Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
So nahm es mich wunder, daß ich kaum gebildete Frauen 
angetroffen habe, die Deutsch sprechen, lesen oder verstehen 
konnten. Zunächst hielt ich das für eine abgekartete Ge 
schichte und nahm an, daß sich die Damen aus Grimm über die 
Störung ihres gewohnten Lebens dumm stellten; indessen 
habe ich mich tatsächlich von ihrer Unbildung überzeugen 
müssen. In St. D. war ich mit meinen Kameraden bei zwei 
Damen einquartiert; die eine, außerordentlich begütert, 
Besitzerin eines schönen Landhauses mit mehreren Besuchs 
zimmern und großem Garten, war eine vornehme 'Er 
scheinung, etwa Anfang der Vierziger, unverheiratet. Sie 
verstand wirklich nicht eine Silbe Deutsch, was unter 
anderem einwandfrei aus einer mündlichen Beschwerde her 
vorging, die sie wegen der Einquartierung von mehreren 
Herren an unsere Vorgesetzten richtete. Die zweite Dame, 
eine Kapitäns- (Hauptmanns-) Frau, mit der man sich 
französisch über alles mögliche unterhalten konnte und 
über deren Gastfreundschaft ich mich in keiner Weise zu 
beklagen hatte, ging auf kein Wort Deutsch ein. Sie 
war in der unglücklichen Lage, seit drei Wochen über das 
Ergehen ihres Mannes nichts zu wissen, der in der großen 
Schlacht bei Metz—Saarburg mit seinen Chasseurs gegen uns 
gekämpft hatte. Als 
sie unsere Zeitun 
gensah, die wir mit 
der württembergi- 
schen Feldpost er 
staunlichrasch nach 
geschickt erhielten, 
erregte dies ihren 
lebhaften Neid, 
und sie drang in 
mich, ihr Nach 
richten über das 
Schicksal der fran 
zösischen Waffen 
mitzuteilen. Ich 
reichte ihr stumm 
die Zeitung zum 
Lesen hin. Sie 
wußte nichts damit 
anzufangen. Hätte 
sie Deutsch zum 
mindesten lesen 
können, dann wür 
de ihre Neugierde 
zweifellos ein er 
künsteltes „Sich- 
dummstellen" 
überwunden' ha 
ben. So erbarmte 
ich mich ihrer und . ^ 
gab ihr. mit dem Fmger dre Zeltungsdepeschen unter 
streichend. ein tlares Bild von der Bedeutung und Zahl der 
deutschen Erfolge in Ost und West. Der Schreck war 
nicht gerina, was la pauvre Franco anbetraf. Indessen 
schienen ihr die 90000 Russen keinen Eindruck zu machen; 
ihre Gegengründe waren diese: Erstens seien doch die 
Russen schon in Berlin — dies glauben die betrogenen 
Franzosen seit Kriegsbeginn und lassen sich von der vor 
gefaßten Meinung nicht abbringen — und zweitens habe 
Rußland ja fünf Millionen Streiter, da könne eine solch 
verschwindende Gefangennahme nicht allzuviel bedeuten. 
Letzten Endes müßten wir von der Überzahl doch erdrückt wer 
den. — Da es mir nicht gelang, meine Nachbarin zu belehren, 
verabschiedete ich mich höflich mit einem: „bious verrons !“ 
Englische Schiffsgeschütze. 
(Hierzu die Bilder Seite 242 und 243.) 
Die Hauptwaffe einer Flotte ist ihre Artillerie, die über- 
all und jederzeit verwendet werden kann! An erster Stelle 
stehen die großkalibrigen Geschütze, weil sie gegen Panzer 
schiffe, die mächtigsten Kampfkräfte, selbst auf sehr erheb 
liche Entfernllngen die stärkste Wirkung ausüben. Im 
Gegensatz zu den verhältnismäßig kurzen Mörsern der 
Landartillerie haben die Schiffsgeschütze eine gewaltige 
Länge, die durch das Erfordernis bedingt ist, Geschosse 
kolossalen Gewichts in flacher Flugbahn auf weit entfernte, 
mit sehr starkem, senkrechtem Panzer versehene Ziele zu 
feuern, um diesen zu durchschlagen. Der hierzu nötigen 
großen Wandstärke der Granaten wegen muß man sich 
zur Erzielung einer Sprengwirkung im Schiffsinnern mit 
einer geringeren Sprengladung begnügen. Gegen schwach 
oder gar nicht gepanzerte Ziele benutzt man dünnwandigere 
Granaten mit größerer Sprengladung. 
