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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
ersten angelegt worden war, das;
sie nicht gleichzeitig mit dieser im
feindlichen Artilleriefeuer lag und
ein neuer Angriff nötig gewesen
wäre. Zu diesem kam es jedoch
nicht. Die feindlichen Kräfte hatten
so gelitten, daß sie mit ihren ge
lichteten Reihen der neuen Auf
gabe nicht mehr gewachsen waren.
Man ließ ihnen auch nicht lange
Zeit zur Erholung, sondern warf
sie in heldenmütigem Gegenan
griff aus der soeben von ihnen
besetzten Stellung wieder hinaus.
Unsere Artillerie wirkte besonders
günstig, als sie das Glück hatte,
starke feindliche Reserven während
ihrer Zusammenziehung zu be
stießen und teils zu vernichten,
teils zu zerstreuen.
Am 10. April schienen unsere
Gegner sich zu neuem Vorstoß
zu schwach zu fühlen. Sie führten
mit großem Fleiße Schanzarbeiten
in ihrer alten Stellung aus, die
sie am vorhergehenden Tage so
gerne gegen unsere vorderste ver
tauscht hätten. Das war der
peinliche Augenblick, als Joffres
Siegesfanfare erschallte, indem er
der ersten Armee seinen Dank für
die Erstürmung der Combreshöhe
aussprach!
Die wirkliche Lage sollte am
11. April nachträglich in Überein
stimmung mit den Berichten ge
bracht werden. Deshalb wurde in
der Frühe ein Angriff versucht,
dem unsere Artillerie jedoch eine
derartige Aufnahme bereitete, daß
er über die Entwicklung nicht hin
auskam, wie später ein zweiter, der
vorübergehend in unsere Kamm-
stellungen gelangte, jedoch in zwei
stündigem Nahkampf zurückge
worfen wurde.
Vom 11. bis 14. April herrschte
Ruhe, nachdem hauptsächlich un
sere Stellung bei Marchoville sich
tapfer gegen den Ansturm gewehrt
und dabei das 61. französische In
fanterieregiment vernichtet hatte.
Natürlich hörte inzwischen das
Artilleriefeuer wie die Fliegeran
griffe gegen die Unterkunftsräume,
die Tätigkeit von Minenwerfern,
Handgranaten, Sprengminen oder
feindlichen Nebel- und Stinkbom
ben nie auf. Es fanden nur vor
läufig keine größeren zusammen-
hängenden Kampfhandlungen statt,
die über den Rahmen eines „Schar
mützels" hinausgegangen wären.
Erwähnenswert ist, daß die ganze Artillerievorbereitung
und diese dürfte bei modernen Stellungskämpfen die
Hauptsache sein — nur mit amerikanischen Granaten durch
geführt wurde, wie sich leicht feststellen ließ. So wirkt die
amerikanische „Neutralität"!
Der Kampf auf dem Presenagletscher.
lHierzu die Bilder Seite 57 und 68/59.)
Wo in Südtirol der Freund der Alpen manche harte
körperliche Anstrengung nicht scheute, zu den schwindelnden
Höhen schroffer Zinnen emporzusteigen, die Wunder und
die Erhabenheit der Hochgebirgswelt in Andacht zu ge
nießen, wo Alpenrose und Edelweiß auf scharf vorspringenden
Felsenklippen nur noch spärlichen Boden für ihr Fortkommen
finden, da tobt jetzt der Kampf, den Heimtücke und Untreue
heraufbeschworen. Ja, selbst auf die Höhen, auf die sonst
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nur der schwindelfreie Hochtourist und der einheimische
Gemsenjäger den Fuß zu setzen wagten, in die Lagen
von 3000 Meter und darüber, ist der Kampf schon empor
getragen.
Es war in der ersten Hälfte des Juni, als ein italienisches
Alpinibataillon in Ponte di Legno, jenseits der Westgrenze
Tirols, südlich der Ortlergruppe, gegen Tirol aufbrach, offen
bar in der Absicht, sich in den Besitz eines bestimmten, sehr
wichtigen Ubergangspunktes des Tonalegebietes zu sehen.
Die Tonalestraße, die sogar mit Kraftwagen befahren werden
kann, ist einem solchen Unternehmen hier günstig. Um den
Anstieg zu verschleiern, richteten die Italiener ihre Angriffe
gleichzeitig auf mehrere sowohl nördlich wie südlich dieses
Gebirgsübergangs gelegene Verteidigungsabschnitte, wur
den aber.überall leicht abgewiesen. Es gelang den Alpini —
und dies, lag wohl in der Absicht der Verteidiger —
den westlichen Teil der Tonalestraße hinter sich zu bringen
Abwehr eit italienischen
Angriffs audem Presena
gletscher fr 3000 Nieter
He.
