Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Der Wille in der Natur. 
2SS 
‘ Die Welt als Wille u. s. f. Bd. II. Cap. XXVI. S. 379. 
den Gebrauch, der von ihm gemacht wird: «quod natum est, id procreat 
usum». Nach Aristoteles dagegen macht die Natur die Werkzeuge 
um des Werkes willen, das sie ausführen sollen, nicht aber umgekehrt: 
«t<x S’opyava xpo? tö epyov ch tpüat? 7ro'.et, aXX’ ou tb spjov Jtpöc 
Ta opY«va». 
In der richtigen Fragestellung liegt schon die Entscheidung, die 
dem Aristoteles zustimmt. Nicht weil das Thier so organisirt ist, 
darum lebt es so, sondern umgekehrt: weil es so lebt und leben will, 
darum ist es so organisirt. Concret zu reden: der Vogel stiegt nicht, 
weil er Flügel hat, sondern er hat Flügel, weil er fliegen will; der 
Stier stößt nicht, weil er Hörner hat, sondern er hat Hörner, weil 
er stoßen will; die jungen Böcke, Widder und Kälber stoßen, ehe sie 
Hörner haben, wie der junge Eber um sich haut, ehe er Hauer hat. 
Die Sumpfvögel wollen waten und in den Sümpfen oder am Rande 
der Gewässer ihre Nahrung erbeuten: deshalb haben sie ihre langen 
Beine, Hülse und Schnäbel, die letzteren stärker oder schwächer, je 
nachdem die zu zermalmende Beute Fische, Frösche oder Würmer sind. 
Die Eule will des Nachts auf Raub ausfliegen: deshalb hat sie ihre 
große Pupille, ihr weiches Gefieder, ihren geräuschlosen Flug. Der 
Ameisenbär will die Termitennester aufreißen und dort seine Nahrung 
holen: deshalb hat er Krallen an seinen Füßen, ein zahnloses Maul, 
eine cylinderförniige Schnauze, eine lange, fadenförmige, mit klebrigem 
Schleim bedeckte Zunge, um sie in das Nest hineinzustecken und mit 
Jnsecten bedeckt wieder herauszuziehen. Die Giraffe will vom Laub 
hoher Bäume und vom Wasser leben: daher die hohen Beine und 
der langgestreckte Hals, die sie zum größten aller Thiere machen. Und 
das colossalste aller Thiere, der Elephant mit seiner Körpermasse, 
seinem schweren Kopf, den ungeheuren Stoßzähnen, dem kurzen Hals, 
bedarf eines leichtbeweglichen, nach allen Richtungen hin reichenden Or 
gans: deshalb hat er seinen Rüssel. „Wir müssen einsehen, daß der 
selbe Wille, welcher den Elephantenrüssel nach einem Gegenstände aus 
streckt, es auch ist, der ihn hervorgetrieben und gestaltet hat, Gegen 
stände anticipirend"? 
Wie die Lebensweise des Thieres, so sind seine Organe. Die 
Lebensweise ist bestimmt durch die Nahrungsweise, diese durch die 
Art, den Aufenthaltsort und den Fang der Beute. Die Raubthiere
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.