Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. DritterBand. (DritterBand)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
üppiges Essen geben. Rindfleisch 
und Suppe, Schweinefleisch mit 
Weißkraut und Kartoffeln, schließ 
lich Hühner- und Entenbraten. 
Diese Speisenfolge war doch ein 
mal etwas anderes als kaltes Büch 
senfleisch und Zwieback. Unter ge 
übten Händen baumelten alsbald 
die zwei Schweine an einer zwischen 
Bäumen angebrachten Stange, 
lag das Rind schnell am Boden, 
und scharfe Messer trennten eilig 
die Haut von den geschlachteten 
Tieren. Die Mannschaft schnitt 
auf rasch gesäuberten Brettern 
Kartoffeln und Weißkraut, holte 
Wasser herbei oder suchte mit 
folg unter den Trümmern nach 
etwa noch brauchbarem Koch 
geschirr. Reben der zerstörten Dorf- 
kirche war die Küche eingerichtet. 
In anscheinend weiter Ferne 
grollte der Donner der feindlichen 
Kanonen, und in unserem Rücken 
setzte die so oft begrüßte Musik 
der eigenen Geschütze ein. Wir 
achteten es nicht. Hielten wir 
doch den Gegner für weit genug 
entfernt, um keine Störung fürch 
ten zu müssen. Uns Landwehr- 
männern wässerte der Mund nicht 
wenig, als es in den großen und 
kleinen Kesseln kochte, brodelte und 
schmorte. „Leute, jeder bekommt 
heute dreifache Portion. Ihr habt's 
verdient," meinte unser Haupt 
mann schmunzelnd. Dann hob er 
selbst den einfachen Holzdeckel von 
einem der Kessel und sagte gutge 
launt: „Ra, Kinder, das riecht ja 
famos!" Während uns der Haupt 
mann auf diese Art die Wartezeit 
verkürzte, konnte er selbst es doch 
nicht lassen, mit dem Degen eines 
der siedenden Hühner emporzu 
heben und zu sehen, ob es nicht 
bald gar sei. „Es dauert nicht mehr 
lange. Ihr könnt einstweilen die 
Festtafel richten," meinte er im 
Weitergehen. 
Da sprengt plötzlich einOffizier, 
das Pferd über und über mit 
Schweiß bedeckt, auf unseren Füh 
rer zu. Wir vernehmen gerade noch 
die Worte: „Herr Kamerad, bitte 
rasch nach vorn zur Unterstützung 
des P .... Regiments. Gegner 
versucht dort von neuem durchzubrechen." Bum — Dum 
dum ertönt es plötzlich über uns, und einer der noch 
übrigen Mauerpfeiler begräbt in krachendem Sturz unsere 
Kessel mit Inhalt unter Schritt urrd Asche. „An die Gewehre! 
Marsch-marsch!" Schon steht der Hauptmanir vor der Kom 
panie, und während wir noch unsere Tornister zurechtrücken, 
geht es mit knurrendem Magen abermals dem Feinde ent 
gegen. Ade, schöner Festschmaus! Fast zwei Stunden lagen 
wir nochmals im feindlichen Feuer. Aber daß der rücksichts 
lose Gegner uns um das köstliche Essen gebracht hatte, mußte 
er entgelten. Mit aller Macht wurde er gepackt, und so kam 
auch für uns schneller als gedacht der Zeitpunkt, wo wir, 
weiter zurückgeführt, mit Ruhe, wenn auch nicht unser 
üppiges Festmahl, so doch das inzwischen von der Feld 
küche für uns Zubereitete Pökelfleisch verzehren konnten. 
Die russischen Durchbruchsversuche am Styr 
und an der Strypa. 
Von Major a. D. Ernst Moraht. 
(Hierzu Bilder und Karte Seite 461—469 und 474.) 
Im Verlauf des jetzigen Krieges ist wohl noch an keiner 
Stelle der tiefe innere Zusammenhang zwischen Politik 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
und Strategie so scharf hervorgetreten wie an der wol- 
hynischen und ostgalizischen Front während der jetzt ab 
geschlossenen Herbstkämpfe. Als wir uns nach der Erobe 
rung Lembergs am 25. Juni 1915 zu der großen Schwen 
kung entschlossen, die die Russen über die Nordgrenze Ga 
liziens hinaus zwischen Bug und Weichsel nach Norden fegte, 
sicherten wir unsere Flanken durch eine besondere Armee 
gruppe, deren linker Flügel sich an den Oberlauf des Bug 
lehnte, während die übrige Front im allgemeinen der 
Zlota-Lipa folgte, einem Wasserlauf, der sich zwischen 
Buczacz und Halicz in den Dnjestr ergießt. Diese Armee 
gruppe war aus deutschen und österreichisch-ungarischen 
Truppen gemischt und hatte die Aufgabe, sich gegen die 
Russen, die noch den letzten Teil Ostgaliziens besetzt hielten, 
in der Verteidigung zu halten. Es wäre vielleicht nicht allzu 
schwer gewesen, damals auch diesen Teil österreichischen 
Bodens noch zu säubern und die wichtige Stadt Tarnopol 
in die Hände zu bekommen. Aber das Zurückwerfen und 
Niederringen der russischen Zentralmacht war damals die 
Hauptaufgabe, und da die Russen, trotz ihrer hohen Ver 
luste, noch immer Millionen von Kriegern besaßen, so 
mußten wir alle Kräfte, die verfügbar waren, in Bereit 
schaft halten, soweit sie nicht in vorderer Linie an der Ver 
eines «oftniagers. 
