Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. DritterBand. (DritterBand)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
Hofphot. Kühlewindt, zurzeit östlicher Kriegschauplatz. 
Truppen, die auf dem Wege nach Wilna haltenden russischen 
Streitkräfte ungehindert zu packen und sich nach der alten 
Hauptstadt Litauens, die zum wichtigsten Eisenbahn 
knotenpunkt aller russischen Eisenbahnen im ganzen Nord 
westen geworden war, mit Aussicht auf Erfolg durchzu- 
sch lagen. Die kleineren Festungen Olita und Ossowiec, 
die sich als letzte schwächere Stützpunkte noch am Njemen 
und Bobr gehalten hatten, büßten durch den Fall von Kowno 
ihre strategische Bedeutung ein. Der Vormarsch der deut 
schen Heere im russischen Nordwesten war nicht mehr auf 
zuhalten. Südlich wirkte nur noch Grodno einige Zeit 
als Wellenbrecher, der aber unmöglich von dauerndem 
Bestand bleiben konnte, angesichts der durch- den Fall 
Kownos gewaltig emporgeschnellten Angriffskraft der deut 
schen Heere. Noch südlicher war in diesem Augenblick eine 
andere Hoffnung der Russen schon ein von den Wogen des 
deutschen Angriffs umbrandeter einsamer Fels, dessen 
Verteidigung mit jedem Tag aussichtsloser wurde. Auf 
Seite 230 dieses Bandes erzählten wir von dem Gelingen 
der vollständigen Einschließung der mächtig starken Weichsel 
festung Nowo-Eeorgiewsk am 8. August. Von allen Seiten 
ward das Festungssystem an den folgenden Tagen mit 
den Endkampf um Nowo-Georgiewsk, das in der schon er 
wähnten Mitteilung der russischen Telegraphenagentur 
außer Kowno als der zweite Angelpunkt der russischen 
Hauptstellung in Polen bezeichnet worden war. 85 000 Ge 
fangene und unübersehbares Kriegsmaterial fiel in die 
Hände der Deutschen. Nach der am 18. September abge 
schlossenen Zählung betrug die Beute: 1640 Geschütze, 
23 219 Gewehre, 103 Maschinengewehre, 160 000 Schuß 
Artilleriemunition und 7 098 000 Gewehrpatronen, wie wir 
schon in unserem Sonderbericht über die Eroberung der Feste 
auf Seite 206 erwähnten. Der Deutsche Kaiser begab sich nach 
der Festung, um dem Führer des Angriffs, General der 
Infanterie v. Beseler, dem Sieger von Antwerpen, und 
den tapferen Angriffstruppen seinen und den Dank des 
Vaterlandes auszusprechen. Unter dem Jubel der auf 
gestellten Truppen fuhr der Kaiser am Nachmittag des 
19. Augusts am Fort 3 vorbei in die Festung. Zwischen 
Modlin und dem Fort 2 wurde eine Parade über die Sieger 
abgehalten. In dem großen kaiserlichen Gefolge befanden 
sich auch der Chef des Generalstabes v. Falkenhayn und der 
Eeneralfeldmarschall Hindenburg. Nach dem Vorbeimarsch 
feierte der Kaiser die gewaltige Leistung seiner Soldaten in 
Die zerstörte Kehlbrücke im Fort 2 der Festung Ossowiec. 
stetig gesteigerter Schärfe den wuchtigen deutschen Angriffen 
ausgesetzt. Schon am 10. gelang die Besetzung des von den 
Russen unter dem Eindruck der schweren Beschießung ge 
räumten Forts Benjaminow, gleichzeitig wurde die Festung 
von deutschen Luftgeschwadern ausgiebig mit Bomben 
belegt. Am 13. August erstürmten die Angreifer eine starke 
Vorstellung im Norden der Festung und nahmen 90 Offi 
ziere, 1800 Mann und 4 Maschinengewehre. Ein günstig 
verlaufender größerer Ansturm warf die Verteidiger zwei 
Tage später wieder ein beträchtliches Stück auf den Fort 
gürtel zurück. Tags darauf fielen ein großes Fort und 
zwei Zwischenwerke, ebenso gelang eine für den Gegner 
verlustreiche Zurückdrängung auch an fast allen Angriffs 
punkten der übrigen Fronten, 2400 Gefangene und 19 Ge 
schütze waren die vielversprechende Beute dieses Tages, der 
auch den gewaltigen Erfolg vor Kowno gebracht hatte. Am 
Tage des endgültigen Falles von Kowno gingen den Russen 
auch vor Nowo-Eeorgiewsk zwei weitere Forts der Nordost 
front verloren; dabei büßten sie 600 Gefangene und 20 Ge 
schütze ein. Am nächsten Tage errangen die Stürmer im 
Nordosten durch Aberwindung des Wkraabschnittes und die 
Wegnahme zweier Forts wieder einen glänzenden Sieg, 
der am stärksten in der Beute von 1000 Gefangenen und 
125 Geschützen zum Ausdruck kam. Der 19. August brachte 
kernigen Ansprachen. Als die Soldaten auf dem Rückwege 
des kaiserlichen Gefolges ihren Hindenburg wieder erkann 
ten, freuten sie sich so herzhaft wie Kinder und jubelten ihm 
in stürmischer Begeisterung unaufhörlich zu. Es war ein 
regentrüber Tag, mit düsterem, wolkenbehangenem Him 
mel, dennoch leuchtete in aller Herzen in diesen Stunden die 
hellstrahlende Siegessonne. 
Die Russen hatten mit dem Fall der letzten Weichsel 
festung noch weniger gerechnet als mit der Niederzwingung 
Kownos. Zwar sahen sie bald ein, daß sie mit Nowo- 
Eeorgiewsk nur schwer oder gar nicht eine Verbindung 
aufrechterhalten könnten. In dem letzten Falle sollte es 
aus alle Fälle ein lästiges Wespennest, fähig zu immer neuen 
empfindlichen Stichen im Rücken der vormarschierenden 
deutschen Heere bleiben und diesen nach Möglichkeit Hinder 
nisse bereiten. Deshalb war es mit so Reichlichen Vorräten 
versehen, daß in dieser Hinsicht die Festung bequem minde 
stens ein Jahr, allermindestens aber bis zum Beginn der 
von den Russen prahlerisch in Aussicht gestellten Frühjahrs 
offensive im Jahre 1916 zu halten gewesen wäre. 
Die überreichlichen Vorräte der Festung gingen nun 
unversehrt in den Besitz der Deutschen über. 
In den zehn Tagen der Belagerung der Festung Nowo- 
Eeorgiewsk war die allseitige Verfolgung der russischen
	        
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