Nach einer OMalzeichnung von
Hanireiber.
t
imb den 2970 Meter hohen Passo Lagoscuro unbelästigt
zu erreichen, ja, man lieh sie in offenbar wohlberechneter
Weise sogar den Presenagletscher unbehindert überqueren.
Erst dann, als die „Maischen", wie die Tiroler ihre südlichen
Erenznachbarn zu benennen pflegen, hier auf 400 bis 600
Meter an die Stellung der Verteidiger herangekommen
waren, begannen treffsichere Büchsenschützen die durch die
Felsenklippen vorsichtig sich heranschiebenden Feinde aufs
Korn zu nehmen, während gleichzeitig die weiter zurück
liegenden italienischen Reserven durch die Eebirgsgeschütze
'mit Schrapnellfeuer zugedeckt wurden. Dieser plötzliche
Feuerüberfall war von derart überraschender und vernich
tender Wirkung, daß die Alpini einen kurz darauf einbrechen
den Nebel eilends benützten, um sich in Sicherheit zu bringen.
Die Freude der tapferen Tiroler über die rasche, wohl
gelungene Zurückweisung des Gegners war nicht gering,
hinderte sie aber nicht, die Verwundeten, die unmittelbar
vor ihnen auf dem Eefechtsfelde
lagen, darunterzwei schwerverletzte
Hauptleute, aufzulesen und der
ärztlichen Hilfe zuzuführen. Da
bei konnte die Beobachtung ge
macht werden, daß der abgezogene
Feind weit über 100 Verletzte mit
sich genommen hatte. Die ein
brechende Dunkelheit setzte dem
Werke der Barmherzigkeit Schran
ken, doch wurde am folgenden
Tage die Suche fortgesetzt, wie
wohl sie durch den inzwischen ge
fallenen weichen Neuschnee sehr
erschwert wurde. Die bei diesem
Gang über die verschneiten Felsen
klippen vorgefundene reichhaltige
Beute an Waffen, weggeworfenen
Pionierwerkzeugen und sonstigem
zurückgelassenen Kriegsmaterial
lohnte den „Barbaren" ihre Mühe.
Als Meldereiter
zwischen den Schlachten.
Aus dem Briefe eines kriegsfreiwilligen
Justerburger Ulanen aus Nuhland.
(Hierzu das Bild Seite IS.)
I.
... ich war die größte Zeit
hindurch als Befehlsempfänger
beim Regiment und feit zweiTagen
bei der Schwadron. Da wollte
mich unser Adjutant als Dolmet
scher zum Armeeoberkommando
wegschicken. Dies ließen jedoch
mein Ritt- und Wachtmeister nicht
zu, da sie behaupteten, mich zu
sehr zu gebrauchen; ich selber
wollte auch nicht von der Schwa
dron beziehungsweise vom Regi
ment weggehen, da man beim
Armeeoberkommando nichts er
reichen kann und immerhin ein
ganz Teil von der interessanten
Front ab ist. Trotzdem kam ein
Befehl vom Adjutanten, daß mich
der Wachtmeister zu ihm schicken
möge, da ich auf ein paar Tage zur
benachbarten Infanteriedivision
nach Kalwarja alsMeldereiter solle.
Mein Wachtmeister ist wütend,
daß mein Pferd so gejagt wird
und ich wieder von der Schwa
dron wegkomme, zumal die Sache
dort äußerst gefährlich ist und bei
den Ritten entweder ich oder mein
Pferd totgeschossen werde. Ich
reite also zum Adjutanten, der
mir Vorsichtsmaßregeln gibt und
mich ermahnt, ja so schneidig zu
reiten, wie ich bis jetzt immer ge
ritten sei, damit das Regiment auf seinen Meldereiter stolz
sein könne. Also gewissermaßen ein Lob im voraus! —
Ich reite um halb zehn Uhr vormittags weg und bin um
ein Uhr in K. sehe ich den Divisionsstab traf, war die Uhr
schon halb drei!). Melde mich dort beim General und dem
Adjutanten und muß mit diesem das ganze Gelände abreiten,
das die Division besetzt Hält, damit ich nachts eintreffe.
Kaum zeigten wir uns auf einer Anhöhe, da pfiffen schon
die Kugeln, und wir mußten schleunigst Deckung suchen.
Nach einer Weile verstummte das Eewehrfeuer; wir nun
weiter, doch immer wieder dasselbe Manöver. So ging
es bis sieben Uhr, wo wir endlich im Quartier anlangten.
Ich fütterte sofort mein Pferd, legte mich selber hin und
schlief in ein paar Minuten fest.
Um halb zwölf werde ich geweckt, da ich mit dem Befehl zu
einem Infanterieregiment muß, das gerade stark von den
Russen beschossen wird. Immerfort dröhnt und zittert die Erde