Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
Donnerstag, den 3. September 1914. 
Meine Lieben! 
Während vor uns die Kanonen unausgesetzt donnern, 
finde ich jetzt vielleicht einige Augenblicke, um Euch ein paar 
Zeilen über die furchtbare Schlacht bei Longuyon—Roers 
zu schreiben. 
Es war am Montag, den 24. August, um sieben Uhr, 
als wir, die elfte Kompanie, zum Schutze einer Batterie 
des . .. Artillerieregiments gegen einen überlegenen Gegner 
an der Straße Longuyon—Roers lagen. — Vor uns links 
auf einer Anhöhe befanden sich zwei Maschinengewehre und 
ein Teil der Regimenter . .. Es war furchtbar, das feind 
liche Granat- und Schrapnellfeuer, und bewunderungs 
würdig war es, wie die braven deutschen Soldaten stand 
hielten. — Unaufhörlich platzten die furchtbaren Granaten 
des Feindes in unseren Reihen. Rechts und links fielen die 
Kameraden zu Dutzenden, und tief ins Herz drang das 
Gestöhn der Verwundeten, denen man nicht helfen konnte. 
Das feindliche Artilleriefeuer wird nun so stark, daß 
wir langsam gegen Longuyon zurückweichen. — Dies be 
merken unser. Major Roschmann und unser Hauptmann, und 
sofort erhältunser ersterZug, in dem auch ich war, den Befehl, 
im höllischen Feuer die Zurückgehenden wieder mitzureißen. 
Emige vierzig Mann, voran der Major, Hauptmann und 
Äeutriarit, stürmen wir vor. Wir rufen aus Leibeskräften 
Hurra! Vorwärts! und erreichen auch, daß die Zurück 
gehenden wieder mitstürmen. Von neuem geht^s auf die 
Anhöhe, wo die beiden Maschinengewehre sich heldenmütig 
mit halber Mannschaft halten; das Wasser geht aus, aber 
trotzdem wird weitergeschossen, daß die Läufe glühen. 
Die Anhöhe ist erreicht! Furchtbares Gewehrfeuer 
empfängt uns, die wir atemlos verschnaufen. Viele, viele 
der armen Kameraden fallen, aber heldenmütig hält das 
kleine Häuflein die Höhe. Rechts von mir steht mein Major, 
aufrecht, die brennende Zigarre im Mund, das Gewehr, an 
der Wange, und schießt ununterbrochen, links von mir kniet 
mein Hauptmann und schießt, und ich selbst, einen Stroh 
halm im Munde, todmllde, schieße ununterbrochen. Reben 
mir steht ein Unteroffizier, den Unterkiefer weggerissen, 
den Revolver in der Faust, und schießt heldenmütig. Er spricht 
mit den Augen, mit dem Mund kann er nimmer. Ein Held! 
Ich verbrenne mir die Finger an meinem Gewehrlauf. 
Immer furchtbarer wird das feindliche Feuer, aber unser 
Häuflein denkt an kein Zurück. Patronen sind viele da durch 
die Gefallenen, es fehlt also nicht. 
Das Geräusch der anfliegenden und platzenden Gra 
naten ist fürchterlich; wir ducken uns unwillkürlich bei den 
Granaten, die nur 10 Meter vor, neben und hinter uns 
einschlagen. Jedesmal sind wir mit Erde vollständig be 
deckt, aber ein guter Engel scheint uns zu schützen. Da 
platzt eine Granate 10 Schritte vor mir. Ein Braver 
wird, das Gewehr und den Tornister in der Hand, etwa 
15 Meter hoch in die Luft geschleudert. Furchtbar war 
dieser Anblick, und dicke Tränen liefen mir und manch 
anderem über die Wangen. Ein unheimlicher^ Grimm er 
faßt mich, ich schieße wie wahnsinnig. 
Wieder deckt uns die von einer Granate aufgeworfene 
Erde zu. Alles sieht sich um, aber mein Major und Haupt 
mann sind noch da, aufrecht stehend ersterer und ruhig seine 
Zigarre rauchend! Wir unterhalten uns im furchtbaren 
Zischen des Gewehrfeuers und im Krachen der Granaten. 
Vor wollen wir, nur vor. —- Aber das Häuflein an dieser 
Stelle ist zu klein, wir können nur schießen und wieder 
schießen. Unzählige Tote und Verwundete liegen zwischen 
und hinter uns. Schrecklich ist das Gestöhn und Gejammer 
der Getroffenen. Man 
möchte so gerne den lie 
ben armen Kameraden 
helfen, aber man braucht 
uns vorn nötig. 
Da werde ich von 
meinem Hauptmann zu 
rückgesandt. Meinen Tor 
nister lasst ich liegen (ich 
sah ihn nimmer) und 
laufe, so schnell mich 
meine Füße tragen kön 
nen, gegen Longuyon, 
um Verstärkung zu holen. 
Mit Tränen in den Au 
gen muß ich an den vielen 
armen Kameraden vor 
bei, die mich anflehen, 
ihnen zu helfen, sie mit 
zunehmen. Der Schweiß 
läuft an mir nieder, meine 
müden Beine tragen mich 
kaum mehr, aber ich muß, 
beiße die Zähne zusam 
men und laufe mitten 
im fürchterlichen Feuer. 
Da plötzlich erhalte ich 
einen Schlag an der lin 
ken Hand. Das Blut 
fließt über die Finger, 
ein Finger ist durchschos 
sen. Ich verbinde mich 
im Gehen selbstund treffe 
einen General nach etwa 
einer Viertelstunde und 
richte meinen Auftrag aus. Dann begeb* ich mich zum Ver 
bandplatz nach Longuyon, um mich verbinden zu lassen. Zu 
beschreiben, was ich da sah, dazu fehlen mir die Worte, ich 
will's Euch später zu erzählen versuchen. Still ging ich 
wieder, denn die da lagen, hatten Hilfe nötiger als ich. 
Jetzt heilt mein Finger schön. 
Alle von dem kleinen Häuflein Helden sind von meinem 
Major zu einer besonderen Auszeichnung, möglichst zum 
Eisernen Kreuz, vorgemerkt und eingegeben worden. Ob 
tmr's erhalten, ist fraglich. 
Es geht weiter, und ich schließe. Ob ich ein zweites 
Mal wieder so entrinnen werde, ist mehr als fraglich. 
Hoffen wir! Ich möchte Euch so gerne wiedersehen! 
Tausend herzliche Grüße und Küsse von Eurem dank 
baren Gustav. 
Die Generale Dank! und v. Auffenberg. 
(Hierzu die Bilder Seite 85.) 
Der Plan des österreichisch-ungarischen Eeneralstabs, 
durch ein rasches, kühnes Vorgehen die gegen die nördliche 
galizische Grenze anrückenden russischen Armeen über den 
Haufen zu werfen, rechnete mit normalen Verhältnissen. 
Die Strategen unserer Verbündeten durften annehmen, daß 
die russische Mobilmachung erst 6—8 Wochen nach der Kriegs- 
Phot. Gebr. Haeckel, Berlin. 
Eines der erbeuteten russischen Maschinengewehre mit russischem Vorspann wird in Berlin am 2. September eingebracht.
	        
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