Volltext: Mit Herz und Hand fürs Vaterland!

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Hofe von Vincennes, jenem Vororte von Paris, der in der Geschichte Lud- 
wigs XVI. eine Rolle spielte. Wie er auf der Flucht, so sollten auch wir 
hier aufgehalten und ins Gefängnis geführt werden. Der Zug wurde geordnet: 
voran eine Eskadron Kavallerie, dann ein General im Auto, Chasseurs, dann 
wir Offiziere und Mannschaften, zuletzt die Diakonissen im Wagen. War das 
ein Spießrutenlaufen unter dem ohrenzerreißenden Geheule, schrillen Pfeifen 
und Vive la France-Rufett einer unzurechnungsfähigen Menge. Noch heute 
sehe ich einen eleganten, in Schwarz gekleideten Herrn vor mir, der wut- 
schäumend mit geballten Fäusten auf uns einzudringen suchte. Wir waren 
froh über das enggeschlossene Spalier von Soldaten, sonst hätten wir wohl 
kaum lebend das Fort erreicht. Durch Photographen, die es besonders auf 
mich abgesehen hatten, wurde die Szene im Bilde festgehalten, und schon an 
demselben Abende zog im Kino die reiche Kriegsbeute von Peronne an den 
Augen der begeisterten Pariser vorüber. Im Fort öffnete sich uns das Tor 
einer Militärschule. Wir mußten sechs Treppen emporklimmen und bezogen 
unter dem Dache drei getrennte Räume. Bald wurden wir inne, daß an eine 
Weiterreise an demselben Tage nicht zu denken sei Wir mußten mit dem 
gesamten Gepäck antreten, worauf eine Untersuchung bis auf die Haut begann. 
Alles, selbst Geld und Uhr, mußte abgeliefert werden. Dann hieß es für 
mich, gemeinsam mit den Offizieren den Schlaf- und Wohnraum für die nächsten 
zwölf Tage zu beziehen: eine geschwärzte Dachkammer mit einem einzigen 
Gitterfenster, so enge, daß bei ausgebreiteten Strohsäcken nur ein schmaler 
Gang in der Mitte blieb. Und in diesem Räume sollten mit dem Doppel- 
Posten 27Personen Tag und Nacht zubringen. Nicht einen Moment sollte 
man diesen Raum verlassen dürfen, ohne aufs schärfste von einem Posten be- 
obachtet zu sein. Vor diesem letzteren so überaus peinlichen Umstände trat 
alles zurück: die unsauberen Eßnäpfe, das fünf Tage lang Sich-nicht-waschen- 
können und anderes mehr. 
Die Untersuchung nahm dann ihren Fortgang. Es wurde durch medi- 
zinische und fachtechnische Fragen festgestellt, ob die Aerzte auch Aerzte und 
die Sanitäter auch Sanitäter seien. In mir wollte man einen „Leutnant" 
erwischt haben, und nur dadurch konnte ich mich von dem Verdacht reinigen, daß ich 
vor einem Geistlichen eine Art von theologischem Examen ablegte. Auch unter 
den Schwestern vermutete man verkleidete Offiziere, verschonte sie deshalb 
keineswegs mit lästigen Maßnahmen. 
Nach Verlauf von etwa zehn Tagen hörten wir aus dem Munde einiger 
Offiziere, man sei zufrieden mit dem Ergebnisse der Untersuchung, Belastendes 
habe sich nicht gefunden, wir würden wohl bald nach der Schweiz gebracht 
werden. Darob allgemeine, hoffnungsvolle Freude, jedoch abermals verfrüht, 
denn wir hatten nicht darauf gerechnet, daß man bei bösem Willen überall 
Belastendes finden könne, nicht gerechnet auch mit einem alten Kapitän, welcher 
der Ansicht war, es müsse unbedingt etwas Belastendes gefunden werden. 
Darum nahm er die Untersuchung von neuem auf, und es gelang ihm, 
„furchtbare Frevel" zu entdecken. Denn — man schaudere! —einige bargen
	        
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