Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Das Stufenreich der Künste. 
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Leute bewegen, ob Bauern und Bürger oder ob Achilles und Aga- 
memnon mit einander streiten. „Die Musik", sagt Schopenhauer 
„drückt daher nicht diese oder jene einzelne und bestimmte Freude, 
diese oder jene Betrübniß, oder Schmerz, oder Entsetzen, oder Jubel, oder 
Lustigkeit, oder Gemütsruhe aus, sondern die Freude, die Betrübniß, 
den Schmerz, das Entsetzen, den Jubel, die Lustigkeit, die Gemüths 
ruhe selbst, gewissermaßen in adstraeto, das Wesentliche derselben, 
ohne alles Beiwerk, also auch ohne die Motive dazu. Dennoch ver 
stehen wir sie in dieser abgezogenen Quintessenz vollkommen." 1 
In der Vergleichung mit und im Gegensatze zu der Plastik, deren 
Thema die menschliche Schönheit und Grazie, darum der nackte Körper 
war, könnte man von der Musik sagen, daß sie die nackten Afsecte 
und Gefühle abbilde, bevor sich dieselben in Handlungen verkörpern 
und in Begriffen fixiren. Darum ist die Musik nicht bloß die tiefste 
und ergreifendste, sondern auch die wahrste aller Sprachen: sie würde 
jene nicht sein, wenn sie diese nicht wäre. Sie sieht, gleich Gott, nur 
die Herzen. Wie sie die Vorgänge des Willens unmittelbar abbildet, 
erscheinen dieselben in ihrer rein menschlichen, allgemeinsten Form, 
zugleich aber in unverkennbarster Deutlichkeit und Bestimmtheit. Unsere 
Willenserregungen sind gleichsam «nniversatia ante rem»; wenn sie 
sich zu Handlungen gestalten, so sind sie «universalia in re»; wenn 
sie in Begriffen fixirt und ausgesprochen werden, so sind sie «universalia 
post rem». In der ersten Form bilden sie das Thema der Musik, 
in der zweiten das der dramatischen Poesie, in der dritten das der 
Logik? 
Da die Musik nichts mit den Begriffen oder abstracten Vor 
stellungen zu thun hat, die ja so weit von ihrem Elemente entfernt 
sind, so liegt auch das Lächerliche ganz außerhalb ihrer Sphäre, 
denn dieses besteht nach der uns bekannten Lehre Schopenhauers in 
der Jncongruenz oder dem Contrast zwischen Anschauung und Begriff? 
Daher giebt es so wenig eine lächerliche Musik, als lächerliche 
Stimmungen oder Willenserregungen. Der Wille ist immer ernst, 
er ist es dann am meisten, wenn er mit sich selbst uneinig ist und 
contrastirt. Das Lächerliche steckt nicht in den Tönen, sondern im 
Text, es wird von hier auf die dazu gehörige, den lächerlichen Vor- 
* Ebendas. I. § 52. S. 309. - 2 Ebendas. S. 31 l. - - S. oben Cap. V. 
S. 225 flgd.
	        
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