Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

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Die Anschauung der Ideen. 
daß die Ideen einheitlich und ewig seien, daß jede in ihrer Art eine 
ewige Einheit bilde, daß alle insgesammt weder entstehen noch vergehen, 
während die einzelnen sinnlichen Dinge „immer werden, aber nie sind". 
Hieraus erkannte Schopenhauer, daß zwischen dem Kantischen Dinge an 
sich und der Platonischen Idee zwar keine Identität, wohl aber eine 
„Verwandtschaft" bestehe, die ans eine gewisse und wesentliche Ueber 
einstimmung zwischen Plato und Kant hinweise, nur werde dieselbe 
völlig verkannt und grundfalsch, ja widersinnig gedeutet, wenn man, 
wie Bouterweck gethan, die Platonischen Ideen mit den Kantischen 
Erkenntnißformen a priori vergleichen wollte. Vielmehr wenn von dem 
Dinge an sich eine Vorstellung möglich sei, was Kant verneint habe, — 
er hielt das Räthsel für unlösbar — so könne diese Vorstellung nur in 
dem bestehen, was Plato Ideen genannt, Wort und Sache richtig 
verstanden. Die Idee im Sinne Platos sei die Vorstellung des Dinges 
an sich. 
Dies war der zweite Hauptpunkt, der sich im Geiste Schopen 
hauers feststellte und ihm aus der Vereinigung jener beiden Philosophen 
und ihrer Grundwahrheiten hervorging. Diesen Punkt habe ich im 
vorigen Buch, wo von der Entstehung der Lehre Schopenhauers bio 
graphisch die Rede war, die Synthese zwischen Kant und Plato ge 
nannt. Unerschütterlich fest überzeugt von der Wahrheit der Kantischen 
Lehre in Ansehung des Dinges an sich und seiner gänzlichen Ver 
schiedenheit von den Erscheinungen, — er nannte diese Verschiedenheit 
die totale Diversität des Realen und Idealen, — unerschütterlich fest 
überzeugt von der Wahrheit der Platonischen Lehre in Ansehung der 
Ideen, mußte Schopenhauer die Vereinigung dieser beiden Wahrheiten 
zum Zielpunkte seiner eigenen Lehre machen.^ 
Da nun sowohl die Ideen als auch das Ding an sich, wie Plato und 
Kant übereinstimmend lehrten, völlig unabhängig von dem Satze des 
Grundeß sind, so mußte Schopenhauer, um festzustellen, was das Ding 
an sich nicht sei, den Satz vom Grunde in seinem ganzen Umfange 
und allen seinen Arten genau untersuchen und bis in seine Wurzeln 
verfolgen. So entstand die Schrift über „Die vierfache Wurzel des 
Satzes vom zureichenden Grunde". 
Schon hier stand es fest, daß der Wille von dem Satze des Grundes, 
als welcher nur die Objecte beherrsche, völlig unabhängig und, wie 
- Vgl. oben Buch I. Cap. II. S. 28flgd. Cap. III. S. 47ff.
	        
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