Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Der Primat des Willens. 
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und a priori erkennbar: daher die Evidenz und Faßlichkeit der 
reinen Mathematik und Logik, der Arithmetik, Geometrie und Phoro- 
nomic. Sobald aber die Kraft auftritt und sich rührt, kommt in die Er 
scheinungen etwas von ihrer bloßen Form Grundverschiedenes, etwas 
nicht a priori Erkennbares, sondern Empirisches, a posteriori Gegebenes, 
und die Sonderung zwischen Ursachen und Wirkungen beginnt. 
Auf der niedrigsten Stufe der Dinge, im Zusammenstoß der Körper, 
erscheinen beide am gleichartigsten, sie sind es schon weniger in den 
Wirkungen der Schwere und der Elasticität, noch weniger in denen der 
Wärme: die Ursache ist Erwärmung, die Wirkungen sind Ausdehnung, 
Flüssigwerden, Verflüchtigung, Gefrieren, Schmelzen, Krystallisirung 
der Körper u. s. f. In der Wirksamkeit der chemischen Kräfte herrscht 
ein geheimnißvolles Band zwischen Ursachen und Wirkungen, zwischen 
der sogenannten Wahlverwandtschaft der Körper auf der einen und 
ihren Verbindungen und Trennungen auf der andern Seite. Wie 
verschiedenartig sind in der Wirksamkeit der elektrischen Kräfte die 
Ursachen und Wirkungen: die Reibung des Glases, die Aufschichtung 
der Platten in der Voltaschen Säule und die Wirkungen, die daraus 
erfolgen! 
Je weiter wir in der Stufenleiter der Dinge aufsteigen, von 
den unorganischen zu den organischen, von diesen zu den erkennenden 
Wesen, um so gesonderter, ungleichartiger und ungleicher, mit einem 
Worte heterogener zeigen sich Ursachen und Wirkungen. Man vergleiche 
das Samenkorn und den Baum, der daraus erwächst, das Erdreich und 
den Pflanzensaft, das unsichtbare Motiv und die sichtbare Bewegung 
des thierischen Leibes, die tief verborgenen Gedanken des Menschen 
und seine im Lichte der Welt erscheinenden Handlungen. Hier werden 
zuletzt die Ursachen so unsichtbar, daß die Meinung entstehen konnte: 
es seien gar keine vorhanden, und die menschlichen Handlungen seien 
völlig indeterminirt und frei. 
Unter der Ucberschrift „Pflanzenphysiologie" hatte Schopenhauer 
diese zunehmende Sonderung schon hervorgehoben, die dann unter der 
Ueberschrift „Physische Astronomie" das eigentliche Thema der Aus 
einandersetzung werden sollte. Indem er sich auf die Aussprüche be 
rühmter Naturforscher berief, wie Cnvier, Decandolle, Dutrochet, wollte 
er auch in dem Leben der Pflanzen die Aeußerungen und Erscheinungen 
des Willens nachweisen, insbesondere in ihren sogenannten „spontanen 
Bewegungen". Daß sich stets die Wurzel nach unten, der Stengel
	        
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