Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. DritterBand. (DritterBand)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
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in den Ansichten verschiedener 
ärztlicher Autoritäten ergibt sich 
die unwiderlegbare Tatsache, daß 
die Erschütterung der Nerven in 
einer Reihe von Fällen eine rein 
seelische sein kann, während sie in 
einer großen Anzahl anderer Fälle 
auf körperlichen Veränderungen 
im Zentralnervensystem beruht. 
Die rein seelische Erschütte 
rung wird durch den Anblick der 
toten, zerfetzten Kameraden, durch 
Erdverschüttungen und durch all 
die sonstigen grausigen Bilder, die 
der Krieg in seinen Einzelheiten 
darbietet, veranlaßt. 
Der Nervenarzt Wollenberg 
macht darauf aufmerksam, daß 
die Erschöpfung eine besonders 
veranlassende Ursache psychisch 
nervöser Störungen bilden könne. 
Zunächst sind es die Ermüdungs 
zustände, die mit geistigen und kör 
perlichen Zeichen der Überarbei 
tung einhergehen. Solche über 
müdete Kämpfer sind namentlich 
optischen Sinnestäuschungen un 
terworfen. So trat bei Offizieren 
nach ermüdenden Märschen über 
einstimmend die Vision weißer 
Häuserreihen am Straßenrand auf. 
Ein Offizier erzählte, daß er nach 
einer Reihe von angestrengten 
Kampftagen Gesichtstäuschungen 
gehabt habe, die ihn sogar zu 
falschen Meldungen und unzweck 
mäßigen Anordnungen veranlaßt 
hatten. Er glaubte nämlich in 
einer Mulde des vor ihm liegen 
den Geländes feindliche Kavallerie 
sich aufstellen und dann ein Luft 
schiff niedergehen zu sehen, aus 
dem eine blau-weiß-rote Fahne 
herausgeworfen wurde. 
Im Einzelfalle interessiert im 
mer die Frage, ob tatsächlich eine 
mächtige Erplosionswirkung die 
Ursache der Nervenstörungen ge 
wesen ist oder ob jene nur einen 
nebensächlichen Umstand bei der 
Auslösung von Krankheitserschei 
nungen auf Grund schon früher 
vorhandenerNervenschwäche gebil 
det hat. Denn wir Arzte sehen 
schwere Nervenerkrankungen auch 
bei Persouen, die noch gar nicht in 
den Bereich der Feuerlinie gekom 
men sind. Eine große Reihe plötzlicher Nervenerkrankungen 
sind den Spitälern schon während der Mobilmachungszeit 
zugewachsen. Nach den Mitteilungen Wollenbergs war dies 
namentlich in Elsaß-Lothringen der Fall, wo der Landsturm 
sofort mit aufgeboten und damit eine Anzahl gesundheit 
lich und sozial unsichere Elemente plötzlich in ganz ungewohnte 
Verhältnisse versetzt worden waren. 
Ein schweres Problem für den begutachtenden Arzt 
ist stets die Entscheidung, ob und in welchem Grade Simu 
lation vorliegt. Es treten bei den betreffenden Personen 
die sogenannten Begehrungsvorstellungen auf, ähnlich wie 
bei den durch Unfälle verletzten Arbeitern, sind aber hier 
nicht auf Erlangung einer Rente, sondern auf die Befreiung 
von der militärischen Dienstpflicht gerichtet. Eine Reihe 
von Ärzten behauptet immer, daß es keine dem Kriege eigen 
tümlichen Geistes- oder Nervenkrankheiten gebe. Das mag 
ja im allgeineinen richtig sein, aber es darf anderseits doch 
nicht vergessen werden, daß so heftig und umfangreich auf- 
tretende Erschütterungen, wie sie der Krieg mit sich bringt, 
im Frieden wohl nur unter ganz außergewöhnlichen Um 
ständen zustande kommen. Wenn auch tatsächlich die nervös 
Veranlagten am leichtesten schweren nervösen Erkrankungen 
unterliegen, so ist es doch ganz sicher festgestellt, daß selbst 
Männer mit Riesennerven von der unerhörten Gewalt 
furchtbarer Kriegsschrecknisse derart überwältigt werden, 
daß auch sie dem Nervenchok keinen Widerstand leisten 
können. 
Der Sturmangriff nach der Sprengung 
des „Wespennestes" in der Champagne am 
23. Juli 1915. 
(Aus der Ehrentafel des Füsilierregiments Nr. ..) 
Merzn obenstehendes Bild und Bild Seite 280.) 
„Eine hervorragende, tapfere und schneidige Tat", so 
nennt sie der Korpstagesbefehl, unter den Augen seines 
Höchstkommandierenden zu vollbringen, sollte dem Regiment 
in der Frühe des 23. Juli beschieden sein. 
Am genannten Tage handelte es sich für das Regiment 
um Sprengung des „Wespennestes" und Vorverlegung 
der eigenen Stellung dorthin. Das „Wespennest" war 
mit Recht fo getauft, wie ja derartige Bezeichnungen der 
Truppen meist den Nagel auf den Kopf treffen. Frech und 
vorwitzig schob sich hier der Franzose in etwa 200 Meter 
Breite und 100 Meter Tiefe in unsere Stellung vor. Das 
Sturmangff nach der 
Sprengung te »Wespen 
nestes«, einer fr größten in 
der Champagne. 
Nach einer Orimlzeichnung von 
Johs. tzrts. 
