Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

18 Biographische Nachrichten. Das Zeitalter Schopenhauers. 
Seine Menschenscheu und sein darauf gegründetes Mißtrauen mögen ihm 
bisweilen zu einer nützlichen Schutzwehr gedient haben, aber sie haben ihm 
auch schlimme Früchte getragen. Eine der schlimmsten lag darin, daß 
dieser geniale Denker, der dunkle und labyrinthische Gegenden der mensch 
lichen Natur zu erleuchten gewußt hat, in concreten und praktischen Fällen 
oft eine erstaunliche, seinen eigensten und theuersten Interessen verderbliche 
Menschenunkenntniß an den Tag gelegt hat, denn grundloses Mißtrauen 
paart sich leicht mit grundlosem Vertrauen, und maßlose Affecte sind vor 
dem Richterstuhle der Vernunft grundlos. Der Ausspruch des Herzogs 
im Goetheschen Tasso paßte auf ihn, wie bestellt: 
Die Menschen fürchtet nur, wer sie nicht kennt, 
Und wer sie meidet, wird sie bald verkennen. 
Wenn er solche Worte, wie die angeführten, in seinem gefeierten 
Dichter las, so mußte die innere Stimme ihm zurufen: «de te fabula 
narratur!» 
Nehmen wir nun, daß aus der ihm angeborenen Willensart 
eine Lebensanschauung und Weltansicht erwuchs, so konnte dieselbe nicht 
anders als schwermüthig ausfallen, sich düster färben und pessimistisch 
gestalten. Freilich gehörte dazu das Bedürfniß nach einer Weltansicht, 
der mächtige Drang nach Vorstellungen und Ideen, der Vergrößerungs 
spiegel der Phantasie; sonst entstand nur ein elender, von den unseligsten 
Affecten gequälter, von seinen Wahnideen bis zur Verdunkelung be 
herrschter Mensch! 
3. Das mütterliche Erbtheil. 
Ein solcher Jdeendurst, eine solche intellectuelle Triebkraft herrschte 
wirklich in dem jungen Arthur, und zwar von Anbeginn. Dieser 
zweite Grundzug seines Wesens war das Erbtheil seiner Mutter. 
Johanna Schopenhauer, wie wir sie schon kennen gelernt haben, war 
eine lebensfrohe, heitere, der Sonnenwelt zugewendete Natur, die vor 
allem Pessimismus zurückwich, als ob sie ein Gifthauch anwehte. Es 
lagen dichterische und künstlerische Keime in ihr bereit, die nur auf 
günstige Bedingungen harrten, um sich schnell und leicht zu entfalten. 
Sie ist eine anmuthige und vielgelesene Schriftstellerin geworden und 
hat ihre intellectuelle Begabung auf ihre beiden Kinder vererbt. Adele 
hat sich als Blumenmalerin ausgezeichnet, Märchen gedichtet und, was 
mehr als beides sagen will, sich in das Gebiet der litterarischen und 
künstlerischen Interessen dergestalt eingelebt, daß sie Goethen bei seinen 
Arbeiten gute Dienste leisten konnte.
	        
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