Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. DritterBand. (DritterBand)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
große Herbstoffensive im Westen) gedachten. — 93 Divi 
sionen mit 5000 Geschützen mit einer Munitionsausrüstung, 
die bei weitem jene vor Beginn des Krieges überstieg, 
also 1*/2 Millionen Mann, waren nicht ausreichend gewesen, 
den Eisenring der deutschen Stellungen zu sprengen. Im 
Verlauf der drei Wochen langen Kämpfe waren in drei 
Gewaltanstrengungen über 200 000 Mann hingeopfert 
worden. Dafür hatten die Franzosen und Engländer im 
ganzen betrachtet nichts gewonnen, denn an keinem Punkte 
war die deutsche Front wirklich gefährdet. 
Die Tage seit dem 16. Oktober sahen französische An 
griffe besonders am Schratzmännle, bei Leintry und Ta 
hure. Die Engländer stürmten wiederholt gegen die vor 
springenden deutschen Stellungen bei Vermelles an. Aber 
nirgends kamen die Feinde zu einem Erfolg. Für den 
18. Oktober meldete der deutsche Eeneralstabsbericht zum 
erstenmal seit kampfreichen Wochen wieder: „Im Westen keine 
wesentlichen Ereignisse." Die wortreicheren französischen 
Berichte ließen erkennen, daß auf der ganzen Front heftige, 
aber keine besonderen Maßnahmen einleitende Artillerie- 
und Fliegergefechte im Gange geblieben waren. Bei Middel- 
kerke wurde am 19. ein englisches Flugzeug abgeschossen und 
die noch lebende Besatzung gefangen genommen. Ein an 
diesem Tage unternommener deutscher 
Erkundungsvorstoß in der Champagne 
nordöstlich Prunay brachte als Beute 
4 Offiziere, 364 Mann, 3 Maschinen 
gewehre, 3 Minenwerfer und viel 
Kriegsgerät. Die Hauptschlacht war 
aber zu Ende. Im letzten Drittel des 
Oktober kam es im Westen nicht mehr 
zu Ereignissen schwerwiegender Bedeu 
tung. Beide Gegner versuchten dort 
nur noch in mühseligem Erabenkampf 
die Verbesserung oder die Sicherung 
ihrer Stellungen. Die Franzosen be 
arbeiteten besonders heftig die deut 
schen Stellungen bei Souchez, um sich 
dort weiter vorzuwühlen. In der 
Champagne richteten sie besondere 
Kraft auf die Front bei Tahure und 
berannten mit immer wieder neuem 
Eifer die vorspringende Stellung der 
Deutschen bei Le Mesnil. In hin und 
her wogenden Kämpfen um Stücke 
der deutschen Stellung nördlich von 
Le Mesnil verloren die Franzosen am 
24. Oktober mehrere Offiziere und 
150 Mann als Gefangene, in der Nacht 
vom 29./30. Oktober griffen sie die 
wenigen dort stehenden deutschen 
Kompanien aber mit solch gewaltiger 
Überzahl an, daß ein vorspringendes 
Grabenstück nicht gehalten werden 
konnte und an die Franzosen verloren ging. Die Deut 
schen waren aber an demselben Tage an anderen Stellen 
der Front so glücklich im Angriff, daß sie dem kleinen 
Gewinn der Franzosen einen wesentlich größeren ent 
gegenzustellen vermochten. Bei Tahure stürmten sie die 
Butte von Tahure, einen Hügel nordwestlich des Ortes, 
bezeichnet als Höhe 193, von dem aus Tahure völlig be 
herrscht werden kann. Die Franzosen wehrten sich unter 
Aufbietung aller Kräfte, wobei sie 21 Offiziere, darunter 
2 Bataillonskommandeure, und 1215 Mann als Gefangene 
in der Hand der Deutschen ließen. Diese kamen aber auch 
auf dem nördlichen Teil der Front stark voran. Trotz noch 
so wütender feindlicher Gegenangriffe nahmen sie nord 
östlich von Neuville die französische Stellung in einer Aus 
dehnung von 1100 Metern und machten auch hier eine Beute 
von 200 Gefangenen, 4 Maschinengewehren und 4 Minen 
werfern. Am 30. Oktober schickten sich die Franzosen zur 
Wiedereroberung des Hügels bei Tahure an, doch die Deut 
schen behielten ihn fest in der Hand. Der erfolgreiche deutsche 
Flieger Bölcke brachte an diesem Tage südlich von Tahure 
sein sechstes feindliches Flugzeug, diesmal einen französischen 
Doppeldecker, zum Absturz und wurde für seine kühne Tat 
im Eeneralstabsbericht ehrenvoll erwähnt. Die Zahl seiner 
Erfolge wurde am 7. November von dem Leutnant Jmmel- 
mann eingeholt. Dieser schoß westlich von Douai einen mit 
drei Maschinengewehren ausgerüsteten englischen Bristol- 
Doppeldecker ab (siehe auch den Artikel „Deutsche Flieger" 
