Die Geschichte des Weltkrieges 1914/13.
<Fortsctz»ng.>
Während die verbündeten Heere in Polen, Litauen und
Kurland von Sieg zu Sieg schritten, mußte die Südarmee
in Ostgalizien Gewehr bei Fuß stehen. Von übermensch
licher Größe waren die Kampfleistungen, die hinter ihr
lagen. Den Winter über hatte sie die harte Karpathenwacht
in Schneehöhlen und Eistlüften treu durchgeholten. Ge
stählt und erprobt in tausenderlei Strapazen, warf sie Ende
April und im Mai die Russen von den Hängen der Kar
pathen nach Galizien hinein. Im Juni hatte sie die Russen
nach dem Dnjestr zu vor sich hergetrieben, von Abschnitt
zu Abschnitt verjagt und immer aufs neue geworfen, und
schließlich schreckte sie im Juli auch vor dem Angriff auf
die ungeheuer starten Höhen des östlichen Dnjestrufers nicht
zurück. Bis dahin hatten wir ihren unvergeßlichen Sieges
zug verfolgt (Seite 106). Rach ihrem von den Russen
kaum für möglich gehaltenen Siege folgte diese Heeres
gruppe dem weichenden Feind, ihm viel Gefangene und
Material abnehmend, noch den 50 Kilometer weiten Weg
bis an die Zlota-Lipa. Es war lein müheloses Nach
dringen. An den dafür mit aller erdenklichen Kunst her
gerichteten Stellen erneuerten die Russen immer wieder
ihren Widerstand mit der ihnen eigenen schier rätselhaften
Zähigkeit. Sie mußten aber dennoch weiter weichen und
wurden in den Gefechten bei Swistelniki Anfang Juli
endgültig auch von dem westlichen Ufer der Zlota-Lipa
vertrieben. Dort wurde der siegreichen Armee der Be
fehl: „Eingraben!" Das bedeutete für sie Ruhe. Aber
nicht zu diesem Zweck wurde hier halt gemacht. Die
deutschen und österreichisch-ungarischen Soldaten dieser
Armee hatten keineswegs an Schlagkraft eingebüßt, sie
hätten den besiegten Feind aufs neue weitertreiben und
Ostgalizien ganz
vom Feinde frei
machen können.
Die Heeresleitung
hielt dazu aber jetzt
die Zeit noch nicht
für gekommen. Die
starke Stellung der
verbündeten Heere
an dem eben er
kämpften Westufer
der Zlota-Lipa
sollte der Armee
zunächst nicht als
Ausgangspunkt für
neue Siege, son
dern zur Abwehr
gegen russische An
griffe dienen, die
der Eesamtlage
nach hier erfolgen
mußten, um den
Fortschritt der in
Polen kämpfenden
Heere der Verbün
deten zu stören.Das
konnte mit den
schwersten Folgen
für die Eesamtlage
imOstengeschehen,
wenn die Russen
durch Heranführung übermächtiger Verstärkungen den
äußersten Südflügel der Deutschen, Österreicher und Un
garn ins Schwanken brachten oder ihn gar durchbrachen.
