Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
Alle Lebensmittel- und sonstigen Geschäfte sind während 
des größten Teils des Tages geschlossen." 
Die Besetzung der Landeshauptstadt Brüssel ist in 
erster Linie von großer moralischer Bedeutung, denn sie 
kommt fast der Eroberung des Landes gleich. Auch konnten 
gegenüber der Besetzung von Brüssel die erlogenen Sieges- 
nreldungen unserer Feinde nicht mehr aufrecht erhalten 
werden. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß Brüssel 
eine der reichsten Städte ist, wie überhaupt ganz Bel 
gien sich großer Wohlhabenheit und Fruchtbarkeit erfreut. 
Ein großer Teil unserer Truppen konnte nunmehr von 
dort aus versorgt und das eigene Land dadurch entlastet 
werden. Brüssel erhielt eine Kriegssteuer von 200 Mil 
lionen Frank auferlegt. 
In den letzten Tagen des Juli und Anfang August glaubte 
man noch damit rechnen zu 
dürfen, daß Japan sich auf 
seiten des Dreibundes stellen 
und Nußland angreifen 
werde. Eine solche Ent 
wicklung der Dinge schien 
deshalb glaubhaft, weil Ja 
pan in seinem ruhmreichen 
Kriege gegen Rußland so 
schlecht abgeschnitten hatte, 
daß es nicht einmal eine 
Kriegsentschädigung erhielt. 
Die europäische Diplomatie 
hatte zerstört, was das ja 
panische Schwert errungen 
hatte. Da lag der Gedanke 
nicht so fern, daß die Ja 
paner die Gelegenheit be 
nutzen würden, um sich den 
entgangenen Siegespreis 
durch einen Angriff auf Ruß 
lands asiatischen Besitz zu 
holen. 
Aber schon in den ersten 
Tagen des August änderte 
sich das Bild. Alle euro 
päischen Staaten und auch 
Nordamerika hatten ihre 
Neutralität den Kriegfüh 
renden gegenüber erklärt, 
nur die japanische Neutrali 
tätserklärung war ausge 
blieben. Unterm 8. August 
kam aus Tokio die Nachricht: 
„Mit Rücksicht auf das eng 
lisch-japanische Bündnis hat 
Japan keine Neutralitäts 
erklärung erlassen. Seine 
Haltung wird von den Er 
eignissen auf den Meeren 
des fernen Ostens abhän 
gen." Dies gab zu denken. 
Die Berufung auf das 
Bündnis mit England bedeutete ganz einfach Krieg gegen 
Deutschland, wenn auch nicht in Europa, so doch in den ost 
asiatischen Gewässern, in erster Linie gegen unsere Kolonie 
Kiautfchou. 
Bald darauf, das heißt um die Mitte des Monats August, 
verschwanden plötzlich die an deutschen Hochschulen stu 
dierenden Japaner. In München handelte es sich allein 
um 46 Mediziner. Auf Erkundigungen beim japanischen 
Konsulat in Berlin wurde diese Tatsache bestritten. Auch 
alle japanischen Armee- und Marineoffiziere reisten heim 
lich . ab, und auf diesbezügliche Vorstellungen beim ja 
panischen Botschafter in Berlin erwiderte dieser, daß die 
Abreise der japanischen Armee- und Marineoffiziere darauf 
zurückzuführen sei, daß die ganze deutsche Armee in kriege 
rischer Unternehmung stehe, an der fremdländische Offiziere, 
die zum aktiven Dienst kommandiert waren, nicht teilnehmen 
dürften. Dagegen blieben sowohl der Militär- als auch der 
Marineattachö, die zum diplomatischen Dienste gehörten, 
in Berlin, wie überhaupt mit Ausnahme des seit längerer 
Zeit beurlaubten Botschafters das ganze Potschaftspersonal 
sich in Berlin auf seinem Posten befand. — In Regie 
