Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. DritterBand. (DritterBand)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
Humber. Der englische Zensor sorgte mit äußerster Strenge 
dafür, daß von dem großen Erfolg des Angriffs nichts in' 
die Öffentlichkeit kam. 
Nach einer Mitteilung der englischen Admiralität vom 
11. August stieß dann in der Nordsee der Torpedozerstörer 
„Lynr" auf eine Mine und sank. Der Bericht gab 23 Mann 
der Besatzung als gerettet an. „Lynr" war 1912 vom Stapel 
gelaufen und maß 950 Tonnen. Seine Besatzung bestand 
aus 100 Mann, von denen also über 70 umgekommen sein 
müssen. Unter demselben Datum konnte der deutsche 
Admiralstab von folgender wackeren Seemannstat berichten: 
Dem deutschen Hilfschiff „Meteor", einem als Minenleger 
ausgerüsteten früheren Handelsdampfer von mittlerer Größe, 
war es gelungen, durch den Ring der feindlichen Be- 
wachimgstreitkräfte zu dringen. Er warf nun an verschie 
denen Stellen der britischen Küste Minen und führte danach 
Krieg gegen feindliche Handelschiffe. Er versenkte deren 
eine Anzahl und vernichtete auch den englischen Hilfs 
kreuzer „The Ramsay", auf den er in der Nacht vom 7. auf 
den 8. August südöstlich der Orkneyinseln gestoßen war. Da 
bei rettete er 4 Offiziere und 40 Mann der Besatzung, die 
gefangengenommen wurden. Am nächsten Tage wurde er 
von vier feindlichen Kreuzern gestellt. Ein Entkommen 
war unmöglich, ein Gefecht mit der großen Übermacht für 
den an Geschützen schwachen „Meteor" völlig aussichtslos. 
Der tapfere deutsche Kommandant ergab sich aber dennoch 
nicht. Er schaffte vielmehr die Besatzung, die englischen 
Gefangenen und außerdem noch die Besatzung eines als 
Prise versenkten Seglers auf ein anderes, angehaltenes 
Schiff und versenkte den „Meteor". Die in Sicherheit 
gebrachten deutschen Seeleute erreichten wohlbehalten einen 
heimatlichen Hafen. Die Engländer hatten das Nachsehen 
und konnten weiter nichts tun, als den Untergang ihres 
Hilfskreuzers und die kühne Tat der deutschen Seeleute 
amtlich bestätigen. In denselben Augusttagen brachten 
holländische Fischerboote die Besatzungen kleinerer englischer 
Fahrzeuge an Land, die durch die Bomben deutscher 
Flugmaschinen zum Sinken gebracht worden waren. 
In der Nacht vom 12. zum 13. August wiederholte die 
deutsche Luftflotte ihren Angriff auf die englische Ostküste. 
Wieder war Harwich das Ziel. Die dortigen wertvollen 
militärischen Anlagen wurden ausgiebig mit Bomben zu 
gedeckt. Die deutschen Luftschiffe kehrten trotz heftiger 
Beschießung auch diesmal unversehrt heim. Der englische 
Bericht gab zu, daß sie den Luftbewachungspatrouillen 
entkommen seien, und räumte als Erfolg ferner ein, daß 
die Zeppeline über verschiedene Plätze geflogen und daß 
durch ihre Brandgranaten und Erplosivbomben 14 Häuser 
schwer beschädigt worden seien. Schon am 16. August mußte 
Reuter eine neue kühne deutsche Seemannstat melden, 
die an Verwegenheit der des „Meteor" gleichkommt. In 
der Nähe der Gewässer der britischen Inseln, in einem der 
Winkel der Irischen See, die durch Minensperren und einen 
aufmerksamen Bewachungsdienst nach Möglichkeit gesichert 
sind, tauchte ein deutsches It-Boot auf und beschoß, wie 
selbst der englische Bericht bekennen mußte, mit bestem Erfolg 
die Küstenplätze Parton, Harrington und Whitehaven in 
Cumberland am Solwayfirth an der Westküste Englands. 
Die Granaten riefen eine Unterbrechung des Eisenbahn 
dienstes durch Beschädigung der Bahnstrecke nördlich von 
Parton und einige Brände hervor. Nichts konnte den Eng 
ländern deutlicher zeigen, wie es um ihre Seeherrschaft in 
Wirklichkeit bestellt ist, als diese hervorragend mutige Tat. 
Auch am nächsten Tage zeigte sich der unverwüstlich kühne 
deutsche Seemannsgeist wieder in seiner ganzen sicheren 
Sprungbereitschaft. Diesmal an der jütischen Westküste. 
Dort stürzten sich bei Hornsrifffeuerschiff fünf deutsche Tor 
pedoboote auf einen modernen kleinen englischen Kreuzer 
und acht englische Torpedobootzerstörer. Sie brachten 
einen von diesen und den kleinen Kreuzer durch wohl 
gezielte Torpedoschüsse zum Sinken und erlitten selbst 
keinerlei Verluste bei ihrem glücklichen Vorstoß. 
In der darauffolgenden Nacht vom 17. zum 18. August 
unternahmen deutsche Marineluftschiffe eine neue Fahrt 
nach der englischen Ostküste. Diesmal galt es einem Angriff 
auf das Herz Londons selbst. Die City wurde mit Bomben 
belegt, ebenso wichtige Anlagen an und auf der Themse. 
