Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Der Primat des Willens. 
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sind, nämlich des Willens. Wille und Jntellect, Ding cm sich und 
Erscheinung, Reales und Ideales sind grundverschieden, wie Kant nach 
gewiesen und festgestellt hat. Nichts ist verkehrter, als das Reale und 
Ideale zu identificiren, d. h. die Vernunft für das Urwesen, das Denken 
für das Ding an sich, das Secundärste für das Primärste zu erklären. 
Diese Grundverkehrtheit, die Schopenhauer als „Windbeutelei" zu be 
zeichnen pflegt, ist nach ihm das grundfalsche Hauptthema der nach- 
kantischen Philosophie gewesen? 
II. Der Primat des Willens. 
1. Der Jntellect als dessen Werkzeug. 
Daß man den Jntellect aus einer Function, die er ist, zu einer 
Person gemacht hat, die er nicht ist, zu einem mythologischen Wesen 
Namens Seele, dessen Beschreibung als „rationale Seelenlehre" in 
der Metaphysik eine Hauptrolle zu spielen gehabt: darin sah Schopen 
hauer das npüxov <]>sö§og, woraus eine Reihe fundanientaler Irrthümer 
hervorgegangen sei. Der erste und nächste war die gänzliche Ver 
kennung, ja grundverkehrte Auffassung, wie Jntellect und Wille sich 
zu einander verhalten. Nun mußte der Wille für die Function des 
Jntellects, das Wollen für die Folge des Erkennens gelten, und es 
hieß: „wie der Verstand, so der Wille": also ein schwacher Verstand 
ein schwacher Wille, ein starker Verstand ein starker Wille, geringer 
Verstand geringer Wille, gar kein Verstand gar kein Wille. Zwar 
scheiterten diese Sätze sämmtlich an den ersten besten Erfahrungen, wenn 
man nur die Augen öffnen und die Thatsachen sehen wollte; aber 
das Dogma herrschte. Es giebt Menschen und Thiere, die bei einer 
sehr geringen Erkenntnißsphäre und einem sehr schwachen Verstände 
oft einen sehr heftigen Willen zeigen, und es giebt umgekehrt Menschen 
von vielem Verstände und sehr schwachem Willen. 
Wenn man aber das Verhältniß dieser beiden Grundfactoren des 
inneren Menschenlebens nicht richtig erkennt, vielmehr grundfalsch auf 
faßt, wie will man zu einer echten Menschenkenntniß gelangen? Das 
Dogma der rationalen Psychologie hat auch die empirische verdorben 
und auf falsche Wege geführt. Um nun seine neue Lehre von dem 
primären Charakter des Willens und dem secundären des Jntellects 
auf das menschliche Seelenleben anzuwenden und eine Reihe wichtiger 
Ebendas. S. 90—94.
	        
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