Nach einem Omlgemälde von 
Wilhels 
streu er. 
folgung beteiligt waren. Als wir dann Brest-Litowsk ge 
nommen hatten und jetzt wieder zwischen Narew und den 
nördlichen Pripetsümpfen jene große Schwenkung machten, 
die die Russen mit ihren Hauptkräften auf den Raum 
von Minsk zurückwarf, ergab sich eine gewisse Entblößung 
der südlichen Pripetsümpfe von Heeresteilen der Ver 
bündeten. Zwar besaßen wir die Festung Kowel, waren 
aber mit den vorhandenen Kräften nicht stark genug, das 
breite Heranschwärmen von Kosakenhorden zu hindern, 
das im Raume zwischen den Bahnlinien Kiew—Sarny— 
Kowel und Kiew—Rowno—Kowel stattfand. Es stellte sich 
daher die Notwendigkeit heraus, eine besondere Armee 
gruppe mit der Abwehr der russischen Vorstöße zu betrauen. 
Diese Vorstöße hatten einen ganz besonderen politischen 
Zweck. Einmal sollten sie bei dem Großrussentum des 
Zarenreiches die Einbildung festhalten, daß Rußland der 
Donaumonarchie gegenüber noch immer siegreich sei, weil 
es den letzten Teil Galiziens, der von Ukrainern bewohnt 
ist, in der Hand hielt. Gerade damals zeigten sich in Rußland 
die ersten Anfänge größerer innerer Unruhen, und die Ver 
treibung der Russen aus Galizien wäre vielleicht verhängnis 
voll für die damalige Regierung geworden. Solange man 
Ostgalizien und Westwolhynien hatte, konnte man immer 
darauf hinweisen, daß das Vor 
dringen zwischen Riga und Pinsk 
gehemmt sei durch die Gefähr 
dung unseres rechten Flügels. 
Noch ein anderer politischer 
Zweck belebte den russischen Wi 
derstand zu starken Gegenstößen. 
Man wollte auf die schwankenden 
Neutralen des Balkans, besonders 
auf Rumänien, Eindruck machen 
und fürchtete Rumäniens Anschluß 
an die Mittelmächte im Falle un 
seres siegreichen Vordringens 
durch Wolhynien und Podolien in 
Richtung auf Kiew und Bessara- 
bien. Mitten in diesen Erwä 
gungen der russischen äußeren 
Politik fand der Wechsel im Ober 
kommando statt. Der Zar über 
nahm selbst die Heeresführung, 
und das gab erneuten Antrieb zu 
äußersten Anstrengungen, um auf 
jede Weise einen in die Augen 
springenden Erfolg zu erzielen. 
Zwei Stellen waren es nun, 
die sich die russische Heeresleitung 
dieses Kriegschauplatzes — sie lag 
in Händen des Generals Iwanow 
— besonders für den Angriff aus 
ersehen hatte. Im Süden han 
delte es sich um das Gebiet des 
Strypaflusses, wo die Armee 
Bothmer die Wacht hielt, und im 
Norden kam das Styrgebiet in 
Betracht, das die Nordarmee der 
Heeresgruppe Linsingen zu sichern 
hatte. In beiden Kampfgebieten 
gab es wieder zwei besondere 
Brennpunkte, auf die sich die Kraft 
der Russen konzentrierte. An der 
Strypa war es der Raum von 
Siemikowce, am Styr der Raum 
von Czartorysk (siehe die Vogel 
schaukarte Seite 474). Die ganze 
Front, in der die Russen neben 
her zahllose Teilangriffe versuch 
ten, war 250 Kilometer lang. Ein 
Stellungskrieg, wie er im Westen 
seit über einem Jahre besteht, hatte 
sich hier nirgends völlig ausgebil 
det, nur Anfänge dazu waren an 
der ostgalizischen Front erkennbar. 
Auf den übrigen Strecken fand 
sich immer wieder Gelegenheit 
zu Flankenstößen und llberflüge- 
lungskämpfen, sowohl auf unserer 
wie auf feindlicher Seite. In 
Ostgalizien begann der ernstere Kampf am 28. August 
und stieg dann bis Mitte September ständig bis zu einem 
hartnäckigen und blutigen Ringen empor. Erst seit dem 
4. November konnte man sagen, daß der Durchbruchs 
versuch der Russen mit ihrer endgültigen Zurückweisung 
über den Strypafluß geendet habe. Die Kämpfe um das 
Styrgebiet haben ihren Höhepunkt etwa um den 6. Ok 
tober bei Czartorysk gewonnen. Etwas später als an 
unserem rechten Flügel endigten auch sie mit dem rus 
sischen Mißerfolg, indem der Feind, von uns dazu ge 
zwungen, auf seinen Durchbruchsversuch am Styr verzichten 
mußte und sich überall über den Fluß hinübergetrieben sah. 
Währ.nd der Kämpfe um den nördlichen und südlichen 
Brennpunkt der Front waren die Russen überall und immer 
in zahlenmäßiger Überlegenheit. Wiederholt haben wir 
das taktisch verspürt, mußten einmal bei Czartorysk unsere 
Front zurücknehmen, wurden auch im Raume von Rudka 
überfallen, wobei der Feind Erfolge hatte, und büßten bei 
Komarow sogar sechs Geschütze ein. Aber immer wieder 
verstand es die Heeresleitung des Generals v. Linsingen, 
rechtzeitig die Verstärkungen an die richtige Stelle zu bringen, 
wo sie den Russen die Vorteile wieder entreißen konnten. 
AIs es sich schließlich darum handelte, den breiten Brücken-
	        
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