Volltext: Der Feldzug in Polen (6 / 1915)

Schüsse. Angstvoll verließen die Bewohner die Häuser und 
liefen mit den notwendigsten Habseligkeiten aus die Straße. 
Die Schüsse erschollen offenbar aus nächster Nähe, jeden Au¬ 
genblick konnten die Granaten einschlagen. Die früheren Sol¬ 
daten merkten aber bald, daß nach dem ersten Knall das Zi¬ 
schen und Sausen und das nochmalige Knallen beim Auf¬ 
schlagen ausblieb, daß eö sich also unmöglich um Geschützan¬ 
griffe handeln konnte, sondern um Sprengschüffe. Aber nur 
sehr allmählich gelang es, die aufgeregte, weinende und schrei¬ 
ende Bevölkerung zu beruhigen. Bald sah man auch jenseits 
der Grenze ungeheure Rauchwolken aufsteigen: Kalisch 
brennt; in Kalisch ist Revolution! Diese und ähnliche Ge¬ 
rüchte durchschwirrten die Luft. Nun meldeten die deutschen 
Posten, daß früh um 4 Uhr ihre russischen Gegenüber abge¬ 
zogen seien mit den Abschiedsworten: „Schießt nicht auf 
unö; wir rücken jetzt ab." Einer der Unfrigen wies auch noch 
eine russische Mütze als Trophäe vor. „Lauf! Aber deine 
Mütze laß mir als Andenken; sonst feuere ich hinter dir her!" 
hatte er ihm zugerufen. 
Unter Anwendung der nötigen Vorsichtsmaßregeln rückte 
nun unsere Ulanenpatrouille über die Rogatka und sah sich die 
Bescherung an. In dem russischen Zollamt Schtschipiorno, 
dicht hinter der Grenze, alles leer, alles in wüster Unord¬ 
nung zurückgelassen; ein einziger Zollbeamter, den unsere 
preußischen Zöllner gut kannten, war zurückgeblieben. Die 
Schtschipiornoer Kaserne ebenso leer, liegengebliebene Sachen 
lagen bunt durcheinander. Auch die wenigen Häuser des Dörf¬ 
chens Schtschipiorno leer; die Bewohner waren entweder ge¬ 
zwungen worden, fortzugehen, oder waren freiwillig fortge¬ 
gangen, nicht etwa aus Furcht vor den Preußen, sondern vor 
den nach Abzug der Soldaten und Zollbeamten ungehindert 
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