Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Der erste Abschnitt seiner Jugendgeschichte. 11 
Herrn, seinen Hausstand: sie war neunzehn alt, klein, anmuthig, nicht 
schön, er noch einmal so alt, hochgewachsen und häßlich mit seinem 
breiten Gesicht, der aufwärtsgestülpten Nase und dem hervorspringenden 
Kinn. Die junge Frau hatte den ersten schmerzlichen Liebestraum 
bereits erlebt, aber sie war nicht empfindsam oder gar zur Schwermuth 
geneigt, sondern weltdurstig, phantasievoll und zu heiterem, geselligem 
Lebensgenüsse wie geschaffen. Gewiß sind es diese Eigenschaften gewesen, 
welche die Wahl des ernsthaften Handelsherrn auf sie gelenkt hatten. 
Ohne erotische Zuneigung, aber auch ohne jedes Bedenken hatte sie 
die Hand des so viel älteren, charakterfesten und angesehenen Mannes 
ergriffen, der ihr hohe Achtung einflößte und ein glänzenderes Loos, 
als sie erwarten konnte, zu bieten hatte. An seiner Seite konnte sie 
nun die Welt kennen leinen und genießen. 
In dem Hause Schopenhauer herrschte ein düsterer, in dem Hause 
Trosiener ein lebensfroher Geist. Einen Zug hatte Heinrich Floris 
mit seinem Schwiegervater gemein: das heftige ungestüme Wollen. Es 
heißt, daß der Rathsherr Trosiener bisweilen solche Ausbrüche unbe 
zähmbarer Heftigkeit gehabt habe, daß alles in Schrecken vor ihm floh. 
Auf dem reizenden Landsitze ihres Mannes zu Oliva, in herrlicher 
Waldes- und Meeresgegend, mit der Aussicht auf die Leuchtthürme von 
Hela und Danzig, umgeben von einem nach englischer Art eingerichteten 
Garten, in einem künstlerisch ausgestatteten Heim lebte Johanna Schopen 
hauer damals goldene Tage, an die sie nach einem halben Jahrhundert, 
am Ende ihres langen schicksalsreichen Lebens noch mit Entzücken 
zurückdenkt. Die Wochentage verflossen still und einsam, am letzten 
Wochenabend kam der Gatte mit befreundeten Gästen und brachte 
Leben und Geselligkeit mit sich? 
Wie grundverschieden ihre Gemüther geartet waren, so stimmten doch 
die Gatten in einer Neigung völlig überein: in der Lust zu reisen. Es sind 
für die Frau in ihrer zwanzigjährigen Ehe wohl die schönsten Jahre ge 
wesen, die sie an der Hand ihres weltkundigen Führers auf großen Reisen 
zugebracht hat. In den Lebenserinnerungen, die sie kurz vor ihrem 
Tode aufgezeichnet, ist ein Capitel mit den Worten Goethes überschrieben: 
Ich sah die Welt mit liebevollen Blicken, 
Und Welt und ich, wir schwelgten im Entzücken; 
* Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder. (Braunschweig. 
Westermann 1839.) Thl. I. Cap. 27.
	        
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