Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
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Das Außerordentliche unseres Erfolges vor Lüttich macht 
es erklärlich, daß Gerüchte in Umlauf kamen, die Eroberung 
von Lüttich habe gewaltige Opfer an Menschenleben ge 
fordert. Diese Gerüchte wurden noch besonders genährt 
durch das Verhalten der französischen Negierung, die der 
Festung für ihr tapferes Verhalten das Kreuz der Ehren 
legion verlieh. Vergeblich fragte man sich, durch welche 
Taten diese Auszeichnung verdient worden sei, und die 
Antwort konnte nur dahin gehen, daß die Verteidiger uns 
so großen Schaden bereitet hätten, daß er einer Niederlage 
gleich komme. Diesen G rücksten trat der Eeneralquartier- 
meister von Stein in einer Depesche entgegen, worin es heißt: 
„Französische Nachrichten haben unser Volk beunruhigt. Es 
sollen zwanzigtausend Deutsche vor Lüttich gefallen und der Platz 
überhaupt noch nicht in unserem Besitz sein. Durch die theatralische 
Verleihung des Kreuzes der Ehrenlegion an die Stadt Lüttich sollten 
diese Angaben bekräftigt werden. Unser Volk kann überzeugt sein, 
daß wir weder Mißerfolge verschweigen, noch Erfolge aufbauschen 
werden. Wir werden die Wahrheit sagen und haben das volle Ver 
trauen, daß unser Volk uns mehr als dem Feinde glauben wird, 
der seine Lage vor der Welt möglichst günstig hinstellen möchte. 
Wir müssen aber mit unseren Nachrichten zurückhalten, solange sie 
unsere Pläne der Welt verraten können. Jetzt können wir ohne 
Nachteil über Lüttich berichten. Ein jeder wird sich selbst ein Urteil 
bilden können über die von den Franzosen in die Welt geschrienen 
Zwanzigtausend Mann Verluste. Wir hatten vor vier Tagen bei 
Lüttich überhaupt nur schwache Kräfte, denn ein so kühnes Unter- 
nehmen kann man nicht durch Ansammlung überflüssiger Massen 
vorher verraten. Daß wir trotzdem den gewünschten Zweck erreichten, 
lag in der guten Vorbereitung, der Tapferkeit unserer Truppen, 
der energischen Führung und dem Beistand Gottes. Der Mut des 
Feindes wurde gebrochen, seine Truppen schlugen sich schlecht. Die 
Schwierigkeiten für uns lagen in dem überaus ungünstigen Berg- 
und Waldgelände und in der heimtückischen Teilnahme der ganzen 
Bevölkerung, selbst der Frauen, am Kampfe. Aus dem Hinterhalt, 
den Ortschaften und Wäldern feuerten sie auf unsere Truppen, auch 
auf Arzte, die die Verwundeten behandelten, und auf die Ver 
wundeten selbst. Es sind schwere und erbitterte Kämpfe gewesen, 
ganze Ortschaften mußten zerstört werden, um den Widerstand zu 
brechen, bis unsere braven Truppen durch den Fortsgürtel gedrungen 
und im Besitz der Stadt waren. Es ist richtig, daß ein Teil der Forts 
sich noch hielt, aber sie feuerten nicht mehr. Seine Majestät wollte 
keinen Tropfen Blutes unserer Truppen durch Erstürmung der Forts 
unnütz verschwenden. Sie hinderten nicht mehr an der Durchführung 
der Absichten. Man konnte das Herankommen der schweren Artillerie 
.abwarten und die Forts in Ruhe nacheinander zusammenschießen, 
ohne nur einen Mann zu opfern, falls die Fortsbefahungen sich nicht 
früher ergaben. Aber über dies alles durfte eine gewissenhafte 
Heeresleitung nicht ein Wort veröffentlichen, bis so starke Kräfte auf 
Lüttich nachgezogen waren, daß es auch kein Teufel uns wieder 
entreißen konnte. In dieser Lage befinden wir uns jetzt. Die Belgier 
haben zur Behauptung der 
Festung, soviel sich jetzt über 
sehen läßt, mehr Truppen 
gehabt, als von unserer Seite 
zum Sturm antraten. Jeder 
Kundige kann die Größe der 
Leistung ermessen; sie steht 
einzig da. Sollte unser Volk 
wieder einmal ungeduldig 
auf Nachrichten warten, so 
bitte ich, sich an Lüttich er 
innern zu wollen. Das ganze 
Volk hat sich einmütig unter 
seinem Kaiser zur Abwehr 
der zahlreichen Feinde ge 
schart, so daß die Heeres 
leitung annehmen darf, es 
werden von ihr keinerlei 
Veröffentlichungen erwartet, 
die ihre Absichten vorzeitig 
dem Feinde kundtun und 
dadurch die Durchführung 
der schweren Aufgabe ver 
eiteln könnten. 