Welche Abmessungen solche Kanonen haben, veranschau 
lichen unsere Bilder englischer Schiffsgeschütze, mit denen 
die unsrigen im Laufe dieses Krieges wohl noch öfter 
donnernde Zwiesprache halten werden! — Auf dem einen 
Bilde (Seite 243) sehen wir das zum Einsetzen in die 
Lafette fertige, etwa 17 Meter lange Rohr eines derartigen 
Geschützes. Der dicke, in den Lagern der Bodenfläche ruhende 
senkrechte Bolzen und die mit Handrad versehene Spindel 
dienen zum Tragen und Schwenken des Verschlusses, der 
aus einer von hinten in das Ladeloch einzuführenden 
Schraube besteht. Ihr Gewinde, wie das zugehörige 
Muttergewinde im Rohr ist an mehreren Stellen weg 
geschnitten, so daß es zum Schließen des Verschlusses nach 
dessen Einführung nur einer Teildrehung bedarf. Das 
Abfeuern erfolgt mittels elektrischer Zündung. 
Die englischen Schiffsgeschütze wurden in den letzten 
Jahrzehnten nach 
dem sogenannten 
Drahtsystem ge 
baut, bei den: 
ein Drahtband um 
einen Kern ge 
wickeltwird. Die an 
diese Herstellungs 
art vielfach ge 
knüpften hohen Er 
wartungen find 
nicht nach jeder 
Richtung hin erfüllt 
worden. Jedenfalls 
ist' die Schußzahl, 
die ein solches Ge 
schütz aushält, er 
heblich geringer als 
diejenige, die ein 
Mantelring-Ee- 
schütz verträgt, bei 
dem eine Anzahl 
gegossener Ringe 
über den Kern ge 
streift werden. 
Auf den: anderen 
Bilde (Seite 242) 
ist das Abfeuern 
einer Breitseite aus 
den Geschützen ei- 
nes englischen Schlachtschiffes dargestellt. Wie mächtig der 
Krach und wie gewaltig der Rückstoß auf das Schiff dabei 
ist, kann man sich kaum vorstellen! Man bedenke, daß zehn 
solcher Geschütze, die bis zu 34,3 Zentimeter Kaliber haben 
und mit etwa 200 Kilogramm Pulverladung ein Geschoß 
von 635 Kilogramm herausschleudern, zugleich losgehen! — 
Trifft eine solche Lage ein Schiff günstig, dann sind die 
auf diesem angerichteten Verheerungen gewaltige. Das 
Geschoß fliegt mit etwa 800 Meter Geschwindigkeit in der 
Sekunde aus der Mündung und durchschlägt nahe derselben 
einen Panzer von 120 Zentimeter Stahl. Ein solches 
Geschütz kann etwa anderthalb Schuß in der Minute ab 
feuern und sein Geschoß auf 2700 Meter einen Panzer von 
65 Zentimeter Stahl durchschlagen. Die größte Panzer 
stärke der neuesten englischen Schlachtschiffe beträgt etwas 
mehr als 30 Zentimeter Stahl. Wir haben erst in den 
letzten Jahren auf unseren neuesten Linienschiffen ähnlich 
starke Kaliber aufgestellt. Unser größtes Schiffsgefchütz hat 
20 Meter Länge, etwa 86 Tonnen Rohrgewicht und verfeuert 
mit 279 Kilogramm Pulverladung Geschosse von 760 Kilo 
gramm mit einer Mündungsgeschwindigkeit von 900 Meter 
in der Sekunde. Die Durchschlagskraft nahe der Mündung 
ist 127 Zentimeter Stahl. Die Mündungsarbeit beträgt 
31380 Metertonnen gegenüber 26000 des englischen Vickens- 
38-Zentimeter. Man ersieht hieraus, daß unsere Schiffs- 
geschützedenenglifchengleichenKalibersüberlegensind. Dafür, 
daß mit ihnen auch getroffen werden wird, bürgt die hervor 
ragende Ausbildung unseres Marinegeschützpersonals. 
Phot. Jos. Poehlmann, München. 
Zerschossene Silbermünzen aus dem Brustbeutel eines Gefreiten. 
Die Geldstücke retteten dem Getroffenen das Leben.
	        
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