Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

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Die Kritik der Lehre Schopenhauers. 
Dieser aber, wie wir wissen, verwarf auch seinerseits alle historische 
Philosophie, alle Vermischung der Metaphysik mit der Geschichte und zeit 
lichen Entwicklung der Dinge, welche letztere nur Erscheinung und Vor 
stellung sei; deshalb nahm er die Weltstufen nicht als zeitlich entstanden 
oder geschichtlich geworden, sondern als ewig gewollt und nannte diese Ob- 
jectivationen des Willens PlatonischeJdeen,die immer sind, nie wechseln, 
gleichsam fest und unbeweglich stehen mitten im Strom der einzelnen Dinge, 
die nie sind, sondern unaufhörlich entstehen und vergehen. So wechseln 
unaufhörlich die Thier-Individuen, während die Thierarten oder Species 
ewig und metaphysisch sind, unabhängig von Zeit und Raum, zeit 
los und geschichtlos. Der Hund, wie er heute in seiner Art ist und 
vor uns steht, so war er vor Jahrtausenden und wird so nach Jahr 
tausenden sein. 
Delamarck habe die rühmenswerthe Einsicht gehabt, daß der Thier 
leib gewollt sei und der Bau desselben sich nach dem Willen des Thieres 
zu dieser bestimmten Lebensart richte, aber dieser große Zoologe sei 
in dem unbegreiflichen Irrthume befangen gewesen, daß die zu der 
bestimmten Lebensart nothwendigen Organe, wie z. B. die Hörner, 
die Schwimmhäute, die langen Beine und Hälse der Sumpfvögel u. s. f., 
allmählich entstanden seien, im Laufe der Zeit, durch fortgesetzte 
Generationen, als ob die Thiere, da sie ohne jene Organe nicht be 
stehen konnten, nicht längst hätten zu Grunde gehen müssen! Er 
tadelt den Delamarck, daß er die Thierspecies, statt dieselben platonisch 
aufzufassen, genetisch und historisch entwickelt habe? 
Hieraus erklärt sich auch, warum Schopenhauer, der Goethes Genie 
und seine Farbenlehre immer so hoch gepriesen hat, von dessen morpho 
logischen Ansichten, wie der Pflanzenmetamorphose und seiner Entdeckung 
der Entstehungsart des Schädels aus Wirbelknochen — gerade denjenigen 
Ideen Goethes, welche die Naturforscher rühmen — mit einer sichtlichen 
und auffallenden Herabsetzung redet. Eine von Caspar Friedrich Wolf 
in seiner „Neuen Theorie der Generation" hingeworfene Idee habe 
Goethe zum Thema einer eigenen neuen Lehre unter dem hyperbolischen 
Titel „Pflanzenmetamorphose" gemacht und in einem pomphaften und 
schwierigen Vortrage dargestellt!^ 
1 Ueber den Willen in der Natur. (4. Aust. 1878.) Vergleichende Ana 
tomie. S. 43. - - Die Welt als Wille u. s. f. Bd. II. Cap. IV. S. 58. 
Cap. XXVI. S. 880.
	        
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