Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Die Kritik der Darstellungsart. 
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geboren und ist dessen deutlichster Ausdruck. Daher kann man nicht 
schön schreiben, wenn man einen fremden Stil nachahmt; dann zeigt 
man kein eigenes Gesicht, sondern eine Maske. Hätte Schopenhauer 
nur lateinisch geschrieben, so würde er seine litterarische Rolle in der 
Seneca-Maske gespielt haben, aber kein origineller und ausgezeichneter 
Schriftsteller gewesen sein. Jede affectirte, pretiöse, gekünstelte und 
gesuchte Schreibart ist eine Verstellung der eigenen Gesichtszüge, gleich 
sam ein Gesichterschneiden, um sich ein air zu geben: das ist ein stili 
stisches Maskenspiel, dem wir nur zu oft begegnen. 
Was die Deutlichkeit beeinträchtigt, widerstreitet der Schönheit, 
wie alles weitläufige und breite Gerede, alle unbestimmte, matte und 
charakterlose Bezeichnung; die Deutlichkeit fordert und erzeugt die Kürze, 
Energie und Prägnanz des Ausdrucks, sie bedarf den bündigen, kraft- 
und bedeutungsvollen, entschiedenen Ausdruck, den concreten und an 
schaulichen, zu dessen Ausübung auch die Beispiele, Bilder und Gleich 
nisse gehören. In der schriftlichen Darstellung soll jeder Gedanke so einfach, 
schlicht und verständlich ausgeprägt werden, als ob es sich um eine In 
schrift handelt: daher der schöne Stil etwas vom Lapidarstil behalten und 
haben soll. Eben darin unterscheidet sich die schriftliche Rede von der 
mündlichen. Aus diesem Grunde kann und soll man nicht so schreiben, 
wie man spricht; die schriftliche Rede kann und soll so natürlich und 
naiv sein, wie die mündliche von guter Art, aber nicht improvisirt, 
wie diese. Alles Geschwätzige ist in der schriftlichen Darstellung vom 
Uebel. Um schön zu schreiben, muß man klar und geordnet denken: 
„man muß so denken, wie die Architekten bauen, nicht so, wie man 
Domino spielt". 
Diese Grundsätze, die auf keine Schreibart so genau und voll 
kommen passen, wie auf den philosophischen Stil, hat Schopenhauer 
ausgesprochen und in seinen Werken erfüllt. Seine eigenste Art zu 
denken und zu erkennen hat er in den Briefen an Goethe treu und 
lebendig geschildert; er hat so geschrieben, wie er gedacht hat, und er 
hat in einer seiner letzten Abhandlungen sehr gut und treffend aus 
einandergesetzt, wie er geschrieben hat. Was diese seine Geistesart 
angeht, so zeigen sich Theorie und Praxis auch hier in einer seltenen 
und schönen Uebereinstimmung.
	        
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