Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Das Stufenreich der Künste. 
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* Di- Welt als Wille u. s. f. II. Cap. XXXIX. S. 520-522. - - Ebendas. 
II. S. 522 ff. — - Ebendas. I. § 52. S. 307. 
gängig also besteht die Musik in einem steten Wechsel von mehr oder 
minder beunruhigenden, d. i. Verlangen erregenden Accorden mit mehr 
oder minder beruhigenden, d. h. befriedigenden; eben wie das Leben 
des Herzens (der Wille) ein steter Wechsel von größerer oder geringerer 
Beunruhigung, durch Wunsch und Furcht, mit eben so verschieden 
gemessener Beruhigung ist. Demgemäß besteht die harmonische Fort- 
schreitung in der kunstgerechten Abwechselung der Dissonanz und Kon 
sonanz." 1 
Es giebt zwei Grundaccorde, auf welche alle die anderen zurück 
zuführen sind: diese sind der dissonante Septimenaccord und der har 
monische Dreiklang. Und es giebt zwei Grundstimmungen des Ge 
müths, auf welche alle übrigen sich zurückführen lassen: die heitere 
oder wenigstens rüstige und die betrübte oder doch gehemmte und be 
klommene. Dem entsprechend hat die Musik zwei allgemeine Tonarten, 
Dur und Moll, und muß sich stets in einer von beiden befinden. 
Und wie tief dieselbe in dem Wesen der Dinge und des Menschen 
gegründet ist, läßt sich daraus erkennen, daß die Moll-Tonart, ohne 
alle physische oder conventionelle Gründe, ein unverkennbares Zeichen 
des Schmerzes ist und bei Völkern, die ein schweres und gedrücktes 
Leben führen, wie die Russen, vorherrscht. ^ 
Das menschliche Wollen, abgesehen von allen in der Besonderheit 
der Charaktere und Umstände gelegenen Bedingungen, ist Streben und 
Verlangen, Begehren und Erreichen, Wünschen und Befriedigtwerden, 
worauf neue Wünsche, Hemmungen und Befriedigungen folgen. Wenn 
die Wünsche ausbleiben, so entsteht das leere, monotone Sehnen 
(languor); wenn die Befriedigungen ausbleiben oder zu lange auf sich 
warten lassen, so geräth der Wille in den Zustand des Leidens. Was 
wir Glück und Wohlsein nennen, ist im Wesentlichen der schnelle 
Uebergang vom Wunsch zur Befriedigung und von dieser zu neuem 
Wunsch; was wir Leiden nennen, sind im Wesentlichen ersehnte und 
nicht erreichte oder verzögerte und erschwerte Befriedigungen, der weite, 
durch viele Hemmungen und Abirrungen unterbrochene Weg zum Ziel? 
Dem entsprechen die musikalischen Bewegungsarten. „Die kürzen 
faßlichen Sätze rascher Tanzmusik scheinen nur von leicht zu erreichendem 
gemeinem Glück zu reden; dagegen das Allegro maestoso, in großen 
Sätzen, langen Gängen, weiten Abirrungen, ein größeres, edleres
	        
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