Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
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Überrumplung durch die bürgerliche Bevölkerung. Die 
Waffen wurden nicht sichtbar getragen; auch nahmen wieder 
Frauen und Mädchen am Kampf teil. Strenge Bestrafung 
war die Folge. Die an der Teilnahme schuldigen Stadtteile, 
besonders die beim Bahnhof, wurden zusammengeschossen 
und dem Erdboden gleich gemacht. „Das Schauspiel war 
entsetzlich," beschreibt ein Augenzeuge die Vorgänge jener 
Schreckensnacht. „Die Stadt brannte an allen Ecken. 
Dann wurden vor unseren Augen waffentragende Ein 
wohner standrechtlich erschossen. Zwischendurch krachten 
die Gewehrschüsse. In den Gasthäusern explodierten die 
Spiritusfässer; es war ein Getöse, so fürchterlich, daß ich 
heute noch davon halb taub bin. Der kommende Tag bot 
traurige Bilder. Da wurden neue Sünder herbeigebracht, 
mit ihnen kamen weinende und flehende Frauen und 
Kinder. Trotz allen Grimmes überden tückischen Überfall, der 
planmäßig Punkt acht Uhr 
eingesetzt hatte, konnte sich 
kein deutsches Herz des Mit 
gefühls entziehen für diese 
schuldlosen Opfer. Oh, diese 
verblödeten Narren, die das 
Unglück über ihre schöne 
Vaterstadt brachten!" 
Die belgische Regierung 
hat über die Gründe der 
Zerstörung von Löwen, die 
übrigens nur etwa ein Fünf 
tel der Stadt betraf, die 
unverschämte Lüge verbrei 
tet, deutsche Truppen, beim 
Ausfall von Antwerpen zu 
rückgeworfen, seien beim 
Rückfluten in die Stadt irr 
tümlich von den eigenen 
Landsleuten beschossen wor 
den; darauf habe man sich 
so fürchterlich an den un 
schuldigen Bewohnern ge 
rächt. Der beste und schla 
gendste Gegenbeweisistwohl 
die Schilderung, die ein bel 
gischer (!) Dominikaner in 
der „Kölnischen Volkszei 
tung" gegeben hat; sie ist 
einfach überzeugend und un 
widerleglich. 
„Die belgische Regie 
rung," lautet die Aussage, 
„erliest nach dem Einzug 
der deutschen Truppen eine 
Bekanntmachung, die zur 
Ruhe aufforderte und be 
sonders vor dem Schiesten 
warnte, da sonst schwere 
Strafen verhängt würden. 
Die G eistlich en würd en ang e - 
wiesen, diese Kundmachung 
am Sonntag, dem 23., zu 
verkündigen und dem Volke 
einzuschärfen. Von dem 
deutschen Militär waren Geiseln festgenommen worden, die, 
da alles ruhig blieb, am 24. abends wieder freigelassen wur 
den. Am Dienstag, den 25., morgens wurde noch einmal in 
allen Kirchen zur Ruhe und Besonnenheit ermahnt. Am Nach 
mittag dieses Tages kamen um fünf Uhr neue deutsche Trup 
pen an, die, wie auch die vorhergehenden, die mittlerweile 
Löwen wieder verlassen hatten, in der Stadt einquartiert 
wurden. Bald darauf verbreitete sich in der Stadt das Ge 
rücht, Engländer und Franzosen seien von zwei Seiten im 
Anzug. Man hörte um diese Zeit Kanonendonner und Ge 
wehrfeuer. Alsbald wurden schon aus den Häusern verein 
zelte Schüsse auf die Soldaten abgegeben, was zur Folge 
hatte, dast um sieben Uhr dreistig Minuten abends die Sol 
daten unter die Waffen gerufen wurden. Da begannen 
die Bürger in größerer Zahl aus den Häusern auf die 
Deutschen zu schießen. Die Truppen antworteten mit Ge 
wehr- und Maschinengewehrfeuer. Der Kampf dauerte die 
ganze Nacht hindurch. Schon gingen Häuser in Flammen 
auf, besonders in der Bahnhofstraste. Von der großen 
Peterskirche, in der inan Waffen gefunden hatte, brannte 
das ganze Dach ab. Jeder, der sich am Fenster zeigte, 
wurde beschossen. 
