Volltext: Der Feldzug in Polen (6 / 1915)

viertägiges Kind in einem Bündel um den Leib trug und ver¬ 
ängstigt beiseite stand, wäre beim Verteilen unserer Portio¬ 
nen sicher leer ausgegangen, wenn ich mich nicht ihrer ange¬ 
nommen hätte. Ein polnischer Arbeiter diente als Dolmetsch. 
Hierbei erfuhr ich folgendes: Der Mann im Krieg; drei 
kleine Kinder zu Hause; eins in diesem sackähnlichen Bündel. 
Zum Esten nichts als ein paar gestohlene Zuckerrüben. Eine 
Unterstützung bekommt die Frau nicht vom russischen Vater 
Staat. Auch in den Abendstunden schlich sich ein bleiches, 
aber sauber aussehendes junges Weib an unser Lagerfeuer 
heran, in nicht mißzuverstehender Weise nach dem Munde 
zeigend. Schnell ist ein Stück Brot (mein für den nächsten 
Morgen bestimmter Imbiß) zur Hand, und auch dieses Opfer 
des Krieges ist für wenige Stunden satt, um den nächsten Tag 
weiter zu hungern. Die Disziplin meiner Kompagnie ist eine 
gute zu nennen; nicht einer wagte es, das bildschöne Weib 
mit LiebeSanträgen zu verfolgen. Eine wahrhaft herrliche 
Weltordnung! Hier unglaublicher Hunger und unabsehbares 
Elend, wenige Schritte davon schwelgt das satte Mönch- und 
Pfaffentum, im wollüstigen Pfühle sich wiegend, wenn nicht 
noch zu schlimmeren Dingen neigend. 
Nach einer kalten, durchfrorenen Nacht geht es wieder auf 
der Eisenbahn bis zur nächsten Baustelle. Eine einige hundert 
Meter lange Brücke, ein Meisterwerk russischer Eisenkon¬ 
struktion, ist der Zerstörungswut der Russen zum Opfer ge¬ 
fallen. Man muß es mit eigenen Augen gesehen haben, um 
sich ein Bild von der Zerstörungskraft moderner Explosiv¬ 
stoffe machen zu können. Wären diese und andere Brücken 
noch intakt, könnten wir noch ein Stück nach Rußland hinein¬ 
fahren; so aber müssen wir auf unsicheren Wegen, auf denen 
man fast bis an die Knie im Schlamm versinkt, einen» an die 
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