Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

36 Der zweite Abschnitt der Jugendgeschichte. 
finsteren Gesichter, deine bizarren Urtheile, die wie Orakelsprüche von 
dir ausgesprochen werden, ohne daß man etwas dagegen einwenden 
dürfte, mich drücken, und mehr noch der ewige Kampf in meinem 
Innern, mit dem ich alles, was ich. dagegen einwenden möchte, 
gewaltsam niederdrücke, um nur nicht zu neuem Streit Anlaß zu geben." 
„Höre also, auf welchem Fuß ich mit dir sein will. Du bist in deinem 
Logis zu Hause; in meinem bist du ein Gast, der immer freundlich 
empfangen wird, sich aber in keine häusliche Einrichtung mischt. Um 
diese bekümmerst du dich gar nicht, ich dulde keine Einrede, weil es 
mich verdrießlich macht und nichts hilft; an meinen Gesellschaftstagen 
kannst du Abends bei mir essen, wenn du dich dabei des leidigen 
Disputirens, das mich auch verdrießlich macht, wie auch alles Lamen- 
tirens über die dumme Welt und das menschliche Elend enthalten 
willst, weil mir das immer eine schlechte Nacht und üble Träume macht, 
und ich gern gut schlafe." 
Es giebt kein Bild, das der Frau Schopenhauer so sprechend 
ähnlich sein könnte, wie dieser Brief an ihren Sohn im Augenblick, 
wo derselbe in ihre Nähe kommt. Scharf und schneidend ist der Ton, 
den sie gegen ihn anschlägt; es rührt sich kein Laut mütterlicher Zärt 
lichkeit und Liebe, jedes Wort sucht ihn fernzuhalten und abzuwehren, 
um die Behaglichkeit und Ruhe ihres eigenen Daseins zu sichern und 
ihm gegenüber gleichsam zu ummauern. Jedes Wort beweist, daß sie 
ihn nicht liebt. Und auf der andern Seite ist es sehr erklärlich, daß 
eine Frau, wie Johanna Schopenhauer, die mit Goethe und Wieland 
auf freundschaftlichem Fuße verkehrt, der Fernow sich geistesverwandt 
fühlt, die von einer Reihe bedeutender Männer sich umgeben und ge 
feiert sieht, die bald auch als Schriftstellerin Glück macht, nicht geneigt 
sein kann, von ihrem Sohne, der das Gymnasium besucht', sich meistern 
und tadeln zu lassen. Diese beiden Personen, von Natur einander die 
nächsten, sind und bleiben zwei, wie der Sohn sagte. 
Mündig und selbständig, kehrt er nach Jahren zeitweiliger Trennung 
im November 1813 für längere Zeit in das mütterliche Haus zurück. 
Als er der Mutter seine Promotionsschrift „über die vierfache Wurzel" 
u. s. w. überreichte, hatte sie für ihn keinen Glückwunsch, sondern eine 
Kränkung in Bereitschaft: „Das ist wohl etwas für Apotheker!" Ver 
letzt erwiderte der Sohn: „Mau wird meine Schrift noch lesen, wenn 
von der deinigen kaum mehr ein Exemplar in einer Rumpelkammer 
zu finden ist". Die Mutter replicirte: „Von der deinigen wird noch
	        
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