wurde nur mit einem kleinen Truppen 
teile vorgenommen, weil sich ja jener Teil der österreichischen 
Armee, der zur Aktion in Serbien bestimmt war, noch im 
Zustande der Mobilmachung befand. 
Der Einmarsch der Österreicher in Serbien wurde in 
Wien mit stürmischem Jubel begrüßt. Der Jubel wurde 
noch größer, als bald darauf die Kunde kam, daß die ersten 
serbischen Gefangenen gemacht worden seien. Auf der 
Donau bei Kocewo wurden die serbischen Truppentrans 
portdampfer „Warda" und „Zar Nikolaus" von den öster 
reichischen Booten der Donauflottille aufgebracht und dabei 
die ersten serbischen Gefangenen gemacht. 
Jetzt kamen aber auch zuverlässige Nachrichten, daß 
Rußland beginne, seine Truppen an der österreichisch 
russischen Grenze zusammenzuziehen. Österreich-Ungarn 
war dadurch genötigt, für den Schutz seiner Grenzen auch 
die Mobilisierung gegen Rußland anzuordnen und schließ 
lich den Krieg zu erklären. Damit war der Bündnisfall 
für Deutschland gegeben. «Fortsetzung folgt.) 
Illustrierte Kriegsberichte. 
Die patriotischen Kundgebungen in der 
Reichshauptstadt. 
(Hierzu das Bild auf Seite 5.) 
Wie in allen Städten des Deutschen Reiches und in 
Österreich-Ungarn, worüber später noch an besonderer Stelle 
berichtet wird, so zeugten von der wundervollen Stimmung, 
die unser Voll von Anfang an beseelte, auch die Kund 
gebungen in der Reichshauptstadt. Aber es war keine über 
mütige, leichtfertige Hurrastimmung, hier so wenig wie 
irgendwo im Reiche. Allenthalben zeigte sich der tiefe 
Ernst der Lage auf den Gesichtern ausgeprägt, nicht minder 
aber auch die unbedingte Zuversicht zum Erfolg der guten 
Sache, für die wir das Schwert ziehen sollten. Dann 
kamen Augenblicke, wo dieser zuversichtliche Ernst in Aus 
brüche glühender Begeisterung umschlug. Schon der ganze 
31. Juli, an dem der Kaiser und die Kaiserin nach Berlin 
zurückkehrten, stand im Zeichen dieser Begeisterung. Die 
Ankunft des Kaisers gab Anlaß zu einer großartigen Kund 
gebung der ganzen Berliner Bevölkerung. Mit stürmischen 
Hochrufen, in denen sich die Erregung der letzten Tage Luft 
machte, begrüßte die Menge den Monarchen, der, in der 
Uniform der Gardekürassiere tiefernst an der Seite der 
Kaiserin sitzend, die Grüße erwiderte. Um dreiviertel drei 
Uhr war der Kaiser im Schloß, auf dem sofort die Kaiser 
standarte gehißt wurde. Wenige Minuten später, ehe die 
Erregung sich gelegt hatte, folgte das Automobil des Kron 
prinzen, der die Uniform der schwarzen Husaren trug und 
mit der Kronprinzessin und seinem ältesten Sohn ebenfalls 
mit begeisterten Huldigungen umjubelt wurde. Ihren Höhe 
punkt erreichten die patriotischen Kundgebungen, als etwa 
um sechseinhalb Uhr der Kaiser, die Kaiserin und Prinz 
Adalbert an dem Fenster des Rittersaales erschienen und der 
Kaiser, oft von tosenden Zustimmungsrufen unterbrochen, 
an die vieltausendköpfige Menge die ernste Ansprache richtete: 
„Eine schwere Stunde ist heute über Deutschland herein 
gebrochen. Neider überall zwingen uns zu gerechter Ver 
teidigung. Man drückt uns das Schwert in die Hand. Ich 
hoffe, daß, wenn es nicht in letzter Stunde meinen Be 
mühungen gelingt, die Gegner zum Einsehen zu bringen 
und den Frieden zu erhalten, wir das Schwert mit Gottes 
Segen führen werden, bis wir es mit Ehren wieder in die 
Scheide stecken können. Enorme Opfer an Gut und Blut 
würde ein Krieg vom deutschen Volk erfordern. Den Gegnern 
aber werden wir zeigen, was es heißt, Deutschland anzu 
greifen. Und nun empfehle ich euch Gott. Jetzt gehet in 
die Kirche und kniet nieder vor Gott und bittet ihn um Hilfe 
für unser braves Heer." 
Stürmische Hoch- und Hurrarufe antworteten dem 
Kaiser, und dann fluteten noch stundenlang die erregten 
Massen, vaterländische Lieder singend, durch die Hauptstraßen 
der Reichshauptstadt. Eine deutsche Fahne wird voraus 
getragen. Jung und alt, Arm in Arm, marschieren wohl 
geordnet im Gleichschritt heran. Und was sie singen, das 
braust wirklich gleich einem Ruf wie Donnerhall. 
In vorgerückter Nachtstunde zieht man vors Reichskanzler 
palais. Kurz vor Mitternacht sind die Massen ins un 
geheure geschwollen; und sie harren, bis der Reichskanzler 
am Mittelfenster des Kongreßsaales erscheint, gleichfalls 
stürmisch begrüßt. Besser hätte Herr v. Bethmann Hollweg 
die Stimmung des Augenblicks nicht ausschöpfen können 
als durch den Hinweis darauf, daß man vor dem Hause 
Bismarcks stehe, der mit Kaiser Wilhelm dem Großen und 
Moltke das Reich geschmiedet hat. „Wir wollten," so fuhr 
der Reichskanzler fort, „in dem Reich, das wir in vierund- 
vierzigjühriger Friedensarbeit ausgebaut haben, auch ferner 
im Frieden leben. Das große Werk unseres Kaisers war der
	        
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