177
176
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914.
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914.
Die Niederlage der Serben
im Kampf an der Save.
Nach einer Origmalzeichnung von
Fritz
Man kann sich also nicht wundern,
wenn die Leistungen im Kriege
recht ungleich ausfallen. Die Armee
ist eben in der Mauserung begrif
fen; neben Veraltetem, Unbrauch
barem, das noch nicht ganz über
wunden ist, steht Neues, Ungewohn
tes, das sich noch nicht hat einleben
können.
Nehmen wir zunächst den Sol
daten. Er ist zu allen Zeiten und
von allen fremden Beurteilern sehr
gerühmt worden, und er besitzt in
der Tat ausgezeichnete Eigenschaf
ten. Bedürfnislos, ausdauernd,
willig, gehorsam, nicht leicht zu ent
mutigen — ein bequemes, zuver
lässiges Instrument in der Hand des
Führers. Aber es fragt sich doch,
ob damit schon alle, ob auch nur alle
wichtigsten Eigenschaften erschöpft
sind, die heute den wirklich guten
Soldaten ausmachen. Jedenfalls
stehen den angeführten Vorzügen
gewisse Mängel gegenüber, die man
nicht geringschätzen darf: Unwissen
heit — 75 Prozent des russischen
Volkes sind Analphabeten! — Lang
samkeit , Unselbständigkeit sind die
auffälligsten. Sodann ist es oft er
probt worden, daß der Nüsse in der
Verteidigung mehr leistet als im An
griff. Er ist eben alles eher als
schneidig. Auch Ordnungsliebe,
Sauberkeit und Pünktlichkeit kann
man ihm nicht nachrühmen. Als
es sich um die Einführung des
Magazingewehrs handelte, wurde
das Bedenken ernsthaft geltend ge
macht, ob dieses Instrument nicht
zu hohe Anforderungen in bezug auf
Pflege und Handhabung, an die
Truppen stelle. Nach manchem, was
man seitdem hörte, scheint das Be
denken nicht ganz unbegründet ge
wesen zu sein. Daß die Schiest-
leistungen befriedigen, ist bisher noch
nicht behauptet worden. Ein wirk
lich guter Schütze war der Russe in
früheren Zeiten jedenfalls nicht.
Alles in allem dürfte die Passivität
des Volkscharakters auch im Heere
als ein starkes Hemmnis sich geltend
machen. Im zähen Behaupten der
eingenommenen Stellung sucht der
russische Soldat gewiß seinesgleichen,
aber im Angriffsgefecht, zumal in
unebenem Gelände, ist der russische
Infanterist dem deutschen oder fran
zösischen nicht entfernt zu vergleichen.
Von der Kavallerie ist wenig zu
sagen. Sie ist weder gut ausgebil
det noch gut bewaffnet. Nur die
Garde macht eine Ausnahme. In
ihr gibt es Regimenter, die glänzend
beritten sind und tadellos reiten; oder vielleicht müssen wir
sagen: es gab sie, denn zurzeit sind von ihnen kaum mehr
als dürftige Überreste noch vorhanden, bei Tannenberg haben
sie ihr Massengrab gefunden. Die Kavallerie der Linie hat
weder gute Pferde noch gute Reiter. Es rächt sich da, daß
der Russe von Natur gar kein Verhältnis zum Pferde hat:
er pflegt es schlecht und versteht nicht mit ihm umzugehen.
Vollends die Kosaken kommen als Gefechtstruppe kaum in
Betracht. Diese Halbsoldaten, die im Frieden über weite
Strecken Südrustlands und Sibiriens als Ackerbürger auf
Staatsländereien in einer Art kommunistischer Wirtschafts
gemeinschaft leben und sich bei der Kriegserklärung plötzlich in
leichte Kavallerie verwandeln, wurden schon im japanischen
Kriege von sachkundigen Beurteilern nicht ganz ernst ge
nommen. Wehrlose Volksmassen niederzureiten, Dörfer
anzuzünden und dergleichen Heldentaten zu verrichten, sind
ste sehr geeignet, aber fechten können sie nicht, nicht einmal
aufklären, weil sie dafür zu dumm und unwissend sind. Die
übrige Linienkavallerie leidet an mangelhafter Bewaffnung
und Ausbildung. Nur das erste Glied hat Lanzen (wie in
Frankreich); das Dragonergewehr, das der Mann über dem
Rücken trägt, ist minderwertig und die Ausbildung im
Schiesten mangelhaft. Es ist eben nicht möglich, aus dem
rohen Klotz, den der russische Rekrut darstellt, in der vor
geschriebenen Zeit einen Reiter zu machen, der auch in-
fanteristisch in einer den modernen Ansprüchen genügenden
Weise ausgebildet wäre.