rungskreisen wußte man bereits, was die Stunde ge 
schlagen hatte, und bald sickerten Nachrichten durch von 
einem Ultimatum Japans an Deutschland. Dieses Ultima 
tum wurde in der Tat am 19. August überreicht und lautet 
in deutscher Übersetzung folgendermaßen: 
„Die Kaiserlich Japanische Regierung erachtet es in der 
gegenwärtigen Lage für äußerst notwendig, Maßnahmen 
zu ergreifen, um alle Ursachen der Störung des Frie 
dens im fernen Osten zu beseitigen und das allgemeine In 
teresse zu wahren, das durch den Bündnisvertrag zwischen 
Japan und Großbritannien ins Auge gefaßt ist, um einen 
festen dauernden Frieden in Ostasien zu sichern, dessen Her 
stellung das Ziel des besagten Abkommens bildet. Sie 
hält es deshalb aufrichtig für ihre Pflicht, der Kaiserlich 
Deutschen Regierung den Rat zu erteilen, die nachstehen 
den beiden Vorschläge auszuführen: 
1. Unverzüglich aus den 
japanischen und chinesischen 
Gewässern dir demshen 
Kriegschiffe und bewaff 
neten Fahrzeuge jeder Art 
zurückzuziehen und diejeni 
gen, die nicht zurückgezogen 
werden können, alsbald ab 
zurüsten. 
2. Bis spätestens 16.Sep 
tember 1914 das gesamte 
Pachtgebiet Kiautfchou be 
dingungslos ohne Entschädi 
gung den Kaiserlich Japa 
nischen Behörden zu dem 
Zweck auszuantworten, es 
gegebenenfalls an China zu 
rückzugeben. 
Die Kaiserlich Japanische 
Regierung kündigt gleich 
zeitig an, daß, falls sie nicht 
bis zum 23. August 1914 
mittags von der Kaiserlich 
Deutschen Regierung eine 
Antwort erhalten sollte, die 
die bedingungsloseAnnahme 
der vorstehenden von der 
Kaiserlich Japanischen Re 
gierung erteilten Ratschläge 
enthält, sie sich genötigt 
sehen wird, so vorzugehen, 
wie sie es nach Lage der 
Sache für notwendig befin 
den wird." 
Die japanischeRegierung 
hat sich über den Erfolg 
ihres Schrittes keiner fal 
schen Vorstellung hinge 
geben; das geht schon aus 
dem heimlichen Verschwin 
den der Japaner hervor, 
und auch der japanische Bot 
schafter hatte schon längst 
Berlin verlassen. Dem japanischen Geschäftsträger wurde 
von der deutschen Regierung am 23. August vormittags 
folgende mündliche Antwort erteilt: 
„Auf die Forderungen Japans hat die deutsche Re 
gierung keinerlei Antwort zu geben. Sie sieht sich daher 
veranlaßt, ihren Botschafter in Tokio abzuberufen und dem 
japanischen Geschäftsträger in Berlin seine Pässe zu 
zustellen." 
In dem Verhalten der deutschen Regierung kommt die 
verdiente Verachtung des hinterlistigen Japanervolkes deut 
lich zum Ausdruck. Sie fehlt auch nicht in dem halbamtlichen 
Abschiedsgruß, den die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" 
den Japanern widmete. 
„Wir lassen die Herren Japaner herzlich gern ziehen, 
und zwar auf Nimmerwiedersehen. Sie sind eine fremde 
Rasse, die von uns gelernt hat und noch viel lernen müßte, 
ehe wir sie als ebenbürtig ansehen könnten. Darum wollen 
wir Deutschen als Aberlegene, auch, wo uns etwa noch ein 
kleiner Japaner begegnen sollte, ihn gar nicht beachten und 
uns um die japanische Botschaft überhaupt nicht kümmern. 
Phot. Berliner Illustrations-Gesellschaft nt. b. H. 
Deutsche Soldatenpatrourlle auf dem Boulevard Anspach in Brüssel.
	        
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