Nest war auch offenbar reich mit „Stöcken" bevölkert, denn 
in Gestalt von 500—600 Minen kamen die Wespen täglich 
als unangenehmer Besuch in die Grüben der .. .er, die 
teilweise bis auf kaum 10 Meter am Feinde lagen. Aber 
auch unterirdisch rumorte es bedenklich vom Wespennest 
herüber. In nicht weniger als sieben Stollen — nach Ge 
fangenenaussage — hatten sich die Franzosen hörbar in 
unsere Jnfanteriestellung hineingearbeitet. Also — mußte 
das Nest ausgeräuchert werden. Dazu bedurfte es um 
fangreicher Vorbereitungen, deren sich die Pioniere Nr. .. 
und ... unter Leitung ihres Kommandeurs, Hauptmann 
Uhse, liebevoll annahmen. In ganz ungewöhnlicher Tiefe 
nach unten führend mid dort in große Munitionskammern 
auslaufend, wurden mächtige Stollen gegen die fran 
zösischen Gräben vorgetrieben. Wer Pioniere bei dieser 
Arbeit einmal besucht hat, weiß, welche Mühe, welcher Fleiß 
dabei von ihnen verlangt werden muß, wieviel Schweiß 
da im dunklen, engen Schacht vergossen wird. Hier hieß 
es gleichzeitig auch die französischen Stollen zu unterfangen, 
sie bei der Sprengung „abzuquetschen" und unschädlich zu 
machen. Gilt's ja, bei diesem Wettkampf in der Erde der 
„unterliegende" Teil zu sein. 
In wochenlanger Arbeit war so geschafft worden. Un 
ermüdliche Hände hatten riesige 
Mengen Sprengstoff zur Füllung 
der Kammern herangetragen. 
Wieviel wohl? höre ich den Leser 
fragen. Nun, stelle dir vier große, 
wohlgefüllte Eisenbahn - Doppel 
wagen vor, hübsch verstaut in 
den einzelnen Stollen, und dann 
eine Anzahl von Zündungsdrähten 
so verteilt aus die verschiedenen 
Stellen des Sprengstoffs, daß die 
gesamte Riesenmasse bei der Zün 
dung gleichzeitig auffliegen mußte. 
Die Franzosen waren bei die 
sen Vorbereitungen unserer Pio 
niere nicht gleichgültig geblieben. 
Dreimal hatten sie in den letzten 
Wochen gesprengt, um unsere 
Stollen abzuquetschen. Es war 
ihnen nicht gelungen. Der Spreng- 
druck hatte nur nach oben gewirkt 
und hinterließ außer einem er 
giebigen Regen von recht groben 
Erdbrocken überhaupt keine Wir 
kung. Unversehrt wartete das Werk 
unserer Pioniere auf die festge 
setzte Stunde. 
Der Morgen des 23. Juli 
brachte diese herauf. Um vier Uhr 
sprach der elektrische Funke das 
gebietende Wort. Riesige Erd 
massen, von gelben Flammen 
durchleuchtet, wirbelten aus der 
berstenden Erde in die Luft, iin 
Frührot des Tages ein schauer 
lich-schöner Anblick. Dabei war 
die Erdbewegung so stark, daß 
die Nächstliegenden Trupps das 
Gefühl hatten, als schöbe sich 
ihnen der Boden urplötzlich unter 
den Füßen weg, um dann lang 
sam und schwankend wieder in 
seine alte Lage zurückzukehren. 
Die Sprengung hatte, genau 
entsprechend vorheriger Berech 
nung, gesessen. Zwei französische 
Stollen hatten sich angeschlossen, 
waren mit aufgeflogen und bil 
deten ein riesengroßes Flammen 
meer. Die Gesamtwirkung war 
eine gewaltige. In einer Breite 
von annähernd 200 und einer 
Tiefe von fast 100 Metern war 
die französische Stellung völlig 
vernichtet, darüber hinaus hatte 
sie erheblich gelitten. Drei große 
Sprengtrichter von je etwa 80Meter 
Durchmesser und 20 Meter Tiefe gähnten wie Krater an 
ihrer Stelle. 
Jetzt begann die eigentliche Arbeit der Füsiliere. Ihre 
dritte und achte Kompanie waren zur Erstürmung und Be 
setzung der Trichter angesetzt. Man hatte der Vorsicht 
halber den eigenen ersten Schützengraben mit Rücksicht auf 
die Wirkung der Sprengung geräumt. Aber in Kampfes 
lust hatten sich die Sturmpatrouillen dieser Kompanien 
bis hart an die Sprengzone vorgewagt, waren kaum zu 
halten und stürmten nun sofort nach der Sprengung durch 
den noch niedergehenden Regen von Erde und Sandstaub 
vor. Ihnen voran der Führer der achten Kompanie, Leut 
nant de Voß, mit seinen drei Zugführern, Leutnant Schmidt, 
Leutnant Meisenburg und Vizefeldwebel Fischer, am 
Wespennest! an der Helmichsappe Trupps der dritten Kom 
panie unter Führung des Leutnants der Reserve Martini. 
Der Kommandeur des linken Unterabschnittes, Major 
Schönian, mit seinem stellvertretenden Adjutanten, Leutnant 
der Reserve Jeske, leitete das Unternehmen unter rücksichts 
loser Einsetzung seiner Person, allen das beste Beispiel 
gebend. 
Bis an die jenseitigen Trichterränder wurde vorgestürmt, 
um diese zu besehen. Weitere Kampfgruppen folgen als
	        
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