Den größten Wert hat man in neuerer Zeit auf die
Artillerie gelegt. Sie war früher die schwächste Seite der
ganzen Armee — es gab vor 20 Jahren Batterien, die im
Probeschiesten keinen Treffer erzielten — und sie ist heute,
wie die Augenzeugen übereinstimmend berichten, die beste
Truppe des russischen Feldheeres. Aber der deutschen
Rivalin scheint sie doch nicht entfernt gewachsen zu sein.
Ihr Kaliber ist kleiner — die Haubitze hat 12 Zenti
meter Durchmesser gegen 15 — ihr Geschoß schwächer und
unsicherer und die Feuertechnik nicht auf der Höhe. In
den ostpreustischen Schlachten hat sie gegen unsere Artillerie
nirgends aufzukommen vermocht.
Wer den russischen Soldaten lobte, hat stets den Ton
darauf gelegt, daß er in der Hand von tüchtigen Führern
Ausgezeichnetes leiste. An diesen tüchtigen Führern hat
es aber im russischen Heere von jeher gefehlt und fehlt es
noch heute. Der russische Linienoffizier ist entschieden
minderwertig. Schlecht bezahlt, infolgedessen schon sozial
untergeordnet, meist ganz unge
bildet, führt er in der Mehrzahl
ein ödes Kommistleben, abseits der
guten Gesellschaft, nicht selten in
Liederlichkeit und Laster.
Ausnahmen gibt es gewiß auch
hier, einzelne Männer, die be
scheiden und aufopfernd ihre Pflicht
tun; aber sie bestätigen die Regel.
Die Duma hat eine Wurzel des
Abels richtig erkannt und auszu
reißen versucht, indem sie die Be
züge erhöhte. Aber die Maßregel
ist erst in neuester Zeit erfolgt und
kann noch keine Wirkung getan
haben.
So darf man getrost sagen, daß
in der russischen Armee nur die Offi
ziere der Garde, zu der sich die
besseren Stände drängen, ungefähr
dem Begriffe entsprechen, den man
sich in westlichen Ländern von
diesem Stande macht.
Die Übergabe
der Festung Longwy.
(Hierzu die Bilder auf Seite 166 und 168/169.)
Von einem Kriegsteilnehmer,
der der Übergabe der französischen
Festung Longwy beiwohnte, er
halten wir die folgende Schilderung
des historischen Vorgangs:
Gestern, am 26. August, erlebte
ich wohl meinen größten historischen
Tag, und zwar die Übergabe der
Festung Longwy, die mit großer
Tapferkeit seitens der Franzosen
verteidigt worden war. Gegen zwölf-
einhalb Uhr kam unser Hauptmann
Richter zu uns, um im Auto mit
einem Befehl nach Halangy zu fah
ren. Wir nahmen an, daß der Be
fehl den Sturm auf Longwy be
traf. In Halangy angekommen,
fuhren wir sofort beim Komman
danten vor. Während der Verhand
lungen unseres Hauptmanns mit
dem dortigen General kam ein Ar
tilleriehauptmann auf einem Auto
angesaust und rief schon vonweitem:
„Erzellenz, Longwy will sich ergeben
und bittet um Verhandlungen am
Wasserwerk vor der Festung !" So
fort wurden sämtliche verfügbaren
Autos von Offizieren bestiegen. In
unserem Auto nahm unser Haupt
mann Richter und einer der drei
in Halangy anwesenden Generale
mit zwei Stabsoffizieren Platz. Rach
einer sehr anstrengenden Fahrt
kamen wir gegen zwei Uhr am Was
serwerk vor Longwy an. Gleichzeitig
mit dem Aufbruch des Kommandos
war der Befehl erteilt worden, die Pferde zu satteln und zwei
vollständige Sanitätskolonnen in der Richtung auf Longwy
vorzuschicken. Am Wasserwerk angekommen, erwarteten uns
von französischer Seite ein Major und ein Sergeant, der als
Dolmetscher diente. Die Verhandlungen zogen sich fast zwei
Stunden hin und wurden wegen des einsetzenden Regens im
Auto geführt. Die Ausfertigung des Übergabeprotokolls er
folgte in deutscher und französischer Sprache. Die Franzosen
schienen von uns eine sehr schlechte Meinung zu haben, denn
sie bestanden darauf, daß in das Protokoll eine Bestimmung
aufgenommen werde, wonach allen gefangenen Franzosen
ihr persönliches Eigentum sowie das Bargeld außer den
Waffen zugesichert werden sollte. Unsere Generale ver
sicherten dem gegenüber, daß wir doch keine Räuber seien
und das persönliche Eigentum auch so achteten, eine solche