Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. DritterBand. (DritterBand)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/16. 
daß anderwärts ebenso ununterbrochene und langwierige 
Kämpfe stattfanden, so hat doch nirgends sonst der Krieg der 
Landschaft und den Menschen so deutlich seinen Stempel 
aufgedrückt wie hier, weil nirgends sonst ein ebenso lang 
samer, kaum wahrnehmbarer Fortschritt (um nicht zu sagen 
Stillstand!) unter ähnlich großen Schwierigkeiten auf einem 
völlig flachen, keinerlei Deckung bietenden Gelände Fuß für 
Fuß errungen sein wollte. 
Da spricht man von dem Höhlenleben unserer Sol 
daten und nimmt doch stillschweigend an, daß sie sich eben 
nur für Stunden, höchstens für Tage in der Erde vergraben. 
Aber die Soldaten hier um Arras, die kennen kein anderes 
Leben. Das find wirklich Höhlenmenschen. 
Es macht einen unauslöschlichen Eindruck, auf diese un 
absehbaren, weit und breit verwüsteten Felder zu schauen, 
von denen jede Spur menschlichen Daseins verwischt ist, 
und sich dann zu erinnern, daß unter den aufgeworfenen 
Maulwurfshaufen, den nach allen Richtungen hinlaufenden, 
schier endlosen Erdkämmen Menschen hausen, die ein sagen 
hafter böser Geist in den Schoß der Erde verbannt hat. 
Man staunt, wie nahe der britischen Front noch Zivili 
sation herrscht. Hier aber um Arras ist die Kultur erstorben. 
Seit mehr als einem Jahr ist kein Pflug über diese Felder 
gegangen. Das Unkraut ist hochgeschossen und wieder ver 
welkt, und die nackten, rostbraunen Arme dürren Gebüsches 
geben diesen öden 
Flächen, die ganze 
Heere decken, etwas 
Trostloses. Mitten in 
dieser Wüstenei liegt 
das Hauptquartier ei 
nes Divisi onsgenerals. 
Man ist gewöhnt, 
solche Quartiere in 
irgendeinem Schlosse 
zu finden und will sei 
nen Augen nicht trau 
en, daß in diesen drei 
Erdlöchern ein Gene 
ral mit seinem ge 
samten Stab unter 
gebracht sein soll. 
Nichts als die ein 
fachsten Notwendig 
keiten des Lebens sind 
da vorhanden: ein 
Bett, ein Stuhl, ein 
Tisch. Das Dach ist 
aus Stahlbändern ge 
bogen, so daß jeder 
dieser Unterstände wie 
die Hälfte eines Fasses 
aussieht, darinnen man nur in der Mitte aufrecht stehen kann. 
Von hier aus kann der General jeden ihm unterstehenden 
Heeresteil erreichen, ohne den Kopf über die Erde stecken zu 
müssen. Wände und Fußboden sind hier trocken, obwohl sie 
weder gepflastert noch ausgelegt sind. An der Front sieht es 
in dieser Hinsicht anders aus. Da ist der Schmutz überwälti 
gend. Alle Landstraßen sind zu beiden Seiten mit einer 
fortlaufenden Reihe von Löchern versehen, in die sich 
aufmarschierende Truppen, die plötzlich unter Feuer ge 
nommen werden, hineinzwängen können. Meilenweit in 
der Runde ist nicht eine fußhohe Erhöhung, nicht eine 
Grube, die nicht irgendwie als Deckung nutzbar gemacht 
worden wäre, und das nicht nur, wo Angriff und Nach 
schub vor sich gehen, sondern tatsächlich überall. 
Da ist an der Seite der Landstraße parallel zur Front 
ein Keller eingemauert, in verhältnismäßiger Sicherheit, 
denn wenn die achthundert Ellen weiter vorgerückte Front 
etwa auch zurückgehen müßte, bietet der Erdwall der 
Landstraße noch immer einen gewissen Schutz. Hier wurden 
einmal inmitten des wütendsten Tobens der Schlacht Ent 
schlüsse gefaßt, die, wenn sie nur eine halbe Stunde Ver 
spätung erlitten, das Verhängnis heraufbeschworen haben 
würden. — Zahlreiche Leute mit schrecklichen Schrapnell 
wunden, die Notverbände bereits durch und durch von Blut 
getränkt, werden an uns vorübergefahren, und uns, die wir 
auf dem letzten Überrest eines ehemaligen Dorfes harren, 
erscheint es unglaublich, daß auch nur einer dieser Bedauerns 
werten die vielen, vielen Meilen hindurch leben kann, die 
noch auf holprigen Wegen bis zum nächsten Verbandplatz 
zu durchmessen sind. 
