Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Achter Band. (Achter Band)

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, fßr/fW- 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
was sich jetzt in ihm auf 
reckte, wie etwas Leben 
diges, er mutzte es unter 
drücken, es von sich wer 
fen — 
Doch, es mutzte sein! 
Schlaff sanken ihm 
die Hände herab, einen 
Schritt trat er vor. Da 
donnerten die Kanonen 
von neuem, die ihn vor 
kurzem schon zur Tat, zu 
raschem Handeln aufge 
rüttelt hatten, lang und 
schwer hallten die Schläge 
daher und mahnten ihn 
und rissen an seinerSeele: 
„Sei unser, du bist es 
von jeher, höre auf die 
Stimme deines Innern, 
verrat' uns nicht —" 
Nein, nein, er konnte 
es nicht! Langsam rich 
tete er sich wieder auf, 
tiefen Ernst auf den Zü 
gen. Jeder Schlag von 
draußen schien ihm neue 
Kraft zu geben. 
„Ich kann es nicht," 
sagte er furchtlos und 
Mr. Brown sah zu sei 
nem Staunen, datz kein 
schwärmerischer deutscher 
Träumer, sondern ein 
Mann vor ihm stand. 
„Ich kann es nicht, mich 
verkaufen, auch nicht um 
den höchsten Preis: um 
die Befreiung meiner 
Mutter. Ich weiß, sie 
wird mir recht geben. Ich 
wähle für uns beide, für 
sie und für mich." 
„Wie Sie wollen." 
Keinen Blick mehr warf der Engländer ihm zu, grußlos 
schritt er zur Tür hinaus. Draußen hörte Werner ihn in 
seinem schlechten Russisch, über das er oft gelacht hatte und 
das sich nie bessern würde und wenn er noch hundert 
Jahre in Rußland lebte, einige Befehle geben. Dann 
stieg er die Treppen hinunter, wenige Augenblicke später 
fuhr unten der Wagen davon. 
Unwillkürlich zog Werner die Uhr: es war zehn Minuten 
vor zwei — selbst irrt Zusammenbruch ringsum Hielt der 
Ewigkorrekte seine Verabredung inne. Was galten ihm 
Menschenleid, was Uberzeugungstreue? Mit Geld ließ sich 
das erstere besänftigen, die letztere erkaufen. — 
Ein bitterer Geschmack trat ihm auf die Zunge: zu lange 
hatte er diesen Menschen als Freund betrachtet, der doch 
nichts war als eine Maschine. 
Mechanisch setzte er die Füße an und schritt zur Tür. 
Der Raunt, in dem er so oft heitre Stunden verlebt hatte, 
drückte auf ihn. 
Die Tür war verschlossen — was bedeutete das? Er 
rüttelte am Griff. 
Langsam öffnete man: die drei Soldaten standen neben 
einander auf der Schwelle. 
„Aus dem Weg! Ich bin russischer Untertan!" rief 
Werner. 
Keiner der drei rührte sich. Er stieß den mittleren zur 
Seite, da griffen sie zu, zerrten ihn zurück ins Zimmer und 
warfen die Tür ins Schloß. Während zwei ihn festhielten, 
untersuchte der dritte seine Taschen und nahm ihm die Uhr, 
das Notizbuch, die Börse und was er nach russischer Sitte 
lose an Kleingeld in der Westentasche trug, ab. 
„Natürlich, das ist euer erstes, ihr Elenden, rauben und 
stehlen, wie mögt ihr im fremden Lande hausen, wenn 
ihr euch schon im eigenen wie Räuber benehmt!" 
Sie lachten roh über seine Worte, fesselten ihm die Hände 
und stießen ihn vor sich her die Treppe herab. 
„Herr Unteroffizier," sagte Werner im Vorraum, „ich 
Major Ludwig Graf v. Holnstein aus Bayern, Chef des Generalstabs des 
I. Bayrischen Armeekorps. 
Nach einer Originalzeichnung des Kriegsmalers Ernst Vollbehr. 
verlange Rechenschaft! 
Ich bin Russe —" 
„Zeigen Sie Ihren 
Paß!" 
„Ich weiß nicht, ob 
ich ihn bei mir hatte. 
Fragen Sie Ihre Leute, 
die mir als erstes die 
Taschen geleert haben—" 
Die Soldaten legten 
schweigend, auf einen Be 
fehl hin, Werners Eigen 
tum nieder. 
„Es ist kein Paß da 
bei." 
„Senden Sie zu mir 
ins Haus, Sie werden ihn 
finden." 
„Wir haben keine Zeit 
dazu, uns nasführen zu 
lassen. Russisch oder nicht, 
Sie sind beschuldigt, zu 
den Deutschen zu halten, 
Sie haben sich dahin ge 
äußert, daß Sie sich über 
ihren Einzug freuen wür 
den. Sie werden ein 
Spion dieser verfl 
,Nemetzkü*) sein." 
„Wer wagt es, mich 
zu beschuldigen?" 
Der Unteroffizier 
zuckte die Achseln. Was 
bedurfte es auch einer 
Antwort? 
„Seit wann befehlen 
die Engländer russischen 
Soldaten?" fragte Wer 
ner nur. 
Der Unteroffizier 
wurde dunkelrot. „Ich 
muß tun, was man mir 
befiehlt. Wir warten 
seit dem Morgen auf Sie, 
Sie sind in die Falle gegangen." 
Hätte er sich also nach Mr. Browns Geheiß gleich zum 
Bahnhof begeben und damit seinen guten Millen bezeigt, 
so wäre er seiner Verhaftung entgangen. Sollte er jedoch 
ins Gasthaus kommen und für die Mutter ihn Hilfe bitten — 
auch das hatte der niederträchtige Engländer vorausgesehen 
— so war er ihm gleich in die Hand gegeben, wenn er anders 
wählte. 
Er lachte auf: sie waren einander wert, die Verbrüderten. 
Der eine der hinterlistige, rücksichtslose Kopf, der andere 
das feige, ausführende, durch Geld bestochene Werkzeug. 
„Vorwärts," gebot der Unteroffizier. «Schluß folgt.» 
*) d. h. Deutsche, gleichbedeutend mit „Niemand". 
Aufruhr in Kasan. 
«Hierzu das Bild Seite 60,61.» 
Der Weltkrieg, der zum Sieoeszug des Zarismus hatte 
werden sollen, brachte ihm den Untergang, als sich nach fast 
drei blutigen Jahren der Niederlagen und Verluste das 
russische Volk erhob und im Bunde mit der Armee die Fesseln 
zerriß, die es zu erwürgen drohten. Wie in Petershurg 
und Moskau, so machten auch in den übrigen größeren 
Städten die Soldaten gemeinsame Sache mit der Bevölke 
rung, um sich mit Gewalt einer längeren Fortsetzung des 
aussichtslosen Krieges zu widersetzen. Besonders erbitterte 
Kämpfe zwischen meuternden Soldaten und Kosaken spielten 
sich in der Gouvernementshauptstadt Kasan ab, wobei 
nicht weniger als 1500 Menschen ums Leben kamen. Die 
dort in Garnison liegenden Ersatzbataillone der 41. rus 
sischen Infanteriedivision weigerten sich, Transporte zur 
Front abzugeben, und verbinderten auch die Verbringung 
der in Kasan lagernden Munition nach den Kriegschau 
plätzen. Durch den revolutionären Coldatenrat wurde 
dem stellvertretenden Generalkommando der Division
	        
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