Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18.
Illustrierte Kriegsberichte
Selige Augen.
Eine Erzählung aus den Kriegslagen in Flandern.
Von Armin Steinart (F. A. Loofs).
«Schlub.»
Es waren furchtbare Tage, die nun folgten. Zuerst lag er
vollkommen teilnahrnlos. Aber das Zucken seiner Finger,
das immer wiederholte Hinauftasten nach den Augen lieh
erkennen, daß er wach war. Es schien, als habe die furcht
bare Überraschung die Lebenskraft des Verwundeten töd
lich getroffen. Auch die Arzte waren überrascht worden.
Wohl hatte der Oberarzt angenommen, daß sich infolge
der Hirnverletzung Störungen zeigen würden. Da jedoch
kein Ausschuß vorhanden war und man den Schwer
verwundeten noch nicht hatte durchleuchten können, wußte
man nicht, wie der Schußkanal verlief und welche Hirn
größere Hälfte des Gesichtes verdeckte, machte ihn voll
kommen unkenntlich. Qual und Glück, Verzweiflung und
Hoffnung rissen sie zu ihm hin. Die Schwester stand leise
auf und verließ das Zimmer. Mit gefalteten Händen trat
Maria an das Bett. Auch dem Arzt krampfte es die Hände
zusammen. Nur Sekunden konnte es gedauert haben, daß
dies Mädchen dort am Bette des Verwundeten stand, aber
es war ihm, als stünde sie dort schon seit Beginn des Krie
ges, länger schon! Seit Menschen sterben und Liebe ohn
mächtig neben ihrem Lager leidet.
Leise nannte sie seinen Namen. Er hörte es nicht.
Ruhelos warf er den Kopf von links nach rechts, von rechts
nach links. Noch einmal rief sie ihn an und wieder. Kein
Erkennen! Kein Aufhören der furchtbaren Bewegung. Da
knickte sie neben seinem Bett in die Kniee und legte den
Kopf neben dem seinen auf die Kissen. So lag sie eine
Deutsche Fliegeraufnahme der Düna hinter Riga mit der von deutschen Pionieren geschlagenen Notbrücke im Vordergrunds
teile verletzt waren. Nun schien es leider allzu gewiß,
daß das Geschoß die Sehnerven durchschlagen hatte.
Drei Tage nach dem verhängnisvollen ersten Verband
wechsel begann Gräfe zu fiebern. Je höher die Körper
wärme stieg, desto unruhiger wurde er. Und am Abend des
vierten Tages warf er sich unaufhörlich hin und her, sprach
laut vor sich hin und stöhnte zuweilen jammervoll auf.
Man telegraphierte seiner Mutter, weil man das Schlimmste
befürchten mußte. Zwei Tage danach, ganz in der Frühe
kamen die beiden Frauen in dem kleinen französischen
Städtchen an. Strmdenlang mußten sie warten, bis das
Lazarett geöffnet wurde. AIs sie dann endlich den Arzt
sprechen konnten, durfte er ihnen nicht die Erlaubnis geben,
den Verwundeten zu besuchen. Es wurde ihm schwer, ihnen
das antun zu müssen, und er tröstete sie, so gut es gehen wollte.
Ebenso war es am nächsten Tage. Am Abend hielt
es Maria nicht mehr aus. Sie ging noch einmal ins Lazarett.
Heute mußte sie ihn sehen, oder sie brach zusammen! Der
Arzt kämpfte mit sich, ehe er es ihr erlaubte. Dann brachte
er-sie selbst zu dem Verwundeten. In der Tür blieb er
stehen, während sie leise, mit weit offenen Augen zu seinem
Bette schlich. Der Verwundete warf den Kopf unaufhörlich
Hin und her. Der große Verband, der mit den Augen die
Weile. Bis sie plötzlich auffuhr. Seine Hand hatte sich
langsam über die Decke zu ihr hingetastet und sein Kopf
lag still. Furchtsam, als wage sie nicht noch einmal die
Enttäuschung, rief sie ihn wieder an. Jetzt war es, als ob
der Verwundete den Kopf ein wenig hebe, um besser hören
zu können. Dann wichen seine trockenen Lippen aus
einander und nannten ihren Namen. Ganz außer sich warf
sie sich wieder auf die Kniee und neigte sich nahe zu ihm
hinüber. Und noch einmal sagte er ganz leise, daß nur sie
es hören konnte: „Maria." — „Ja, ich bin hier, ich bin
hier! Ich höre dich!" Es klang trotz aller Qual ein solches
Glück in ihrer Stimme, daß den jungen Arzt, der noch
immer an der Tür stand, ein Schauer der Ergriffenheit
überfloß. Wieder war es eine Weile so still, daß man in
der Ferne das Grollen der Geschütze hörte. Dann schien
der Verwundete vollends zu sich zu kommen. Mühsam,
aber deutlich sagte er: „Maria, weißt du, daß ich blind bin?"
■— „Ja," sagte sie, und ihre Stimme war Liebe, die über
alles siegt, „ich weiß es, aber ich bin bei dir und will
immer bei dir bleiben!" — „Ich möchte dich sehen," klagte
er- „Ist jetzt Nacht? Warum ist kein Licht da?" — „Ich
weiß es nicht, ich bin ja bei dir!" Da war es, als ob eine
ungeheure Spannung sich in ihm löse. Langsam, wie ein