Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Die Kritik der Lehre Schopenhauers. 
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- Ebendas. Buch II. Cap. VIII. S. 278-279. 
scala, und zwar die deutlichsten und ausgeprägtesten von allen? Dieses 
Stufenreich ist die Geschichte der Menschheit, die Weltgeschichte, 
über deren Werth und Bedeutung die Lehre Schopenhauers mit sich 
selbst uneinig ist und streitet. Am liebsten möchte sie mit der Mensch 
heit das Chaos wieder beginnen lassen und nichts anderes in ihr sehen 
als die dunkle Masse, in der es nur einzelne wenige selbstleuchtende 
Punkte giebt, darunter ihr eigenes Gestirn eines der hellsten. Ich 
glaube, daß diese Anschauung dem Philosophen persönlich die angenehmste 
war, weil er sich als Pessimist und als Genie dadurch gehoben fühlte, 
wenn er die Weltgeschichte tief unter sich sah, chaotisch und dunkel. In 
der Geschichte der Menschheit soll es keine Willensobjectivationen mehr 
geben, keine Weltstufen, keine Ideen, ausgenommen die Genies, die sich 
als Fremdlinge zu dem Geschlechte der Bipedes verirrt haben. 
Indessen mußte er dieser beliebten Anschauung auf Schritt und 
Tritt widersprechen. Die erste dargelegte Antinomie traf den Begriff 
der Geschichte selbst, die als endlose Ansammlung von lauter Einzel 
begebenheiten für werthlos erachtet und zugleich als das vernünftige 
Selbstbewußtsein der Menschheit erkannt und gewürdigt wurde; die 
zweite Antinomie besteht zwischen der Lehre vom Stufenreich der Welt 
und der vom Kampf um das Dasein und dem geschichtlichen Hergang 
der Dinge: es ist, kurzgesagt, der Widerstreit zwischen dem Begriff der 
Entwicklung und dem der Geschichte. Die Thesis erklärt: die 
Stufen der Welt sind die Objectivationen des Willens und als solche 
unvergängliche Typen, ewige zeitlose Ideen; die Antithesis erklärt: die 
Stufenordnung der Welt bildet eine Zeitfolge, denn die höheren Stufen 
entstehen durch den Streit der Kräfte aus den niederen? 
3. Die Welt als Erkenntnißsystem. 
1. Ueber das Endziel der Weltentwicklung hat die Lehre Schopen 
hauers keinen Zweifel gelassen, sondern stets in aller Bündigkeit er 
klärt, daß der Sinn und das Thema der Welt die Selbsterkenntniß 
des Willens sei. Da nun die Welt die Erscheinung des Willens 
ist, dieser aber grundlos, darum erkenntnißlos und blind, so tritt erst 
mit dem animalischen Intellekt und Bewußtsein die Epoche der Er 
kenntniß ein und erst mit der menschlichen Vernunft die der Selbst 
erkenntniß. Kein Object ohne Subject. Ohne vorstellendes Wesen
	        
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