Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. DritterBand. (DritterBand)

■* 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
Die Südabhänge der Höhe Notre Dame de Lorette. 
auf weiteren Entfernungen alles regungslos, bis der Licht 
kegel weiter gleitet. Das sind bange Minuten! Näher 
am Feind ist Hinlegen geboten, bevor der Lichtkegel die 
Truppe erreicht. Will man — wie bei den Argonnen- 
kämpfen des Dezembers — ohne letzte Feuerstellung nur 
mit blanker Waffe stürmen, so gibt es nur noch ein Drauf 
los, sobald der Gegner durch Schnellfeuer anzeigt, daß 
man bemerkt wurde. Auch Scheinwerferbeleuchtung darf 
die zum Sturm angetretene Truppe nicht mehr aufhalten. 
Die Maßnahmen des Verteidigers dürften bekannter 
sein. Die Gewehre und Maschinengewehre werden auf 
einen bestimmten Eeländeabschnitt oder auf die Hinder 
nisse eingerichtet, Horchposten werden vorgeschoben, die 
ihrerseits wieder oft Klingelzüge legen und den feindlichen 
Anmarsch durch verabredete Zeichen, Lichtsignale und der 
gleichen melden, sowie die Hindernisse bewachen. Ein ver 
stärkter Patrouillengang wird angeordnet, Leuchtpistolen 
werden mitgenommen, um das Vorfeld zu erhellen. Zu 
letzterem Zweck werden auch oft Gehöfte angezündet, wie 
französischerseits der Bahnhof la Vaur Maria, östlich der 
Argonnen (siehe Bild Seite 17). Auch beim Verteidiger 
befleißigt man sich möglichster Ruhe, um den Angreifer 
besser zu hören. Die Feuerlinie wird nur schwach besetzt, 
die Truppen ruhen möglichst dicht dahinter, bis ein feind 
liches Vorgehen erkannt ist. 
Vom Verteidiger aus ist es ebenfalls ein herrliches 
Schauspiel, den ruhelos wandernden Lichtkegel des Schein 
werfers zu beobachten, mit Hilfe dessen man auch bis 
100 Kilometer weit signalisieren kann. Bald hier, bald dort 
blitzen Leuchtkugeln auf, die für 8—10 Sekunden den Um 
kreis von 100 Metern taghell erleuchten. Huschende 
Schatten verschwinden dann blitzschnell in Bodenuneben 
heiten, dunkle Gegenstände werden geschwind beleuchtet. 
Sind's Bäume, Büsche oder stehende Kolonnen? Das Ge 
höft brennt gar nicht mehr so lichterloh wie anfangs! Ist 
es ausgebrannt oder werden die.Flammen künstlich gelöscht? 
Ein leises Zirpen ertönt halb rechts. Ist es der Lockruf 
einer zersprengten feindlichen Patrouille? Ein Posten 
meldet, vom linken Flügel deutlich fremde Kommandos 
vernommen zu haben. Es sind nur Verwundete, die sich 
zu regen beginnen. Ein Horchposten mit Telephon gibt 
plötzlich keine Antwort mehr auf den Anruf. Ist die Lei 
tung durchschnitten? Wurde er lautlos erwürgt? Plötzlich 
tönen die Klingeldrähte. Sie kommen! Ohrenbetäubendes 
Schießen. Bomben krachen. Hallendes Hurra! Der 
Scheinwerfer beleuchtet wilde Bilder des Nahkampfes. — 
Dann wird es wieder ruhig. Wieder dunkle Nacht. 
Im serbischen Hauptquartier. 
Nisch ist das neue Herz Serbiens, Kragujevaz aber sein 
Puls. Ist dort die Regierung und Verwaltungsbehörde, 
so befindet sich hier das Hauptquartier des Heeres. Kra 
gujevaz ist eine wahre Überraschung zudem. Man stellt 
sich immer vor, daß außer Belgrad alle anderen Städte 
Serbiens nur große Dörfer sind. Aber Kragujevaz ist ein 
Städtchen, ein wirklich anmutiges Städtchen mit langen, 
reinen und gepflegten Straßen, schönen Häusern, eleganten 
Villen und einer gefälligen Architektur, die in allen mög 
lichen und unmöglichen Stilen schwelgt und auf der Suche 
nach dem echten balkanischen Stil zu sein scheint. Und 
dann sind dort ganz überraschend schöne Läden mit aller 
hand guten Sachen trotz des Krieges und ein weiter Park 
mit herrlichen Alleen. 
Als ich nach Kragujevaz kam, stand plötzlich vor meinem 
Geist das Bild der rauhen galizischen Festung Przemysl, 
in der ich Anfang September weilte, als die Stadt noch 
nicht von den Russen belagert war und das österreichisch 
ungarische Hauptquartier dort seinen Sitz hatte, das dann 
später nach Neu-Sandek verlegt wurde. Unwillkürlich stellte 
ich Vergleiche an. Dort in Przemysl mehr als tausend 
Automobile, hier zwanzig, von denen mindestens zehn 
ständig in Reparatur sind, weil bei den fürchterlichen Wegen 
alle Augenblicke etwas entzwei geht. Und dann die pracht 
volle Regelung des Nachschubs in Österreich-Ungarn, die 
Hunderte und aber Hunderte von ankommenden Zügen, 
Gesasicht 
des südlich Lorettohöhe 
gelegenen S»tfeldes, des 
Schauplatzes französisch 
englischen Dicuchsversuche 
im 91915. 