Gegen diese drohende Gefahr galt es aufs festeste ge
wappnet zu sein. Und die Südarmee ist es gewesen. Dar
über hinaus aber kämpfte sie mit Erfolg um Verbesserungen
der Front. So warf sie am 8. August aufwärts Usciec-
kow am Dnjestr die Russen an mehreren Punkten und er
beutete von ihnen 1600 Gefangene und 5 Maschinen
gewehre. Am Tage danach bemächtigten sich inneröster
reichische und küstenländische Regimenter bei Czernelica
auf dem Südufer des Dnjestr einer brückenkopfartigen Stel
lung, an der die Russen sich bisher noch mit aller Kraft
festzuhalten gewußt hatten. Nun flohen sie aber über den
Fluß und ließen 22 Offiziere und 2800 Mann, 6 Ma
schinengewehre, einen großen Fuhrpark und zahlreiches
anderes Kriegsmaterial in der Hand der Sieger. Damit
waren die Russen in den nächsten Tagen zur Räumung
sämtlicher noch auf dem südlichen Dnjestrufer befindlichen
Stellungen gezwungen. Diese starken, günstig gelegenen
und daher schwer einnehmbaren Befestigungen auf dem
hier steil gegen den Fluß abfallenden Hügelgelände hatten
die Russen acht Wochen hindurch halten können. Die ihnen
gegenüberliegenden Österreicher und Ungarn steigerten
während des ganzen Juli den Druck auf die weit vor
gelegenen Punkte. Auf rasch errichteten Brücken schafften
aber die Russen immer wieder neue Verstärkungen heran
und verstanden es, den Angreifern alle nur erdenklichen
Schwierigkeiten zu machen. Zu Beginn des August konnten
sie sogar an eine Art Erfolg ihrer Mühen glauben, weil an
scheinend Ruhe eintrat. Es war aber nur die Stille vor
dem Sturm, der wie immer mit starken Artillerieüberfällen
eingeleitet wurde und den ersehnten Erfolg brachte. Dabei
kam den Siegern eine Hochflut des Dnjestr zu Hilfe, der
zahlreiche Brücken zum Opfer fielen und die so die Russen
zwang, eine recht beträchtliche Beute im Stich zu lassen.
In dieser Zeit kam es auf der äußersten Rechten an der
bessarabischen Erenzfront zu immer wiederholten regel
mäßigen Angriffen der Russen, die ebenso regelmäßig in
dem überlegenen österreichisch-ungarischen Artilleriefeuer
verbluteten. Auch an der gesamten Dnjestr- und Zlota-
Lipa-Front überboten sich während des August die Russen
in fortwährenden Sturmangriffen, die ihnen aber stets
nur große Verluste eintrugen, ohne irgendwelchen Erfolg
zu bringen oder
auch nur in Aus
sicht zustellen. Im
August kündigten
immer deutlicher
werdende Anzei
chen den nahen
den Augenblick
neuer Angriffsar
beit für die Süd
armee an. Sie
rührten von ihrem
nördlichen Flügel
her. Dort mußte
der neue Vorstoß
auf diesem Teile
der Front einsehen,
weil von dort her,
vom Nordosten her,
das wolhynische
Festungsdreieck
Luzk — Dubno —
Rowno bedroht,
angegriffen und in
zusammenwirken
der Kampfarbeit
aller südöstlichen
Truppen genom
men werden muß
te. Dort schoben
sich am 22. August
die Sicherungen der Deutschen, Österreicher und Ungarn im
Raume von Wladimir-Wolinski bis gegen Turyjsk vor. Die
Russen wurden allerorten vertrieben. Am nächsten Tage
wurden die dargelegten Absichten durch einen erfolgreichen
und kühnen Reitervorstoß vom linken Flügel der südlichen
Heeresgruppe aus ein mächtiges Stück gefördert. Öster
reichische, ungarische und deutsche Reiter der Armee des Feld-
zeugmeisters Puhallo zogen in der Verfolgung des Feindes
in Kowel ein und rückten nordwärts weiter vor. Damit war
ein wichtiger Bahn- und Straßenknotenpunkt in den Händen
der Angreifer. Vier Bahnen strahlen von Kowel aus: nach
Brest-Litowsk, nach Cholm—Lublin, nach Wladimir-Wolinski
und durch die Sümpfe des Pripetbereiches (siehe Bild C.286)
Phot. R. Sennecke, Berlin.
Drei Brücken über den Wislok, nahe seiner Mündung in den San.
Im Hintergrund die ursprüngliche, österreichisch-ungarische Brücke, davor die russische Kriegsbrücke svon
den Nüssen wieder zerstört), vor dieser die von deutschen und österreichisch-ungarischen Pionier- und Eisen-
bahntruppen erbaute neue Eisenbahnbrücke. Im Vordergrund eine Fustgängernotbrücke, die zur Be
förderung von Lebensmitteln angelegt wurde.
Amerikan. Copyright 1915 vy Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
III. Band.
43