Der Generalquartiermeister. 
(gez.) v. Stein." 
Die ausländischen 
Blätter, die wie die Lon 
doner „Daily Mail" uns 
Deutschen das Scheitern 
eines Angriffes auf Bel 
gien gleich an dem Lüt 
ticher Bollwerk prophe 
zeiten, haben also nicht 
recht behalten. 
Sicherlich wird es von Interesse sein, später zu erfahren, 
wieviel Artillerieschüsse auf Lüttich abgegeben wurden, bis 
der Sturm gelang. Es ist anzunehmen, daß der Munitions 
verbrauch auch ein verhältnismäßig geringer gewesen ist, 
während die Beschießung der französischen Festungen 
1870/71 zum Teil einen recht bedeutenden Munitions 
aufwand erforderlich machte. Am bedeutendsten ist die 
Zahl der Schüsse, die gegen Belfort abgegeben wurden. 
Sie betrugen 98 500, während der Verteidiger 86 200 
Artilleriegeschosse verfeuert hat. Weiter sind gegen Straß 
burg etwa 15 600 Schüsse abgefeuert worden, gegen Dieden- 
hofen 8600, gegen Soissons über 8200, gegen Verdun und 
Neubreisach je über 7500, gegen Meziores über 6300, gegen 
Longwy etwa 6300, gegen Paris etwa 6000, gegen Toul 
3900, gegen Montmody etwa 2900 und gegen La Fere 1800. 
Nachdem ein Handstreich auf den Kommandanten von 
Lüttich mißlungen war, gelang es nunmehr unseren stür 
menden Truppen, Leman gefangen zu nehmen. Er wurde 
halberstickt unter den Trümmern eines zusammengeschossenen 
Forts aufgefunden und in Sicherheit gebracht. Die. 
deutschen Offiziere nahmen sich seiner in der kamerad- 
schaftlichsten Weise an und labten ihn mit Erfrischungen, 
die ihnen gerade zur Hand waren. Dann wurde der 
Gefangene dem General v. Emmich vorgeführt, dem er 
seinen Degen überreichte. In Anerkennung dessen, daß 
General Leman die ihm übertragene Pflicht als Komman 
dant der Festung Lüttich bis zum Äußersten erfüllt hat, 
ließ General v. Emmich dem Gefangenen den Degen. 
Eine solche Ritterlichkeit hatte Leman nicht erwartet, 
und sie erschütterte ihn tief. Nachdem sich der Komman 
dant von den seelischen Erregungen und den körperlichen 
Strapazen erholt hatte, erfolgte seine Abreise in die deutsche 
Gefangenschaft nach Köln und später nach Magdeburg. 
Die grausame und niederträchtige Art der belgischen 
Kriegführung, die sich in der Teilnahme der Zivilbevölkerung 
mit Einschluß der Frauen am Kampfe zeigte, nötigte uns, 
im Interesse der Sicherheit unserer Truppen gegen das Frei- 
schärlertum Belgiens besondere Maßregeln zu ergreifen. — 
Ein holländischer Augenzeuge, der sich auf dem linken 
Maasufer aufhielt, schildert im „Limburger Courier" den 
Abergang der deutschen Truppen am 5. August wie folgt: 
„Man konnte sehr deutlich beobachten, wie die Deutschen 
an verschiedenen Stellen mit Kähnen und Holzflößen, neben 
denen die Pferde schwammen, über die Maas setzten. Der 
Abergang vollzog sich etwa an einem Dutzend verschiedener 
Stellen in fester, geregelter-Ordnung. Die Deutschen 
scheinen sich um das Geschützfeuer der Forts und das Ge- 
Osterreich-ungarifche Infanterie-Patrouille im kalksteinreichen Grenzgebiet.
	        
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