die Tausende von Wagen, die endlosen Reihen riesiger 
Lastautomobile, die aufgestapelten Waren und bis zum 
Giebel gefüllten Speicher — alles Dinge, die hier auf das 
äußerste Minimum beschränkt sind. Ein paar Dutzend 
„Komora" (die landesüblichen Ochsenkarren) fahren hier 
vorüber, die eine durch Kriegsgesetz geregelte Abgabe der Be 
völkerung darstellen, die je nach Vermögen zu dieser Steuer 
herangezogen wird. Sie bringen ein paar hundert Uniformen 
und Decken und scheinen unter der Last der Munitionskisten 
und Mehlsackpyramiden beinahe zusammenzubrechen. Mit 
der Beförderung beeilen sie sich durchaus nicht. Die Reise geht 
langsam, ohne Eskorte, in kurzen Etappen vonstatten. Und 
doch wird auch hier gekämpft, gekämpft und sogar gesiegt. 
Das Oberkommando ist im Polizeipräsidium unter 
gebracht. Der Schutzheilige des Hauptquartiers. ist der 
Woiwode Putnik, der als Generalissimus in den beiden 
Balkankriegen den Oberbefehl führte. Äußerlich hat er 
nichts Heldenhaftes oder auch nur Feierliches. Er ist von 
kleinem Wuchs, hat das Gesicht von einem weißen Bärtchen 
umrahmt und die Mütze tief herabgezogen. Er geht nur 
sehr wenig an die frische Luft, und zwar immer im Auto 
mobil. Außer dieser kurzen Erholung arbeitet er angestrengt 
den ganzen Tag, zum Schrecken seiner Offiziere. Nicht ein 
mal die Mahlzeiten bedeuten eine Unterbrechung der Ge 
dankentätigkeit. Zur bestimmten Zeit wird auf eine Ecke des 
Arbeitstisches das Essen aufgetragen, und zwischen einem 
Bissen und dem nächsten werden die Karten studiert, die 
die andere Seite des Tisches ausfüllen. Klingelt das Tele 
phon, so tritt der Woiwode selbst heran und steht oft über 
eine halbe Stunde am Apparat. Das ist eine der wenigen 
Gelegenheiten, bei denen man ihn sprechen hören kann. 
Sonst hüllt er sich in undurchdringliches Schweigen. Er 
pflegt sehr aufmerksam zuzuhören, wobei sich die Augen 
brauen, die allein in der sie umgebenden Weiße schwarz 
blieben, über den leuchtenden Augen zusammenziehen; glaubt 
man aber dann, daß er das Wort nehmen werde, so senkt er 
plötzlich die Augen und begibt sich wieder an die Arbeit. Das 
ist seine Art, die Unterhaltung zu beenden, und sie bedeutet 
Die Strafe von Villers au Bois nach Souchez. 
soviel wie: Schon gut, Sie können machen, daß Sie fort 
kommen. 
Das Kommando der drei serbischen Armeen liegt den 
Generalen Missitsch, Stefanowitsch und Sturm ob. 
Alle diese Generale und Stabsoffiziere — etwa fünfzig 
an der Zahl — tragen eine große Sicherheit zur Schau, 
als ob nie einer von ihnen je an einem guten Ausgang 
zweifelte. Aher ich weiß noch ^ehr wohl, daß zur Zeit des 
letzten furchtbaren österreichisch-ungarischen Vorgehens, als 
das Heer König Peters sich völlig zurückziehen mußte und 
alle Wege des nördlichen Serbien von jammernden Flücht 
lingen überfüllt waren, auch hier im Hauptquartier der Mut 
sank. Unaufhaltsam und immer weiter rückte das k. u. k. Heer 
vor, und die Serben konnten sich nicht einmal verteidigen, 
weil ihnen die Munition ausgegangen war. Es waren 
zwei Wochen schrecklicher Verzweiflung. Vor den auf sie 
einstürmenden feindlichen Horden wandten sich die Sol 
daten in höchster Angst mit der flehentlichen Bitte um 
Patronen und Granaten an ihre Offiziere. Sie hatten 
nichts mehr zum Verschießen, rein gar nichts! Die lächer 
lich kleinen Mengen, die hin und wieder einer Abteilung 
ausgeteilt wurden, genügten noch nicht einmal, um an 
zufangen. Und dabei ließ das Oberkommando noch sagen: 
„Nur ja sparsam umgehen! Wir haben unsere bestimmten 
Absichten." Die Wahrheit war, daß sich in den Munitions- 
kammern nicht mehr das geringste vorfand. Soldaten und 
Offiziere heulten vor Wut auf, sich so zur Ohnmacht ver 
urteilt zu sehen. Aber eines Tages kamen die Munitionen 
an. O freundliches Frankreich, o fürsorgliches heiliges Rußland! 
Gestern war ich mit einigen Offizieren im Kaffee Obreno- 
witsch, als plötzlich ein hochgewachsener, brünetter junger 
Mann im serbischen Nationalkostüm, die leuchtenden Pa 
tronentaschen umgehängt, den Revolver im Gürtel, in den 
Saal trat. Er hatte sehr lebhafte schwarze Augen, einen 
kleinen schwarzen Schnurrbart und unter einer tiefschwarzen 
dichten Haarmähne ein verschmitztes, frisches Gesicht. Er 
kam mit einem beschwingten, etwas theatralischen Gang zur 
Tür herein, grüßte ringsum, indem er flüchtig die Mütze be-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.