Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

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Die Kritik der Lehre Schopenhauers. 
i S. oben Buch II. Cap. IX. S. 283-284. 
die höheren Arten des Daseins, die aufwärtsstrebenden Stufen der 
Welt hervorgehen, das Untüchtige geht unter, das Tüchtige siegt und 
gewinnt die Oberhand und die Herrschaft: eben darin besteht die 
„Aristokratie der Natur", welche vornehmer, mächtiger und dauer 
hafter ist, als jede andere. Er hätte darum die Welt und ihre Kämpfe 
nicht so schrecklich und verdammlich finden sollen, da er ja die darauf 
gegründete Aristokratie der Natur, zu welcher in der allerobersten Reihe 
die Genies gehören, nicht genug Preisen konnte. Er selbst hat sich nicht 
gescheut, alles, was ihm feindlich oder gegnerisch erschien, unaufhörlich 
zu bekämpfen, auch wohl zu beschimpfen, um es so schnell wie möglich 
zu entwerthen und aus der Welt zu schaffen. Er Hütte sich nicht so 
sehr über den Spinoza entsetzen sollen, weil dieser seine Lehre vom 
Naturrecht auf die Aristokratie der Natur gegründet hat: Macht ist 
Recht, Ohnmacht ist Unrecht. Gilt etwas anderes im Streit der 
Kräfte, im Kampf ums Dasein? Dieser ist die Art und Weise, wie 
die Natur ihre Berufenen auswählt und die Selection trifft, aus 
welcher ihre Aristokratie hervorgeht. In dieser Lehre liegt die Parallele 
zwischen Schopenhauer und Darwin. Auch hätte jener seine vorher 
erwähnten Bedenken wider Delamarck sich aus der eigenen Lehre selbst 
widerlegen können: was liegt daran, wenn zahllose Individuen um 
kommen, weil sie den Kampf um die Bedingungen des Daseins nicht 
bestehen können? 
Freilich hat Schopenhauer auch gelehrt, daß die Kraft, gleich dem 
Willen, grundlos und unentstanden sei, daß zwar ihre Erscheinungs 
formen durch die Umstände, unter denen sie hervortreten, bedingt sind, 
nicht aber sie selbst; er hat die Einheit und Ewigkeit der Kraft ge 
lehrt, womit es sich keineswegs verträgt, daß die höheren Kräfte aus 
den niederen entstehen, indem sie dieselben überwinden, bemeistern 
und zu ihren Werkzeugen herabsetzen? 
Wenn es aber die siegreichen Kräfte sind, aus denen die Stufen 
leiter der Welt sich aufbaut, so ist nicht einzusehen, warum dieselbe 
mit der Thierheit enden und nicht in der Menschheit ihren Weg nach 
aufwärts fortsetzen und ein neues, höheres Stufenreich bilden soll. Ist 
der Streit der Völker nicht auch Kampf ums Dasein, und zwar der 
großartigste und furchtbarste von allen? Sind die Weltkriege und die 
Weltreiche, die daraus hervorgegangen sind, nicht auch Stufen der Welt
	        
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