Volltext: Erläuterungen zur Gemeindeordnung

VI. Sittlichkeitspolizei. 
Soweit die Geschichte zurückreicht, waren die Schicksale der Menschen und 
ihrer staatlichen Verbindungen stets an ein strenges Sittengesetz gebunden. Auf 
diesem Gesetze stand und. erhob sich zur Größe ein Staat; — mit dem Verfalle 
der Sittlichkeit ging jeder Staat unaufhaltsam seinem Untergange entgegen. Den 
mächtigen Einfluß der Sittlichkeit auf das Wohl der Gemeinden lehrt uns die 
Geschichte des Tages. Wir sehen in allen Gemeinden, wo die sittlichen Grundsätze 
schwinden und der Gifthauch verdorbener Sitten das öffentliche Leben und die 
Familien durchdringt, einen allgemeinen Niedergang des wirtschaftlichen und gewerb— 
lichen Betriebes, eine umsichgreifende moralische und materielle Verkümmerung und 
endliche Verarmung. 
Förderung der Sittlichkeit, soweit sie über den engen Kreis der Familie 
hinausgeht, ist wohl zunächst Sache der Religion, der Schule uud des Staates, 
doch auch Aufgabe der Gemeinde in Handhabung der localen Sittlichkeitspolizei. 
Die Gemeinde fördert die Sittlichkeit durch Abwehr und Hintanhaltung schädlicher 
Einflüsse auf die öffentliche Sittlichkeit. Die auf die Sittlichkeitspolizei Bezug 
nehmenden Gesetze uͤnd Verordnungen kann sich ein Gemeindevorsteher mühelos 
aneignen; doch schwieriger ist deren Handhabung, da kein Zweig der ortspolizei— 
lichen Wirksamkeit ein so taktvolles Vorgehen erheischt, als die Sittlichkeitspolizei 
in ihren vielseitigen Beziehungen auf die Lebensverhältnisse in der Gemeinde. Der 
Begriff der Sittlichkeit erfährt häufig eine ganz irrige Auffassung und deshalb 
geschieht auf dem Felde der Sittlichkeitspolizei nicht selten zu viel in der einen 
und zu wenig in der anderen Gemeinde. Im Eifer für die gute Sache wird über 
das Ziel oft weit hinausgeschossen und es werden Handlungen als unsittlich erklärt, 
verboten und bestraft, die nichts weniger als unsittlich sind. Im Bereiche der 
Sittlichkeitspolizei wird aber Zweck und Ziel durch eine maß- und rücksichtslose 
Strenge ebenso, wie durch eine zu weitgehende Nachsicht verfehlt und nur in der— 
jenigen Gemeinde findet die öffentliche Sittlichkeit ihren wahren polizeilichen Schutz, 
wo die Gemeindevorstehung von einem richtigen sittlichen Verständnisse und Ge— 
fühle geleitet die rechte Mitte zwischen zu viel und zu wenig trifft und nur gegen 
den wirklichen Frevel an der öffentlichen guten Sitte, gegen diesen aber auch mit 
ganzer Strenge die Waffe ergreift. 
Die Sittlichkeitspolizei theilt sich in die nachstehenden acht Abzweigungen in 
Bezug auf: 1. Religion, 2. Ehe und Familie, 3. geschlechtliche Sitt—⸗ 
lichkeit, 4. Gast- und Cafshäuser, 5. öffentliche Productionen, 6. öffent—
	        
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