sowie die Bilder Seite 434). Am 10. November mußte ein 
englisches Flugzeug bei Bapaume landen, die Insassen ge 
rieten in Gefangenschaft. Schon am nächsten Tage ereilte 
wiederzwei englische Doppeldeckerdasselbe Geschick. Flieger-, 
Artillerie- und Erabenkämpfe waren das Kennzeichen der 
neuen Zeitspanne auf dem Kriegschauplatz im Westen, die 
den Deutschen ihre Überlegenheit sowohl in der Abwehr 
als im Angriff ließ. Die Wochen des Durchbruchsversuchs 
hatten die Kraft und Lust der Feinde zum Angriff völlig 
gelähmt. Sie waren sogar beunruhigt, daß die Deutschen 
eine allgemeine Vorstoßbewegung einleiten könnten. Die 
Angst der Franzosen vor einem deutschen Angriff an der 
Westfront war ein Eingeständnis von dem vollständigen 
Mißlingen der eigenen Vorstöße. Die Zeit, in der die Feinde 
an den Angriff denken konnten, war auf dem westlichen 
Kriegschauplatz vorläufig vollständig vorbei. Es fehlte 
Franzosen und Engländern nicht nur an Munition, es fehlte 
ihnen besonders an zuverlässigen und zuversichtlichen Sol 
daten. Die Unzufriedenheit in Frankreich und England 
machte sich in Stürmen gegen die verantwortlichen Persön 
lichkeiten Luft. So mußte der Kriegsminister Millerand 
in Frankreich bei der Neubildung des Ministeriums zurück 
treten. — 
England war die Seele, das Trei 
bende in den Entschlüssen und Unter 
nehmungen des Vierverbandes, der 
Deutschland und Österreich-Ungarn 
zerschmettern und auch der Türkei und 
Bulgarien den Garaus machen sollte, 
aber es zeigte sich dieser selbstgestellten 
Aufgabe nicht gewachsen. Seine Un 
fähigkeit, die Androhungen an seine 
Opfer wahr zu machen, der Mangel an 
rechtzeitigem, entschlossenemZugreifen, 
die fühlbare selbstsüchtige Angst, die 
eigenen Interessen in Frage gestellt zu 
sehen, alles das zeigten die Monate 
Oktober und November in so blendend 
heller Bestrahlung, daß die Bundes 
genossen leise, aber doch hörbar auf 
zubegehren begannen. Frankreich 
wehrte sich zum erstenmal gegen die 
Zumutung, auch noch auf dem Balkan 
für England zu bluten, dennoch schob 
man eine ansehnliche Truppenmacht 
dahin ab; Italien gab sehr deutlich 
zu verstehen, daß es an seinem eigenen 
Krieg gerade genug habe, und ver 
tröstete auf den ersten sichtbaren Er 
folg, in der Meinung, Eörz bald in 
seinen Besitz zu bringen; Rußland war 
noch am ehesten dazu bereit, England 
auf dem Balkan aus der Klemme zu 
helfen, vermochte aber seine Front an keiner Stelle zu ent 
blößen. Die zugesagten 200 000 Mann, die durch Rumänien 
in Bulgarien einfallen sollten, konnten nicht in Marsch gesetzt 
werden, weil die deutschen und österreichisch-ungarischen 
Armeekorps an der Ostfront sie zum Bleiben zwangen. 
Serbien verblutete nach zäher Gegenwehr hilflos wie vor 
ihm Belgien. Der englische Minister Grey hatte die Serben 
wohlweislich durch Versprechungen zum Standhalten bis 
zum letzten Augenblick angespornt. Zur Verblüffung aller 
Welt gab er später zu, daß er Serbien eine Hilfeleistung 
in Aussicht gestellt, aber nicht die Absicht gehabt habe, diese 
nur förmliche Zusage in die Tat umzusehen., Griechenland 
und Rumänien wurden hart bedrängt, ihre Neutralität auf 
zugeben und die Waffen für den Vierverband ■— das soll 
natürlich heißen für England — aufzunehmen. Besonders 
dem griechischen König wurden die Türen von den Unter 
händlern des Vierverbandes eingelaufen. Aber Griechen 
land und Rumänien blieben fest. Sie sahen an Serbien 
zu deutlich, welchem Schicksal sie verfallen würden, und 
fühlten auch an der Sprache der englischen Agenten, daß 
es England nicht um den „Schutz der kleinen Staaten" 
oder ähnliche Dinge zu tun war, sondern daß England 
nur die Menschen, nur die Heere haben wollte, um eigene 
Opfer zu sparen. Um so lebendiger malte man in England 
den deutschen Schrecken an die Wand, schrie Ägypten und 
Indien als bedroht aus. Lord Derby zog im Lande umher 
Phot. Berl. Jllustrat.-Gef. m. b. H. 
Der neue englische Stahlhelm, dem der französische 
Helm des Oberst Adrian (siehe Seite 416) zum 
Muster diente.
	        
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