Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Der Wille in der Natur. 
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Fischer, Gesch. d. Philos. IX. 2. Ausl. 9t. St. 
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Herrschaft der Jnstincte und die Werke der Kunsttriebe weniger in der 
höheren Thierwelt, als vielmehr in der Classe der niederen Thiere, 
namentlich der Jnsecten, statthaben: ihre mustergültigsten und erstaun 
lichsten Beispiele sind die baulichen und gesellschaftlichen Einrichtungen 
der Ameisen und der Bienen. Da das sympathische Nervensystem mit 
seinen kleinen Centris, den Nervenknoten oder Ganglien, die organischen 
Functionen lenkt und ihnen vorsteht, diese aber in dem Walten der 
Jnstincte und Kunsttriebe fortwirken, so erscheint auch der Bau und die 
Bildung des Jnsectenleibes dieser ihrer Lebens- und Wirkungsart ganz 
angemessen. 
Die großen Ameisen- und Bienenstaaten, bei aller Verschiedenheit 
ihrer Einrichtungen, zeigen uns einen Gesammtorganismus, in welchem 
die einzelnen Individuen den Zwecken des Ganzen gemäß ihre bestimmten 
Functionen ausüben, wie die Glieder eines Leibes, der ein Individuum 
für sich ausmacht. In dem Bienenstaat fällt der Königin allein das 
Geschäft der Eierlegung zu, den Drohnen das der Befruchtung, den 
Arbeitsbienen die Geschäfte der Einsammlung und Verarbeitung der 
Nahrungsstoffe, der Behausung der Vorräthe, der Ernährung und Er 
haltung der Brut u. s. f. 
Schopenhauer hat die Jnsecten, weil sie, von blinden Jnstincten 
geleitet, das Zukünftige anticipiren und zweckmäßige Werke ausführen, 
„natürliche Somnambülen" genannt; er hat die visio in distans des 
magnetischen Hellsehens mit der actio in distans der thierischen Kunst 
triebe verglichen und bei den blinden Jnstincten, die das Zukünftige 
anticipiren, an jene unerklärlichen Vorgefühle einer völlig unbekannten 
Gefahr erinnert, welche Menschen bisweilen plötzlich ergreifen und vor 
dem Tode bewahren. 
Alle diese wohlbekannten Thatsachen wären unmöglich, wenn die 
Zeit ein Ding an sich wäre, der ungeheure Fluß, in dem alles steckt. 
Da sie aber eine intellectuelle Anschauungsform ist und der Wille all 
gegenwärtig und unabhängig von aller Zeit, so giebt es für diesen 
keine Scheidewände der Zeit und des Raums.
	        
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