Bei Woodbridge und Ipswich wurden auf derselben Fahrt 
Fabrikanlagen und Hochöfen mit Bomben beworfen. Die 
furchtbare Wirkung dieses deutschen Angriffs ließ sich nicht 
abstreiten. Der Zensor ließ sogar Nachrichten über ums 
Leben gekommene Personen in die Öffentlichkeit gelangen. 
An dem Entkommen der Zeppeline sollte diesmal das un 
günstige Wetter schuld gewesen sein. Man behauptete aber, 
daß wenigstens ein Zeppelin getroffen oder gar vernichtet 
worden sei. Demgegenüber betonte der deutsche Bericht 
mit besonderem Nachdruck, daß kein deutsches Luftschiff 
durch die über alle Maßen machtvolle Beschießung irgendwie 
beschädigt wurde. Als Folge dieses letzten Angriffs auf 
London wurde auch bekannt, daß die königliche Familie 
die Hauptstadt verlassen und nach einem Schloß im Norden 
Englands übersiedeln werde. Das läßt den Schluß zu, daß 
die tatsächliche wie auch die moralische Wirkung des letzten 
Zeppelinbesuchs in England so nachhaltig gewesen ist, wie 
man es nur immer wünschen kann. 
Die Folgen der deutschen Seetätigkeit zeigten sich sehr 
handgreiflich in der in England herrschenden großen Lebens 
mittelknappheit. Die englische Versorgung mit Fischen ist trotz 
der allseitigen Begrenzung Britanniens durch fischreiche 
Meere so unzureichend geworden, daß der Fisch als eigent 
liches Volksnahrungsmittel in England immer weniger 
in Betracht kommt. Nirgends oder allenfalls noch in Italien 
waren bisher die Preise für Getreide aller Art so außer 
gewöhnlich hoch wie in England, nirgends außer wieder 
in Italien sind auch die Preise für Eier so unerschwinglich 
wie in England. Die Milch ist dort so teuer geworden, 
daß im Zusammenhang damit die Säuglingsterblichkeit in 
London in diesem Jahre um die Hälfte höher war als 
im vorigen. Was die Versorgung mit Rohmaterialien 
anbetrifft, so stieg der Preis für Mineralien in England 
um mindestens vierzig Prozent. Infolge der Tätigkeit der 
deutschen l^-Boote erlitt der englische Handel überall und 
in allen seinen Zweigen schwere Einbußen. Allein die 
Kohlenausfuhr hat um fast anderthalb Millionen Tonnen 
abgenommen. Bei allen Jndustrieerzeugnissen, besonders 
bei Maschinen und Tertilwaren, fand eine sehr empfind 
liche Einbuße an Ausfuhrwerten statt. Die englische Ein 
fuhr überragte im letzten Geschäftsjahr die Ausfuhr um 
sieben Milliarden. 
Die Kosten des Krieges sind für England von zwanzig 
Millionen Mark täglich zu Anfang des Krieges allmählich 
auf fünfundachtzig Millionen täglich in den letzten Wochen 
angewachsen. Der frühere englische Minister Haldane 
sprach das ahnungsvolle Wort: Nach dem Kriege wird Eng 
land ein anderes, das heißt ein armes Land sein. Wie 
wenig Vertrauen man in England zu einem günstigen Ver 
lauf des Krieges hat, beweist das Ergebnis der zuletzt auf 
gelegten Kriegsanleihe. Statt eines Betrages, der für 
die Kriegführung bis mindestens über den Winter hinaus 
gereicht hätte, brachte die englische Regierung trotz aller 
denkbaren Vorzüge der neuen Anleihe nur eine Summe 
zusammen, die knapp bis Ende September 1915 ausreichen 
konnte. 
Damit sind aber die Sorgen der englischen Regierung 
keineswegs erschöpft. Während dem Lande die Gefahr 
eines unmittelbaren Angriffs von außen immer näher rückte, 
verharrten die englischen Arbeiter in einem dumpf hart 
näckigen Bestreben, den Krieg als Gelegenheit' zur Er 
höhung ihrer Lebenshaltung auszunutzen. Der englische 
Handelsminister Runciman hatte am 18. August 1914 die 
englische Erwerbswelt durch ein Rundschreiben aufgefordert, 
die günstige „Konjunktur" auszunutzen. Diese frech über die 
Leichen Hunderttausender hinwegschreitende unverfrorene 
Geschäftseligkeit, deren frevelhafte Hoffnungen allerdings 
im Verlauf des Krieges aufs bitterste enttäuscht wurden, 
war auch an den englischen Arbeitern nicht spurlos vor 
übergegangen. Auch sie nutzten ohne Gefühl für ihre 
vaterländischen Aufgaben die „Konjunktur" aus. Das heißt, 
sie erpreßten mit allen Mitteln von ihren Arbeitgebern 
höhere Löhne. Wohl versuchte die Regierung, die Arbeiter 
durch harte gesetzgeberische Maßnahmen von ihrem Sturm 
auf die Eeldsäcke abzuschrecken. Doch als Antwort auf 
das Gesetz, das alle Streikenden in mit der Munitions 
herstellung zusammenhängenden Betrieben mit einer ge 
waltig hohen Geldstrafe bedrohte, brach der walisische Berg 
arbeiterstreik aus. Die Regierung wurde nach dem Beginn 
dieses gewaltigen Streiks recht kleinlaut. Drei englische 
Minister waren im Juli im Streikgebiet, um die Arbeiter zur 
Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit zu überreden, weil durch 
diesen Streik, durch den in kürzester Zeit bereits Kohlen
	        
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