Die Geiseln wurden von neuem eingezogen und ins 
Rathaus verbracht. Darunter befanden sich der Vizerektor 
der Universität Eoenraets, der Subprior der Dominikaner 
und noch zwei Priester. Vom Rathaus wurden diese 
Geiseln unter militärischer Begleitung durch die Straßen 
geführt, damit sie an den Straßenecken die Bewohnerschaft 
in Französisch und Flämisch zur Ruhe mahnten. Das 
dauerte bis vier Uhr nachts. Gleichwohl wurde während 
dieser Zeit aus den Häusern geschossen. Die Soldaten er 
widerten das Feuer, und die Brände mehrten sich. 
Am Mittwoch mittag wurden die Geiseln von neuem 
durch die Straßen geführt, und sie verkündeten in beiden 
Sprachen, daß sie selbst erschossen würden, wenn der Wider 
stand nicht eingestellt werde. 
Es nützte nichts; selbst wäh 
rend dieses Rundganges 
wurde das Feuern nicht 
eingestellt. Man schoß sogar 
auf die Soldaten, die die 
Geiseln begleiteten, ebenso 
auf den Arzt. Die ganze 
Nacht auf Donnerstag setzten 
sich diese Schändlichkeiten 
fort. Besonders auf dem 
Boulevard gingen nun im 
mer mehr Häuser in Flam 
men auf." Am 27. August 
erfolgte dann das Bombar 
dement. Auch in der ganzen 
Umgebung von Löwen hatte 
sich die Landbevölkerung, 
Frauen und Mädchen inbe 
griffen, am Franktireurkrieg 
wieder beteiligt. Daß solchem 
Tun strengste Sühne folgte, 
also jeder mit Waffen Be 
troffene ohne Unterschied 
des Geschlechts der verdien 
ten Strafe zugeführt wurde, 
ist nichts anderes als trau 
rige Notwendigkeit. 
Löwen, französisch Lou- 
vain, ist eine uralte Stadt, 
die schon im 9. Jahrhun 
dert genannt wird; hier er 
focht am 1. September 891 
König Arnulf einen ent 
scheidenden Sieg über die 
Normannen. Später wurde 
es Sitz der Herzöge von 
Brabant. Im 14. Jahrhun 
dert zählte die Stadt über 
100 000 Einwohner; sie war 
die größte und reichste des 
Landes, was sie hauptsäch 
lich ihrer blühenden Tuch 
weberei zu verdanken hatte, 
die sich von da nach England 
verbreitete. Im 16. Jahrhundert fiel die Hälfte der Be 
völkerung der Pest zum Opfer. 1426 wurde die Universität 
gegründet, die zu hoher Berühmtheit gelangte. Von den 
großartigen Kunstbauten ist vor allem das — zum Glück fast 
unversehrt gebliebene—Rathaus zu nennen, 1448—1463 von 
Matthäus Layens erbaut, 1842 erneuert, mit reichen Zie 
raten in Spätgotik; ferner die schon erwähnte Peterskirche 
und die sogenannten Hallen, 1317 als Warenniederlage für 
die Tuchmacher erbaut, 1679 der Universität eingeräumt. 
Das Schloß des Königs Arnulf, schon vor dem Bombar 
dement nur noch als Ruine erhalten, soll nach dem Volks 
glauben auf Julius Eäsar als Erbauer zurückgehen. Nach 
der letzten Volkszählung hatte Löwen rund 50 000 Seelen. 
Von der Schlacht bei Longuyon 
gibt der folgende Feldpostbrief, der uns von den An 
gehörigen eines württembergischen Unteroffiziers der Reserve 
zur Verfügung gestellt wird, eine anschauliche Schilderung. 
15 
-f 
Phot. Bert. JNustr.-Gesellsch., Berlin. 
Das Rathaus von Löwen, das bei dem Brande der Stadt unversehrt blieb.
	        
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