Es ist keine Gegend, die Spaziergängern zu empfehlen 
wäre. Die nicht explodierten Granaten und Lufttorpedos 
liegen zu Haufen umher, und ihre Zerstörungswut wartet 
nur auf den Augenblick, da sie sich austoben kann. Sicher 
lich hatten auch die Deutschen die auf und ab steigenden feind 
lichen Gestalten erspäht, denn ein paar große Granaten, 
die an uns vorübersausten, bewiesen uns, wie scharfe Wache 
sie trotz des uns umhüllenden Regennehes gehalten hatten. 
AIs die erste Granate explodierte, hielt unser Führer gerade 
den Arm ausgestreckt, und einer dieser gefährlichen Splitter 
ging ihm glatt zwischen Körper und Arm hindurch. Hoch 
spritzte der Straßenschmutz vor dem Gewicht der sich ein 
bohrenden Granate an uns herauf, und ein Soldat stürzte 
getroffen mit dem Kopf zuerst in den Zugangsgraben, den 
er besser benützt hätte." 
Eine Patrouille Tiroler Landesschützen 
wird von Bersaglieri beschossen. 
(Hierzu das Bild Seite 497.) 
Außerordentlich schwierig und gefahrvoll gestaltet sich 
der Aufklärungsdienst der Patrouillen in dem wilden, 
unwegsamen Gebiet der Dolomiten, in das die Italiener 
von den südlichen, 
leicht zugänglichen 
Saumpfaden und Ee- 
birgstraßen aus einzu 
dringen suchten, um 
di e steilen, beh errsch en 
den Paßhöhen zu ge 
winnen. Schmale 
Schuttrinnen, ragen 
des Eipfelgewirr, röt 
lichgelbe Marmor 
schollen wechseln dort 
mit unheimlicher 
Klippenwildnis, die 
selbst von den ver 
wegensten und toll 
kühnsten Hochtouristen 
gefürchtet ist. Auf 
halsbrecherischen Pfa 
den, über die sonst 
nur flüchtigen Fußes 
die Gemse lief, schli 
chen sich die Tiroler 
Patrouillen an den 
Feind. Angeseilt, an 
Stricken und Bändern 
gingen sie vor, zur 
Rechten drohend gen Himmel ragende Felsen, zur Linken 
in jäher Tiefe ein brausender Eießbach. Aus den Tälern 
herauf, über Grasmatten und Felspartien rückten die Ber 
saglieri vor; über ihnen schwebten, an Abhängen ange 
klammert, die Tiroler Patrouillen, die Büchse um die Schul 
ter, den Rucksack mit Proviant, Handgranaten und oft auch 
mit Telephonapparaten auf dem Rücken, den Bergstock 
in der Hand. Leise, geräuschlos mußten sie da oben heran 
schleichen, um den ahnungslosen Feind ungestört zu be 
obachten. Ein lauter Tritt, ein Stein, der sich unter ihren 
Füßen löste und donnernd in die Tiefe stürzte, hätte sofort 
den Gegner auf sie gezogen und ihnen den sicheren Tod ge 
bracht. Bei diesen so gefährlichen Streifzügen zeichnete sich 
der alte Tiroler Bergsteiger Sepp Jnnerkofler hervorragend 
aus, der hier in den Dolomiten zu Hause war und auf den 
Steilwänden des Elfers, des Paternkofels und der Drei 
Zinnen für seine engere und engste Heimat kämpfte und starb. 
Auf den lärchenumstandenen grünen Matten des Tischlein 
bodens stand sein schmucker, sauberer Hof, der so manchen 
kühnen Touristen gastlich beherbergt hatte. Sepp Jnner 
kofler kannte jede Falte und Spitze seiner Dolomitengruppe 
und bei den meisten Patrouillengängen beteiligte er sich 
als vertrauter Wegausspürer, manche waghalsige Leistung 
vollbrachte er auch ganz allein. So erstieg er einmal nachts 
einen Hochgipfel und legte eine Telephonleitung, die er 
gleich als Ärtilleriebeobachter nutzbar machte. Auf einem 
dieser verwegenen Streifzüge ereilte den unerschrockenen 
Bergsteiger der Tod. Nachts elf Uhr war er mit zehn 
Phot. Ed. Frankl, Berlin-Friedenau. 
Ein Langschläfer wird aus dem Rohr eines 30,5-cm°Geschützes herausgeholt.
	        
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